Kurden im Irak:Kriegserfahrene Ex-Partisanen zwischen allen Fronten

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Kämpfer der syrischen Kurdenmiliz PYD an der Grenze zum Irak.

(Foto: REUTERS)

Kurden-Kämpfer stemmen sich bisher vergeblich gegen die radikalen Milizen des "Islamischen Staats". Nun hoffen sie auf die Hilfe der USA. Doch ein Eingreifen des Westens könnte den Zerfall des Irak beschleunigen.

Von Tomas Avenarius, Kairo

Die "Kämpfer, die den Tod nicht fürchten" machen ihrem Ruf keine Ehre: Die legendären kurdischen Peschmerga werden im Nordirak von den radikal-islamischen Militanten des Islamischen Staats in die Flucht geschlagen, wo immer sie aneinandergeraten. Im Westen der insgesamt 1000 Kilometer langen Frontlinie zwischen dem nordirakischen Kurdengebiet und dem von den sunnitischen Islamisten im Juli ausgerufenen "Kalifat" haben die Militanten nun weitere Dörfer und Städtchen erobert - und das nah am Kernterritorium der nordirakischen Kurden.

Die Militanten vom Islamischen Staat (IS) überrollten die Christenstädte Karakosch, Tel Kaif, Bartella und Karamlisch. Die Jesidenstadt Sindschar war zuvor gefallen.

Mossul, immerhin zweitgrößte Stadt des Irak, kontrollieren die Militanten seit An-fang Juli. Die Erklärungen der Kurden-Befehlshaber für die überraschenden Erfolge der Islamisten: "Taktischer Rückzug". Sie hätten dem Druck der Gotteskrieger eben nicht länger standhalten können. Offenbar macht man sich Sorgen in Erbil, der Hauptstadt des kurdischen Autonomiegebiets im Irak. Diplomatisch übt der Präsident der irakischen Kurden längst Druck auf die USA aus angesichts einer sich zumindest schemenhaft abzeichnenden Katastrophe. "Das Pentagon sollte die Peschmerga-Truppen stärken, indem es moderne Waffen liefert", sagte Karwan Zebari, Sprecher der Kurdenregierung in den USA. "Das muss heute passieren, denn es hätte schon gestern getan werden müssen."

An Kriegserfahrung würde es nicht fehlen

Kurden-Führer Massoud Barzani soll gut 200 000 Mann unter Waffen haben. Viele wurden von 2003 an von der US-Armee ausgebildet und ausgerüstet. Einige Spezialeinheiten zählten zu den besten Truppen im Irak. Zudem hatten viele Peschmerga jahrelang in den kurdischen Bergen gegen Diktator Saddam Hussein gekämpft, an Kriegserfahrung hat es kaum gefehlt. Dennoch stehen die Kämpfer des Islamischen Staats nun an den Grenzen des Autonomiegebiets, haben sie mancherorts überschritten. An einigen Stellen sind sie keine 50 Kilometer mehr entfernt von Erbil. Der Weg ist kurz, die Straßen gut ausgebaut: Mit ihren allradgetriebenen Lieferwagen, auf die sie Luftabwehrkanonen, Raketenwerfer und Maschinengewehre montieren, sind die auf Schnelligkeit setzenden IS-Kämpfer so etwas wie eine mongolische Reiterhorde des 21. Jahrhunderts.

Und das irakische Kurdengebiet besteht nicht nur aus Gebirge. Im Süden gehen die Ausläufer der Berge ins Flachland über. Die Ebenen des Zweistromlands machen die Verteidigung des westlichen Teils der Kurdengrenze schwer. Den Peschmerga als Ex-Partisanentruppe fällt der Kampf entlang solcher Fronten wohl schwer. Sie haben auch keine Luftwaffe, mit der sie die Konvois der Militanten stoppen könnten. Dass Bagdad nun mit seinen Kampfflugzeugen zugunsten der Kurden eingreifen will, wird nicht helfen: Die Iraker haben kaum Jets, die Piloten wenig Erfahrung.

Die IS-Militanten hatten die irakische Armee schon zu Beginn ihrer Offensive geschlagen. Bagdads Soldaten hatten im Juli bei den ersten Kämpfen im Nordirak die Waffen fortgeworfen, waren geflohen. So konnte der Islamische Staat riesige Mengen an Waffen erbeuten. Mit dem modernen US-Kriegsgerät - Panzer, Truppentransporter, Geschütze - ist IS noch gefährlicher. Für Bagdad und für die Kurden.

Washington will neue Waffen nur mit Zustimmung Bagdads liefern

Seit dem Auftauchen des Islamischen Staats wird gefordert, die US-Luftwaffe solle die Militanten bombardieren. Washington hat bisher nur einige Hundert Mann einer Spezialeinheit geschickt, sie sollen der desolaten irakischen Armee logistisch helfen. Die Kurden-Milizen könnten die Amerikaner angeblich in ein, zwei Tagen aufrüsten. In den nahen türkischen Depots der US-Armee sei Militärgerät eingelagert, so Kurdensprecher Zebari. Washington will neue Waffen aber nur mit Zustimmung der Zentralregierung in Bagdad liefern. Der Grund ist, dass die USA den Kurden zwar freundschaftlich verbunden sind, aber die angeschlagene Regierung in Bagdad nicht schädigen und den drohenden Zerfall des Irak befördern wollen. Dass der Kurden-Führer vor wenigen Wochen verkündet hatte, er bereite ein Referendum über die Ausrufung eines unabhängigen Kurdenstaats im Nordirak vor, dürfte die USA zögerlich stimmen. Jede Bewegung in Richtung Kurdenstaat sei derzeit "ziemlich schädlich und kontraproduktiv", hieß es aus dem US-Außenministerium.

Die Kurden versuchen sich nun gegenseitig zu helfen. Ein paar Tausend türkische Peschmerga - Kämpfer der Kurdischen Arbeiterpartei PKK - haben sich auf den Weg an die Front gemacht. Aus den syrischen Kurdengebieten, wo die dortigen PYD-Milizen im Bürgerkrieg schon länger gegen den Islamischen Staat kämpfen, kommt ebenfalls Unterstützung: Die syrische Kurdenmiliz PYD ist ein Ableger der türkischen PKK. Da die türkischen, syrischen und iranischen Kurdengebiete gemeinsame Grenzen mit dem irakischen Autonomiegebiet haben, ist dies einfach, aber auch gefährlich: Mit dem Eingreifen der Kurdenkämpfer mehrerer Staaten im Irak wächst das Risiko eines Regionalkriegs.

Je nachdem, wie sich die Allianzen zwischen den Nachbarstaaten und den irakischen Kurden entwickeln, könnte ein Nachbar wie die Türkei seine Sicherheitsinteressen gefährdet sehen: Die PKK ist in der Türkei eine Terrororganisation. Ähnliches gilt für Iran, der die wichtigste Kurdenmiliz im Land ebenfalls bekämpft. Und die kurdische PYD in Syrien ist derzeit mit Staatschef Baschar al-Assad verbündet. Und Assad ist wiederum der Freund der Iraner, aber eben auch der Feind der Türken.

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