Kurden im Irak:Denkbar schlechtes Timing

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Im Nordirak planen die Kurden ein Unabhängigkeitsreferendum. Doch der Zeitpunkt ist sehr gefährlich. Denn der türkische Präsident Erdoğan wartet nur auf einen Anlass zur Eskalation.

Von Moritz Baumstieger

Keiner rechnet damit, dass Ruhe einkehrt im Irak, wenn die Terrormiliz Islamischer Staat einmal aus ihrer einstigen Hochburg Mossul vertrieben ist. Die Dschihadisten werden ihren Kampf aus dem Untergrund weiterführen und genug Verwirrte finden, die bereit sind, ihr Leben als Selbstmordattentäter zu geben. Ein gemeinsamer Sieg über den selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi wird auch die Bruchlinien zwischen schiitischer Bevölkerungsmehrheit und sunnitischer Minderheit nicht kitten können - zu viel Blut ist auf beiden Seiten geflossen.

Der dritte mögliche Konflikt, der den Frieden im Irak verhindern könnte, wird jetzt schon angeheizt, bevor die Schlacht um Mossul entschieden ist: Die Autonome Region Kurdistans im Norden des Landes ist offenbar willens, aufs Ganze zu gehen. Seit ein paar Wochen tragen ihre Vertreter immer wieder die alte Idee eines Unabhängigkeitsreferendums vor - und diesmal scheint dahinter mehr zu stecken, als die übliche folkloristische Sezessionsrhetorik.

Sezessions-Versuche liefern Erdoğan nur Anlass zur Eskalation

Die Regierungspartei KDP des Kurdenpräsidenten Masoud Barzani und die oppositionelle Patriotische Union Kurdistans - sonst in fast allen Fragen zerstritten - haben ein gemeinsames Komitee geformt, das eine Volksabstimmung vorbereiten soll. Bagdad habe man informiert, heißt es schlicht in kurdischen Medien, das Vorhaben sei außerdem schon international platziert. Am Wochenende soll nach Angaben der Kurden in Erbil eine Konferenz mit Diplomaten aus 33 Ländern stattgefunden haben, bei der die Details eines möglichen Referendums diskutiert worden seien, auch mit allen ständigen Vertretern im UN-Sicherheitsrat. Und in der multiethnischen Ölstadt Kirkuk, die Peschmerga 2014 vor einem Einmarsch des IS bewahrten, haben die Kurden ihr Territorium markiert: Seit Ende März weht dort neben der irakischen Flagge auch das rot-weiß-grüne Banner mit der gelben Sonne in der Mitte über allen Verwaltungsgebäuden. Obwohl neben den Kurden auch Araber und Turkmenen in Kirkuk leben, soll bei einem Referendum auch hier abgestimmt werden.

Nun sind die willkürlich von den Kolonialmächten gezogenen Grenzen in der Region nicht unantastbar, das Recht auf Selbstbestimmung gilt auch für Kurden. Zudem lassen einige kurdische Vertreter durchblicken, dass ein Referendum nicht automatisch die Abspaltung bedeutet, sondern eher als Druckmittel bei zu erwartenden Verhandlungen mit der Zentralregierung in Bagdad dienen könnte. Dennoch ist der Zeitpunkt der Initiative brandgefährlich: Im Nachbarland Türkei will am Wochenende ein starker Mann durch ein Referendum noch stärker werden. Sollte er scheitern, wird Recep Tayyib Erdoğan wohl noch krasser bewährte Feindbilder zur Mobilisierung einsetzen, gewinnt er, könnte er seine neue Kraft zu nutzen versuchen - kurdische Unabhängigkeitsbestrebungen liefern ihm in beiden Fällen einen willkommenen Anlass zur Eskalation. Dass er die kurdische Flagge über Kirkuk als rotes Tuch begreift, hat er jedenfalls schon in Wahlkampfreden deutlich gemacht.

© SZ vom 12.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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