Kunstprojekt in Heidenau:1,5 Tonnen Stahl gegen den Hass

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Rechte Ausschreitungen haben Heidenau bundesweit in die Schlagzeilen gebracht. Rost und Farbe sollen der Stadt nun helfen, sich mit sich selbst zu versöhnen.

Von Cornelius Pollmer, Heidenau

Am Montagnachmittag, kurz vor halb fünf, geht in Heidenau das Miteinander mit einem lauten Klonk verloren. Das "R" ist gefallen. Auf dem "E" daneben spielt ein Junge nun Superman, er hat sich waagerecht auf den Mittelbalken gelegt. Ein anderer erkundet ausdauernd die Vielfältigkeit des "A" ein paar Meter weiter links - von der Seite kann man sich an dieses "A" sehr gut schräg anlehnen. Und darunter durchkrabbeln? Geht auch.

Gleich soll das R wiederaufgerichtet werden, so war es von Anfang an geplant. Und dann steht da, auf dem Platz der Freiheit, ein 1,5 Tonnen schwerer Wunsch: MITEINANDER. 2,27 Meter hoch, 15 Meter lang, Stahl, auf Bodenplatten verschweißt. Warum? Und wozu?

Die erste Frage führt zurück in den August dieses Jahres, als das sächsische Heidenau zur Chiffre wurde für eine neue Eskalationsstufe im Protest gegen die Unterbringung geflüchteter Menschen. Vor dem ehemaligen Praktiker-Baumarkt gab es zwei Nächte lang heftige Ausschreitungen, die öffentliche Ordnung erlitt eine Niederlage nach Lehrbuch: zu wenig und überforderte Polizei, Randale wie im Rausch. Als der Qualm verweht war, reiste Vizekanzler Sigmar Gabriel nach Heidenau, danach auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ihre Besuche waren geprägt von einer gewissen Ratlosigkeit und wenn es in diesen Tagen der hellen Aufregung einen Halt gab, dann waren es die Ruhe und Sachlichkeit, mit der Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz sich den vielen und doch fast immer gleichen Fragen von Journalisten stellte.

"Ein tiefer Riss durch unsere Stadt"

Wozu nun dieses Kunstprojekt? Opitz steht am Montag ein paar Meter neben dem gefallenen "R", man hat ihm ein Mikro gereicht, damit er den stählernen Buchstaben ein paar gesprochene hinzufügt zum Zwecke der Erläuterung. Er habe den Eindruck, sagt Opitz, dass "seit ein paar Wochen ein tiefer Riss durch unsere Stadt geht". Und es gibt auf beiden Seiten des Risses eine gewisse Sprachlosigkeit - zwischen denen, die Angst haben oder sogar hassen, und denen, die die Aufgabe Asyl irgendwie anzunehmen versuchen. Das MITEINANDER aus Stahl "soll Diskussionen anregen", sagt Opitz, und so ein Miteinander im übertragenen Sinne wieder ermöglichen.

Zusammengeschweißt hat die Buchstaben der Künstler Hüseyin Arda. Arda wirkt wie ausgedacht, so gut passt es, dass er genau an diesen Ort nun seine Buchstaben gebracht hat. Er nutzt über sein Netzwerk freie Ateliers in Berlin, Istanbul - und Dorfhain, einem Idyll im Nordwesten der Sächsischen Schweiz. Wenn Arda in der Türkei von seinem am Wald gelegenen Atelier in Dorfhain erzählt und vom Rauschen der Roten Weißeritz, dann muss er sich nicht groß mit der Lagebeschreibung aufhalten: "Dresden kennen dort die meisten, wegen Pegida, bei Heidenau ist das nicht ganz so", sagt Arda.

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Das MITEINANDER in Heidenau soll ein Wanderwort sein, mindestens bis Dezember wird es in Heidenau an zentraler Stelle bleiben, danach kann es je nach Anfragen in andere Orte gebracht werden. Für Arda sind die Buchstaben nicht nur ein Kunstwerk, sie sind auch "ein Tag, ein dreidimensionales Graffiti". Die Leute sollen es bemalen, Sachen drauf schreiben, drauf sprühen. Und wenn der Regen kommt und der Stahl rostet, dann rostet er eben. Hüseyin Arda arbeitet seit 25 Jahren mit Stahl, "weil er sehr robust ist, aber auch vergänglich, deswegen mag ich ihn. Man merkt, dass der Stahl weiterlebt."

Weiterleben, darum geht es im Grunde ja auch Jürgen Opitz, dem Bürgermeister. Als die Medien seinen Ort wieder freigegeben hatten, begann Opitz, Bürger zu kleinen Gesprächsrunden einzuladen. Die Menschen sollten nicht mehr auf der Straße schreien, sondern an Tischen diskutieren. Opitz möchte, dass "die Leute sich aussprechen, ohne gleich als Panikmacher oder Verharmloser angegriffen zu werden". Seine Aufgabe wird es bleiben, nicht nur die Leute an den Tisch zu bringen, die ohnehin einverständig sind.

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Bei der Präsentation des MITEINANDER am Montag ist der übliche kleine Kreis an Wohlmeinenden zusammengekommen. Ganz am Rand stehen zwei grimmige Typen, die allerdings schon damit ausgelastet sind, möglichst hart auszusehen. Aus einer fernen Hecke brüllt ein Einzelner "Schämt euch!", sonst bleibt es nett und ruhig, vielleicht auch, weil die Polizei diskret aber sichtbar ihre Präsenz andeutet, etwa in den Zufahrtsstraßen.

Zwei Jungs, nennen wir sie T. und M., geben dem MITEINANDER dennoch nicht viel Zeit. "Eine Woche, maximal, dann räumen die das hier ab", sagt M., Azubi. "Und hier sind viele von denen", ergänzt T., Fachoberschüler. Mit die und mit denen meinen sie die Rechten, die dem Kunstwerk wohl im Tiefdunkel der Nacht mal einen Besuch abstatten würden. T. und M. selbst würden das nicht tun, aber der Gedanke scheint sie auch nicht zu stören, dass andere zur Tat schreiten könnten. "So ein Ding bringt doch nichts", sagt T., "die Stadt will damit in die Medien, aber unser Ruf ist doch eh im Arsch." T. und M. müssen ihren Freunden von Anderswo jetzt nicht mehr erklären, wo Heidenau liegt, da geht es ihnen wie dem Künstler Arda.

Mit Fingermalfarbe und Spraydosen haben sie "NdH" auf den Stahl gebracht, nur der HSV. Dazu ihre Initialen und die Rückennummern aus dem Verein. M. will einmal Logopäde werden, T. auf jeden Fall studieren. Man kann sich mit beiden ruhig unterhalten, sie stellen interessiert Fragen und geben am Ende des Gesprächs höflich die Hand. Nette junge Menschen. Tschüss dann, Jungs, ja?

Ach so, eine Frage noch: Vorhin, auf der Bank da drüben, da saßen ein paar, die sich über das Ding hier lustig gemacht haben. Die Sätze mit Miteinander gebildet haben: Miteinander den Praktiker sprengen. Miteinander Ausländer klatschen. Wart ihr das? Stutzen, zögern, dann verrät sich M. durch ein aufziehendes Grinsen: "Neeee, das war doch nur Scherz!"

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