Kunst im Nationalsozialismus:Wie Hitler Kitsch verherrlichte

Adolf Hitler und Hermann Göring in der Berliner Wohnung Görings, 1938 | Adolf Hitler and Hermann Goring in Goring's Berlin apartment, 1938

Adolf Hitler schenkt Hermann Göring im Januar 1938 ein Gemälde, das zwei SS-Männer halten.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Die Nazis kürten gefällige Künstler zu "Gottbegnadeten" und nutzten ihre Kitschbilder zur Propaganda. Bedeutende Künstler der Moderne wurden dagegen verhöhnt und verfolgt. Manche kamen nie darüber hinweg.

Von Karin Janker

Blondes Haar, geschwellte Brüste und ein gebärfreudiges Becken. Die ideale deutsche Frau hebt sich auf Adolf Zieglers Triptychon "Die vier Elemente" vom türkis-blauen Hintergrund ab. Zieglers Gemälde ist derzeit in der Ausstellung "GegenKunst" in der Münchner Pinakothek der Moderne zu sehen. Ihm gegenüber hängt ein zweites Triptychon: Max Beckmanns "Versuchung". Beckmann stellt darin Leid und Gewalt auf eine so eindringliche Weise dar, dass es den Betrachter bis heute mit Wucht trifft. Beide Bilder entstanden um das Jahr 1937, Schicksalsjahr für die Kunst in Deutschland. 1937 fanden in München mit der "Großen Deutschen Kunstausstellung" und der Schandausstellung "Entartete Kunst" zeitgleich zwei Schauen statt. In ihnen offenbart sich der perfide Umgang der Nationalsozialisten mit Kunst, für den auch Beckmann und Ziegler stehen.

Das Projekt

Im Mittelpunkt des Projekts #Kunstjagd steht die Suche nach einem verschollenen Gemälde der Familie Engelberg. SZ.de begleitet die Recherchen in einem 360°-Schwerpunkt, in dem wir über Fortschritte informieren und den historischen Hintergrund beleuchten Die #Kunstjagd ist ein Projekt des Rechercheteams "Follow the Money" (FtM) sowie der Filmproduktion Gebrüder Beetz und den Medienpartnern BR, Deutschlandradio Kultur, ORF, SRF, Der Standard, Rheinische Post und SZ.de. Mehr auf www.kunstjagd.com und www.sz.de/kunstjagd.

Max Beckmann: "Versuchung"

Als Beckmann das Triptychon "Versuchung" malt, sind in Deutschland die Nationalsozialisten bereits an der Macht. Das dreiteilige Gemälde erzählt deshalb auch von den Entbehrungen, die Beckmann erdulden muss, weil seine Werke dem prüden Kunstverständnis der Nazis nicht entsprechen. Beckmann, der im Ersten Weltkrieg als Sanitätshelfer gedient und sich gegen den Krieg geäußert hat, ist in den 30er Jahren als Künstler international etabliert. 1930 waren Werke von ihm auf der Biennale in Venedig zu sehen, schon damals diffamiert von der nationalsozialistischen Presse.

Als die Nazis an die Macht kommen, wird aus harscher Pressekritik plötzlich Ernst. In einem Brief an den Verleger Reinhard Piper schrieb Beckmann noch 1932: "Ich bemühe mich durch intensivste Arbeit über den talentlosen Irrsinn der Zeit hinwegzukommen." Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler ist daran kaum noch zu denken: Beckmann wird fristlos aus seiner Professur an der Frankfurter Städelschule entlassen, die Nazis verbrennen öffentlich mehrere Werke seiner Schüler. Beckmann lebt danach in Berlin, bis er schließlich nach Paris und später Amsterdam auswandert. Als die Nazis 1940 in die Niederlande einmarschieren, verbrennt Beckmann seine Tagebücher. Er bemüht sich um eine Ausreiseerlaubnis, aber erst 1947 erhalten er und seine Frau Mathilde, genannt Quappi, Visa für die USA.

Zahlreiche Werke Beckmanns galten lange als verschollen. Einige befanden sich im Kunstschatz des Cornelius Gurlitt, womöglich waren sie Ende der 1930er Jahre von den Nazis beschlagnahmt worden. Beckmanns "Versuchung" aber konnte vor der Gestapo bewahrt werden.

Durch einen Freund Beckmanns gelangt das Triptychon 1938 nach London in die "Exhibition of Twentieth Century German Art" der New Burlington Galleries. In der Ausstellung, die bewusst von den Nazis verfemte Werke zeigt, bildet Beckmanns Triptychon ein zentrales Werk, von der englischen Presse wird es gelobt. In einem Vortrag, den Beckmann im Rahmen der Ausstellung hält, fordert er eine Trennung von Politik und Kunst. Es ist der Hilferuf eines Künstlers, der am Arbeiten gehindert wird. Beckmanns Gemälde "Versuchung" reflektiert denn auch die Bedrohung durch das NS-Regime nicht offensichtlich, sondern in Chiffren des Gefesseltseins.

Adolf Ziegler: "Die vier Elemente"

Während Beckmann zu den verfemten Künstlern gehört, die in der Propagandaausstellung "Entartete Kunst" 1937 verspottet werden, schafft es Zieglers antikisierender Kitsch nicht nur auf einen Ehrenplatz über Hitlers Kamin im Führerbau, es wird auch als Postkartenmotiv tausendfach vervielfältigt. Adolf Ziegler selbst macht Karriere, wird erst Professor, dann Präsident der Reichskammer für bildende Künste. In dieser Position setzt er die nationalsozialistische Kunstpolitik durch, die künstlerische Qualität durch völkische und rassistische Ziele ersetzen will.

Im Jahr 1937 beginnt Ziegler in Hitlers Auftrag mit der "Säuberung" deutscher Museen und Galerien von sogenannter "entarteter Kunst". Seine Kommissionen bereisen etwa 100 Museen und beschlagnahmen mehr als 20 000 Werke Hunderter Künstler. Die Kunstwerke werden nach Berlin transportiert und im Viktoria-Speicher, den die Nazis zwischenzeitlich als Depot für "entartete Kunst" nutzen, eingelagert. Als "entartet" gilt alles, was mit der nationalsozialistischen Ideologie nicht vereinbar ist: Dada, Surrealismus, Expressionismus, Neue Sachlichkeit - kurz: sämtliche Avantgarden jener Zeit.

Die Nationalsozialisten verfemen und verspotten nicht nur namhafte Künstler wie Max Beckmann, Otto Dix, Max Ernst, Wassily Kandinsky und Käthe Kollwitz. Sie verkaufen ihre Werke ins Ausland und zerstören jene, die sich nicht zu Geld machen lassen. Vor allem Kunstwerke, die sich im Besitz jüdischer Privatleute oder Galeristen befinden, fallen der sogenannten Arisierung zum Opfer, bei der sich die Nazis alles einverleiben, was Eigentum der jüdischen Bevölkerung ist. Zu den Profiteuren dieses institutionalisierten Kunstraubs gehören auch Funktionäre wie Adolf Ziegler.

Seine Reichskunstkammer ist für die Gleichschaltung der bildenden Kunst zuständig, die Mitgliedschaft für Künstler verbindlich. Offenbar ist den Nationalsozialisten sehr wohl die Macht der Bilder bewusst - sie wollen kulturelle Produktion nicht generell unterbinden, sondern suchen sie für sich zu nutzen: Mit Hilfe propagandistisch missbrauchbarer Kunst soll der sogenannte Volkskörper auf Hitlers Größenwahn eingeschworen werden. Jüdische, kommunistische und kritische Künstler erhalten Berufsverbot. Sinnbildlich für diese Doppelstrategie stehen die zwei Ausstellungen im Jahr 1937.

Was aus der Raubkunst der Nazis nach 1945 wurde

"Entartete" und "gottbegnadete" Künstler

Verfemte "entartete Kunst"

Die Entwertung von Kunstwerken, die dem ideologischen Ideal nicht entsprechen, forcieren die Nazis durch öffentliche Verspottung. Schandausstellungen unter dem Titel "Entartete Kunst" gastieren in einem Dutzend deutscher Städte und sollen ein Pranger für die bedeutendsten Künstler jener Zeit sein. Die erste Veranstaltung dieser Art findet von Juli bis November 1937 in den Münchner Hofgartenarkaden statt. Unter der Regie von Adolf Ziegler zeigt die Austellung etwa 600 zuvor beschlagnahmte Werke, die schließlich unter das 1938 erlassene "Gesetz über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst" fallen und demnach ohne Entschädigung von den Nazis eingezogen werden dürfen.

Unter den beschlagnahmten Werken befinden sich auch Arbeiten des Bauhaus-Künstlers Oskar Schlemmer. Für Schlemmer bricht eine Welt zusammen: Er ist überzeugt, dass seine Kunst mit dem nationalsozialistischen Kunstbegriff vereinbar sei. In einem Brief an Goebbels beschreibt er sich als jener Typ Künstler, den der Nationalsozialismus brauche. Das Regime sieht das offenbar anders. Schlemmers Kunst gehört für die Nazis zu den Auswüchsen jener modernen Kunst, die bekämpft werden sollen.

Da die "entartete Kunst" diffamiert werden soll, werden die Werke in der Münchner Ausstellung absichtlich unvorteilhaft und chaotisch gehängt. Rahmen an Rahmen drängen sie sich an den Wänden, mit Propaganda-Plakaten überschrieben, die die "Verfallskunst" lächerlich machen.

"Gottbegnadete" deutsche Künstler

Für Adolf Ziegler ist 1937 ein erfolgreiches Jahr: Seine Ausstellung "Entartete Kunst" zieht Besuchermassen an, gleichzeitig ist sein Akt "Vier Elemente" in der "Großen Deutschen Kunstausstellung" zu sehen, die Hitler selbst eröffnet. Anders als die Feme-Ausstellung soll diese Propaganda-Schau im "Haus der Deutschen Kunst" bis dahin wenig erfolgreiche NS-Künstler etablieren und bekannt machen. Und der Welt zeigen, was eine "arisch" verstandene Kunst hervorzubringen im Stande ist.

Bei seiner Eröffnungrede hetzt Hitler 1937 gegen die "grauenhaften Sehstörungen" der modernen Künstler und ruft zu einem "Säuberungskrieg" gegen sie auf. Adolf Ziegler eifert ihm mit einer fanatischen Brandrede einen Tag später bei der Eröffnung der "Entartete Kunst"-Ausstellung nach. Die Werke jener Künstler würden "Erschütterung und Ekel" verursachen.

Vor Ziegler liegt eine steile, aber kurze Karriere als Hitlers oberster Kunstfunktionär. Eine Ehre bleibt Ziegler allerdings verwehrt: Er schafft es nicht auf Hitlers und Goebbels' Liste der "Gottbegnadeten". Dieses Instrument gewährt jenen Künstlern Vorrechte, die vom Regime als bedeutend und genehm angesehen werden. Diese "unverzichtbaren" Kulturschaffenden, darunter Künstler, Schriftsteller und Musiker ebenso wie Schauspieler, sind vom Dienst in der Wehrmacht befreit. Ihr Werk soll stattdessen Hitlers Reich ewigen Ruhm bescheren.

Zieglers Ruhm dagegen ebbt rasch ab. Wegen angeblicher "Friedensbestrebungen" verliert er 1943 alle Ämter und wird nach einer kurzen Haft im KZ Dachau 1944 auf Weisung Hitlers zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Sein berühmtestes Gemälde, die "Vier Elemente", befindet sich heute in bayerischem Staatsbesitz. Aufgrund seiner peniblen Malweise hat es Ziegler den Beinamen "Meister des deutschen Schamhaares" eingebracht.

Recherche verfolgen – Hinweise geben
  • Whatsapp: Nachricht mit dem Text "Start Kunstjagd" an die kostenfreie Rufnummer 0157-53 25 78 33 senden, auf dem Laufenden bleiben und Hinweise schicken. Eigene Nachrichten und Nummer sind nicht öffentlich.
  • Mail: Hinweise an das Team mailen oder über das Kontaktformular der Website eingeben.
  • Social Media: Per Facebook, Twitter oder Instagram Neuigkeiten verfolgen.
  • Zuhören und Zuschauen: Die Podcast-Serie gibt es via iTunes und Soundcloud, die Playlist auf Spotify, alle Videos bei Vimeo.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: