Süddeutsche Zeitung

Kundus-Affäre:"Guttenberg sagt die Unwahrheit"

Der geschasste General Schneiderhan greift den Verteidigungsminister in der Kundus-Affäre scharf an. Auch neue Informationen über den Luftschlag belasten Guttenberg.

Bevor sich am Mittwoch im Bundestags der Untersuchungsausschuss zu Afghanistan konstituiert, wächst der Druck auf Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Der entlassene Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, bezichtigt den Minister in einem Interview mit der Zeit der Lüge.

Über die Abläufe am Tag seiner Entlassung, dem 25. November, sagte er der Zeitung in Bezug auf Guttenberg: "Was diesen 25. nachmittags angeht, sagt er die Unwahrheit." Der Minister hatte am 26. November mitgeteilt, der General habe am Tag zuvor wegen der Informationsaffäre im Fall der zwei bombardierten Tanklaster im afghanischen Kundus um seine Entlassung gebeten.

Außerdem wehrte sich Schneiderhan in dem Interview gegen Vorwürfe, er habe Informationen unterschlagen, übernahm jedoch gleichzeitig die Verantwortung dafür, dass dem Minister nicht alle Berichte vorlagen. Er sagte: "Unterschlagen hat für mich den Geschmack des Vorsatzes und es gab keinen Vorsatz."

Hintergrund des Disputs zwischen Schneiderhan und Guttenberg ist, dass der Minister das Bombardement der Tanklastzüge zunächst als "militärisch angemessen" bezeichnete und später zurückrudern musste. Dies erklärte er damit, dass ihm bei seiner ersten Stellungnahme noch nicht alle Informationen vorgelegen hätten.

Ebenfalls belastend für Guttenberg ist ein Bericht des Magazins Stern, demzufolge Oberst Georg Klein, der den Angriff befohlen hatte, danach die Untersuchungen behinderte. Trotzdem stehe der Verteidigungsminister weiter hinter ihm. Das Magazin zitierte den Minister mit den Worten: "Ich bleibe dabei: Ich lasse Oberst Klein nicht fallen."

Dem Bericht zufolge habe Klein angeordnet, die Ermittler des Regionalkommandos aus Masar-i-Scharif nicht zum Tatort zu lassen, sie seien "nicht erwünscht." Außerdem wies er seine Untergebenen an, nicht zu kooperieren und Informationen nur nach Freigabe durch ihn weiterzugeben. Als die Ermittler schließlich zum Ort des Geschehens vorgelassen wurden, seien viele Spuren nicht mehr vorhanden gewesen, berichtet das Magazin unter Berufung auf vertrauliche Informationen der Bundeswehr.

Oberst Klein soll den Luftschlag unter dem Eindruck von Geheimdienstinformationen über Pläne der Taliban zur Erstürmung des Bundeswehrfeldlagers befohlen haben. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur dpa haben der Bundesnachrichtendienst (BND) und das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr (KSK) in den Wochen vor dem Luftangriff in Nordafghanistan einen Drei-Stufen-Plan der Taliban aufgedeckt. Diese Recherchen sollen in der Bundesregierung bekanntgewesen sein.

Klein sei davon ausgegangen, dass die Taliban am Abend des 3. September ihren Plan mit der Entführung der Tanklastwagen in die Tat umsetzen wollten und gab deswegen nach Mitternacht am 4. September den Befehl zum Luftangriff.

Bei der Anweisung von US-Kampfjets zur Bombardierung soll Klein gegen Regeln der internationalen Schutztruppe Isaf verstoßen haben. So soll er wahrheitswidrig angegeben haben, dass eigene Truppen Feindberührung hätten. Deutsche Soldaten waren aber nicht in der Nähe.

Nach den Geheimdienstinformationen, auf die sich die dpa beruft, hätten die Aufständischen mit Tanklastwagen den ersten Ring des Feldlagers sprengen wollen. Danach hätten Selbstmordattentäter in Kleinwagen den zweiten Ring brechen sollen. Im dritten Schritt hätten Dutzende bewaffnete Kämpfer in das Feldlager eindringen sollen. BND und KSK hätten die Rekrutierung von Selbstmordattentätern in der Region und Bewegungen größerer Gruppen bewaffneter Taliban beobachtet.

Die Debatte um den Luftschlag beschäftigt die deutsche Öffentlichkeit seit Wochen. Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Reinhold Robbe, hat die Diskussion jedoch als bizarr und wirklichkeitsfern für die Soldaten in Afghanistan bezeichnet.

"Sie schütteln mit dem Kopf, wenn sie sich anschauen, was sich im politischen Berlin jeden Tag ereignet und in der Zeitung zu lesen ist", sagte Robbe im Parlamentsfernsehen des Deutschen Bundestages. Den wenigsten Deutschen sei bewusst, dass die Soldaten in Afghanistan "jeden Tag ihren Kopf hinhalten und froh sind, wenn sie gesund und lebend von Patrouillenfahrten ins Feldlager zurückkommen", fügte er hinzu.

Der Untersuchungsausschuss zur Kundus-Affäre wird sich am Mittwoch im Bundestag konstituieren. Wahrscheinlich wird er eine vorläufige Zeugenliste beschließen. Die SPD will im Januar Verteidigungsminister Guttenberg als ersten Zeugen laden.

Der Ausschuss soll die Vorgänge um den verheerenden Luftangriff auf zwei Tanklastwagen in Afghanistan von Anfang September durchleuchten, bei dem bis zu 142 Menschen starben, darunter viele Zivilisten. Das Gremium wird wohl mehr als ein Jahr lang arbeiten.

Im Video: Bundeskanzlerin Angela Merkel muss sich nach dem Willen der Opposition möglichst rasch einer Befragung im Kundus-Untersuchungsausschuss stellen.

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