Kulturschatz:Leonardos Mehrwert

Ein Buch berechnet das italienische Kunsterbe neu.

Von Thomas Steinfeld

Vor sechs Jahren drohte der italienische Rechnungshof, die Corte dei conti, einigen internationalen Ratingagenturen, sie auf Schadenersatz zu verklagen. Sie hatten die Kreditwürdigkeit Italiens herabgestuft. Dabei aber hätten sie es versäumt, so der Rechnungshof, die Kunst- und Kulturschätze Italiens in die Rechnung aufzunehmen. Das Gelächter in den Finanzzentren war groß. Die Financial Times schrieb damals: "Italien beschuldigt Standard & Poor's, die 'dolce vita' nicht verstanden zu haben."

Dabei ist der italienische Standpunkt keineswegs absurd: Die Kunst- und Kulturschätze tragen zum Bruttoinlandsprodukt bei, etwa dadurch, dass sie Besucher in großen Mengen anziehen.

Aus der Klage gegen die Ratingagenturen wurde nichts, und um die Zahlen wurde es still, vermutlich aus guten Gründen. Kürzlich aber hat der Jurist Antonio Leo Tarasco, Leiter der Museumsabteilung im italienischen Kulturministerium, ein Buch unter dem Titel "Recht und Geschäftsführung des nationalen Kulturerbes" vorgelegt. Es wendet sich nicht an ausländische Gläubiger, sondern an den italienischen Kulturbetrieb.

Und es wartet mit erstaunlichen Zahlen auf: Bislang, so heißt es darin, sei der Wert der nationalen Kunst- und Kulturschätze mit etwa 173 Milliarden Euro veranschlagt worden. Doch seien die zugrunde liegenden Daten veraltet und nicht vollständig: Die antiken Stätten von Paestum zum Beispiel fänden sich mit einem Wert von 20 000 Euro veranschlagt. Herculaneum, das Kolosseum oder Leonardos "Letztes Abendmahl" kämen in der Rechnung gar nicht vor. Man müsse daher die nationalen Kunst- und Kulturschätze mindestens mit dem Zehnfachen ihres bisher angenommenen Werts veranschlagen. So gesehen läge ihre Rentabilität allerdings nicht einmal bei einem Promille.

Den weitaus größten Teil des Buches widmet Tarasco den Gründen, warum der italienische Staat mit seinen Schätzen so wenig Geld verdiene: Zum Beispiel, weil die italienischen Museen ihr Einkommen fast ausschließlich aus Eintrittsgeldern beziehen, also nicht etwa auch aus Spenden, Schenkungen oder Konzessionen zur Nutzung. Und mehr noch: Etwa die Hälfte der Besucher zahlt gar keinen Eintritt. Zudem stammt mehr als der Hälfte der 171 Millionen Euro, die Italien mit den Museen einnimmt, aus nur acht Häusern. Im ganzen Land gibt es aber insgesamt 470 staatliche Museen.

Was dagegen zu tun sei, meint Tarasco, entspreche im Prinzip der von Kulturminister Dario Franceschini im Jahr 2015 initiierten Reform, allerdings in radikalisierter Gestalt: mehr finanzielle Autonomie für die großen Institutionen, allmähliche Übergabe der kleineren Häuser an die Regionen und Kommunen, an Stiftungen und private Träger.

Mit solchen Ideen aber wird sich Tarasco in Italien kaum durchsetzen können. Denn so heftig die Klagen über den staatlichen Umgang mit den beni culturali, den Kunst- und Kulturschätzen, auch sein mögen: Viele Italiener betrachten die Museen als ihre Einrichtungen, in einem bürgerschaftlichen Sinn. Das gilt auch, wenn sie nicht hingehen und nichts zu ihrer Erhaltung beitragen.

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