Süddeutsche Zeitung

Proteste in Iran:Was die Menschen in Iran auf die Straße treibt

  • Bei den regimekritischen Demonstrationen in Iran deutet sich eine Eskalation an; bisher wurden zwölf Menschen getötet.
  • Das Regime in Teheran versucht, zu beruhigen. Protesten solchen Ausmaßes sah es sich zuletzt 2009 ausgesetzt.
  • Anders als damals sind in den Reihen der Regimekritiker bislang keine klaren Führungsfiguren zu erkennen.

Von Paul-Anton Krüger

Maschhad ist Irans zweitgrößte Metropole, eine Hochburg der Konservativen. Hierher pilgern jedes Jahr mehr als 20 Millionen Schiiten, um den Schrein von Imam Reza zu besuchen. Die goldene Kuppel des wichtigsten Heiligtums in Iran überstrahlt die Stadt. Die religiöse Stiftung, die für den Erhalt des Schreins sorgt, Astan-e Quds Rezavi, gilt als die wohl mächtigste und reichste der Islamischen Republik. Ihr Chef, Ebrahim Raisi, war bei der Präsidentenwahl im Mai der Kandidat des konservativen Lagers, der gegen Amtsinhaber Hassan Rohani antrat.

Ausgerechnet in Maschhad, dieser relativ wohlhabenden Stadt mit zwei Millionen Einwohnern weit im Nordosten, kam es am Donnerstag zu ersten Protesten gegen steigende Lebensmittelpreise, die hohe Arbeitslosigkeit, die grassierende Korruption. Angemeldet hatten die Demonstration konservative Kritiker des Präsidenten. Doch überschritten die Demonstranten mit regimefeindlichen Sprechchören schon hier das Maß an Protest, das die Behörden üblicherweise dulden. Sie skandierten "Tod Rohani!", aber auch "Tod dem Diktator!", was sich gegen den Obersten Führer Ayatollah Ali Chamenei richtet.

Thematisch begrenzte kleinere Kundgebungen in der Provinz oder vor dem Parlament in Teheran genehmigen die Behörden gelegentlich, nicht aber politische Proteste, bei denen das System kritisiert wird. Über das Wochenende erfassten großteils nicht angemeldete Demonstrationen Dutzende Städte im ganzen Land einschließlich Teheran. Meist wagten sich einige Hunderte auf die Straße, nicht aber Zehntausende. Immer wieder mischte sich in die Unzufriedenheit über die Lebensbedingungen harsche Kritik an Grundpfeilern der Islamischen Republik. Das Regime sieht sich der größten Herausforderung seit der "Grünen Bewegung" 2009 gegenüber, als zuletzt derartige Rufe zu hören waren.

Damals gingen Millionen Iraner vor allem in Teheran auf die Straße, weil sie überzeugt waren, dass der höchst umstrittene Konservative Mahmud Ahmadinedschad seine Wiederwahl zum Präsidenten einem organisierten Betrug des Regimes zu verdanken hatte. Der Sicherheitsapparat, weitgehend unter der Kontrolle des Obersten Führers, reagierte mit zunehmend drastischer Gewalt und schlug die Proteste blutig nieder. Dutzende Menschen wurden im Laufe von sechs Monaten getötet, Tausende verhaftet - unter ihnen auch die politischen Anführer Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karroubi, Ahmadinedschads Herausforderer. Sie werden bis heute ohne Urteil in Hausarrest gehalten. Mussawi ist der Held der Reformer; bei Rohanis Wahlversammlungen im Mai 2017 skandierten sie immer wieder seinen Namen.

Sanktionen wurden aufgehoben, doch Investitionen stocken

Rohani war im August 2013 wegen des Versprechens gewählt worden, im Atomstreit mit den USA zu verhandeln und ein Ende der einschneidenden Wirtschaftssanktionen zu erreichen. Doch erfüllten sich die Hoffnungen in das im Sommer 2015 abgeschlossene Abkommen nur zum Teil. Zwar wurden die meisten Sanktionen aufgehoben. Iran kann wieder ungehindert Öl verkaufen, die wichtigste Einnahmequelle des Regimes. Europäische Firmen kehren zurück. Doch weigern sich die meisten Großbanken aus Furcht vor Strafen in den USA oder möglichen neuen Sanktionen, Geschäfte mit Iran zu finanzieren.

Dazu kommen viele hausgemachte Probleme: Irans Banken sind marode, Korruption behindert den Privatsektor in der vom Staat dominierten Wirtschaft. Chamenei und mächtige Staatsfirmen stemmen sich gegen Rohanis Kurs einer wirtschaftlichen Öffnung, der sich von Direktinvestitionen aus Europa und Asien die Erneuerung der veralteten Infrastruktur und vieler Gas- und Ölanlagen erhofft. Dennoch wurde der Präsident überzeugend im Amt bestätigt.

Eine deutliche Besserung der Lebensverhältnisse zeichnet sich für die Mehrheit der Iraner indes nicht ab: Ihre Kaufkraft leidet unter der von der Regierung befürworteten Abwertung der Währung. Die Inflation beträgt nicht mehr 35 Prozent wie unter Ahmadinedschad, sondern ist knapp zweistellig. Aber die Preise vieler Lebensmittel steigen deutlich stärker. Zugleich hat Rohani im neuen Haushalt zum wiederholten Mal die Subventionen für die ärmeren Schichten gekürzt, die Ahmadinedschad populär machten; auch Benzin soll teurer werden. Inzwischen kommen die meisten Mittelklasse-Iraner, unter ihnen viele Staatsbedienstete, in Teheran und anderen Städten nur noch mit Zweit- und Drittjobs über die Runden. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt geschätzt bei 40 Prozent. Doch religiöse Stiftungen und dem Obersten Führer nahestehende revolutionäre Institutionen bekommen mehr Geld.

Der Unmut der meist jungen Demonstranten richtet sich auch gegen die Außenpolitik des Regimes und deren Kosten: "Vergesst Gaza, vergesst Libanon, kümmert euch um uns!", riefen sie. Ähnliche Slogans zu Irak und Syrien waren auf Videos zu hören, die über soziale Netzwerke verbreitet wurden. Zudem gab es Sprechchöre wie: "Die Mullahs müssen weg!" Quellen in Iran bestätigten dies. Iran unterstützt die palästinensische Hamas, ebenso die Hisbollah in Libanon und ist in Syrien und Irak militärisch engagiert; bei einigen der Proteste wurden Bilder von Chamenei zerrissen und auch von General Qassem Soleimani, Chef der für Auslandseinsätze zuständigen Quds-Brigaden der Revolutionsgarden. Dabei war er nach den militärischen Erfolgen Irans in Irak und Syrien und auch angesichts zunehmender Drohungen von US-Präsident Donald Trump jüngst zum Volkstribun aufgestiegen.

Präsident Rohani versuchte am Sonntag, die Lage zu beruhigen. In einer Kabinettssitzung gestand er Probleme ein und sagte, die Verfassung garantiere den Iranern das Recht, ihre Meinung zu äußern und auch zu protestieren. Allerdings machte er keine konkreten Zugeständnisse und warnte zugleich vor Gewalt. Demonstranten hatten wiederholt Regierungsgebäude attackiert und Banken, von denen eine eng mit den Revolutionsgarden verbunden ist.

Konservative Medien sprachen davon, dass die Proteste aus dem Ausland angestachelt würden. US-Präsident Donald Trump, der eine harte Linie gegen Iran verfolgt, hatte Unterstützung für die Proteste geäußert, ebenso der Nationale Widerstandsrat, eine in Paris ansässige Oppositionsgruppe, die in Iran als Terrorgruppe gilt und wenig Rückhalt hat. Die Revolutionsgarden drohten, "mit eiserner Faust" zu reagieren, sollten die Proteste andauern. Man werde nicht zulassen, dass der Islamischen Republik Schaden entstehe.

Gewaltsame Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten

In Teheran und anderen Städten kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei, die Tränengas und Wasserwerfer einsetzte. Landesweit wurden laut dem Staatsfernsehen mindestens 13 Menschen bei den Protesten getötet, darunter ein Polizist. Wer dafür verantwortlich ist, blieb zunächst unklar. Die Sicherheitskräfte bestritten, auf Demonstranten gefeuert zu haben. Sie beschuldigten sunnitische Extremisten, die Unruhe im Land stiften wollten. Es gab Hunderte Verletzte und Verhaftungen. Die Behörden sperrten den Messenger-Dienst Telegram und andere Internet-Anwendungen (siehe Artikel rechts)

. Dessen ungeachtet gingen die Proteste auch am Montag weiter. Anders als bei der grünen Revolution 2009 sind aber keine klaren Führungsfiguren erkennbar. Das macht es für den Sicherheitsapparat schwerer, die Proteste zu unterbinden. Zugleich ist fraglich, wie die Demonstranten ohne klare politische Stoßrichtung und ohne Anführer eine kritische Masse an Unterstützern mobilisieren oder Veränderungen erreichen könnten. Die Revolutionsgarden und die ihnen unterstellte Freiwilligen-Miliz der Bassidsch kamen zunächst noch nicht zum Einsatz. Am Montag berichteten Staatsmedien allerdings, die Sicherheitskräfte hätten bewaffnete Demonstranten zurückgeschlagen, die versucht hätten, Polizeistationen und Militärstützpunkte zu stürmen. Damit deutete sich eine Eskalation der Gewalt an - und ein hartes Durchgreifen des Regimes.

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SZ vom 02.01.2018/leja
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