Kevin Kühnert hat den Hang zur Selbstzerstörung in Teilen der SPD kritisiert und unterstützt die Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz. Der Chef der Jugendorganisation Jusos und Vertreter der Parteilinken sagte am Dienstag in Berlin, es sei zwingend notwendig, sich von einer teilweise destruktiven Kritik in der Partei abzugrenzen. "Es gibt Menschen, die haben es sich in einem Weltbild bequem gemacht, in dem muss die SPD falsch liegen, muss sie der Trottel sein, darf sie nichts richtig machen, weil sonst das eigene Weltbild in seinen Grundfesten erschüttert ist."
Kühnert hatte vor einem Jahr beim Wahlkampf um den SPD-Vorsitz Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans unterstützt und sich gegen den Favoriten Olaf Scholz gestellt. Scholz unterlag, dennoch stellten ihn Esken und Walter-Borjans am Montag als Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl im Herbst 2021 vor. Kritik daran kam aus anderen Parteien, aber auch aus der SPD. So sagte die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis der Augsburger Allgemeinen: "Ich kann die Entscheidung des Parteivorstands für Olaf Scholz als Kanzlerkandidat nicht nachvollziehen." Das Rezept der vergangenen Jahre, im Milieu der konservativen und liberalen Wähler zu fischen, werde auch diesmal nicht aufgehen.
Walter-Borjans räumte ein, dass die Nominierung von Scholz eine Reihe von Parteimitgliedern enttäuscht habe. "Es wäre unehrlich und unfair ihnen gegenüber, das zu bestreiten, und man kann das ja auch bei Twitter verfolgen", sagte er. Der frühere Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagte dem Bayerischen Rundfunk: "Man muss aufpassen, dass man seine Kandidaten nicht verbiegt und in dem Dreieck zwischen Kandidat, Programm und Partei nicht aufreibt. Daran habe ich auch gelitten. Daran hat auch Steinmeier mal gelitten und daran hat auch Martin Schulz 2017 gelitten. Die Parteiführung muss sehr genau darauf achten, diesem Kandidaten die notwendige Beinfreiheit zu lassen."
Kühnert wies den Wunsch nach "Beinfreiheit" für den Kandidaten zurück. "Ich habe Olaf Scholz so verstanden, dass er nicht nur aus Zufall das Wort Beinfreiheit weggelassen hat, sondern dass es nicht sein Verständnis von Politik ist." Bei Martin Schulz etwa sei die Partei mit großer Euphorie, aber ohne Programm in den Wahlkampf zur Bundestagswahl 2017 gestartet. Das sei dieses Mal anders, was die SPD vor einigen "Tretminen" bewahre.
Der 31-Jährige erklärte, dass er noch vor acht Monaten sicherlich eine andere Haltung zur Kandidatur von Scholz gehabt hätte. Doch seither sei viel passiert, das Vertrauen in die Zusammenarbeit sei gewachsen. "Diese Partei ist eine veränderbare Partei, sie ist lernfähig", sagte Kühnert. Auch den Jusos bräche kein Zacken aus der Krone, wenn sie sagten: "Wir sind auch lernfähig."
Ziel sei es, die Union 2021 im Kanzleramt abzulösen. "Nächstes Jahr ist Elfmeterschießen angesagt, und da spielen wir im gleichen Team", sagte Kühnert. Diese Haltung werde von einer "überragenden Mehrheit" der Jungsozialisten wie auch der Parteilinken mitgetragen, wie er aus zahlreichen Gesprächen am Montag gelernt habe.
Für ihn sei eine Zusammenarbeit mit den eher konservativen Teilen der Partei notwendig. Dabei werde es wohl künftig Kritik auch an Olaf Scholz geben, doch diese solle konstruktiv sein. "Wir werden die Partei treiben. Aber wir laufen in eine gemeinsame Richtung. Diese Partei hat eine gemeinsame Bahn eingeschlagen." Kühnert wirbt dabei wie zuletzt Parteichefin Esken für ein linkes Bündnis im Bund aus SPD, Grünen und Linken. Vielleicht sei das ausgerechnet mit einem Kanzler Olaf Scholz eher möglich als mit einem dezidiert linken Kandidaten, sagte Kühnert.