Kubicki über die Krise der FDP:"Ich habe Mitleid mit dem Menschen Westerwelle"

Seit Wolfgang Kubicki Anfang der Woche den Zustand der FDP kritisiert hat, rumort es bei den Liberalen gewaltig. Im Gespräch mit SZ.de legt der Kieler FDP-Fraktionschef nach, attackiert Parteifreunde - und nimmt Parteichef Westerwelle in Schutz.

Oliver Das Gupta

Wolfgang Kubicki, FDP-Fraktionschef in Schleswig-Holstein, hat mit einem Spiegel-Interview am Montag erhebliche Aufregung in die Partei gebracht. Seither mehren sich die Rücktrittsforderungen an Parteichef Westerwelle.

Kubicki

Fordert, mit härteren Bandagen in der Koalition liberale Interessen durchzusetzen: FDP-Politiker Wolfgang Kubicki

(Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Kubicki, Ihre alarmierenden Äußerungen vom Wochenende zum Zustand der FDP haben eine Lawine in Bewegung gesetzt. Sind Sie zufrieden über eine Partei in heller Aufregung?

Wolfgang Kubicki: Ich habe die FDP nicht in Aufregung versetzt, sie war es längst. Ich habe nur beschrieben, was mir seit langem offen entgegengeschlagen ist: Frust und Sorge. Fakt ist, dass wir seit Monaten in Umfragen irgendwo zwischen vier und sechs Prozent dümpeln. Fakt ist: Wir haben binnen eines Jahres zwei Drittel unserer Wähler verloren. Fakt ist auch, dass wir trotzdem Tag für Tag aus der Parteizentrale Meldungen erhalten über eine erfolgreiche FDP-Politik. Dieser Widerspruch hat mich dazu bewogen, klare Worte zu sprechen.

sueddeutsche.de: Für Ihre Einlassungen haben Sie auch Widerspruch bekommen: Fraktionschefin Birgit Homburger hat Sie als "Nörgler und Selbstdarsteller" bezeichnet.

Kubicki: Das ist Unsinn. Ich stehe ja mit meiner Meinung bei weitem nicht alleine da. Es gibt viele Liberale, die die Situation genauso sehen. Und das den Medien sagen - gleichwohl aber nicht bereit sind, ihr Gesicht oder ihren Namen dafür herzugeben.

sueddeutsche.de: Das ärgert Sie?

Kubicki: Oh ja. Es ärgert mich, wenn diese Quellen, die in Gremien sitzen, anonym bleiben. Eine wesentliche Ursache unserer Malaise besteht darin, dass einige Leute nicht den Mut haben, offen über Probleme zu diskutieren.

sueddeutsche.de: Die Parteifreunde in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, die nun offen gegen Parteichef Guido Westerwelle opponieren, zählen wohl nicht zu diesen Feiglingen.

Kubicki: Mich hat die Heftigkeit und Deutlichkeit dieser Äußerungen überrascht. Ich schließe mich der Rücktrittsforderung nicht an - ich halte das für kontraproduktiv. Es ist verwegen von Herbert Mertin, als Spitzenkandidat einer Partei bei einer Landtagswahl den Bundesvorsitzenden als "Klotz am Bein" zu bezeichnen.

sueddeutsche.de: Die Frage bleibt: Ist er ein Klotz?

Kubicki: Unser Problem trägt nicht den Namen Guido Westerwelle. Damit das klar ist: Es ist falsch, ihn allein für die Lage der FDP verantwortlich zu machen. Dazu tragen eine Menge anderer Personen im Führungskreis der FDP bei.

sueddeutsche.de: Wie würden Sie das Problem der FDP dann umschreiben?

Kubicki: Der Union ist es im vergangenen Jahr gelungen, einen falschen Eindruck zu erwecken, der da lautet: Auf die FDP müsse man ohnehin nicht setzen, weil sie nur Mehrheitsbeschafferin für CDU und CSU ist.

sueddeutsche.de: Sie meinen: Die Liberalen wurden ein Opfer von Angela Merkel?

Kubicki: Wir haben die momentane Entwicklung zugelassen. Für viele Bürger wirkte es so: Frau Merkel entscheidet, und die FDP dackelt brav hinterher. Wohin das führt, wissen wir. Wir haben so etwas schon mal erlebt - und das ging fast ins Auge.

sueddeutsche.de: Worauf spielen Sie an?

Kubicki: Mitte der neunziger Jahre gerieten wir unter Parteichef Klaus Kinkel in eine ähnliche Lage. Damals hieß es: Wählt FDP, damit Helmut Kohl Kanzler bleibt. Wir waren uns danach einig: So etwas darf nie wieder passieren. Und nun müssen wir feststellen: Es passiert gerade wieder. Ohne Not, denn die Menschen haben ja das Gegenteil erwartet. Im September 2009 sind wir im Bund nicht dafür gewählt worden, um eine bestehende Politik der Kanzlerin fortzusetzen - sondern um etwas Neues zu gestalten.

sueddeutsche.de: Die Zeit vor den anstehenden Landtagswahlen wird knapp: Was raten Sie Ihrer angeschlagenen Partei?

Kubicki: Von den Punkten, die wir den Bürgern im Wahlkampf 2009 versprochen haben, wenigstens einen großen Punkt gegen die Union durchzusetzen. Eine selbstbewusste FDP lässt sich nicht von CDU und CSU am Nasenring durch die Manege schleifen. Und dabei bitte immer realistisch bleiben: Man kann nicht mehr Geld für Bildung versprechen, die Steuern senken und die Schulden verringern. Das funktioniert schon rein rechnerisch nicht. Die Menschen sind ja nicht dumm.

sueddeutsche.de: Auf welchem Feld kann die FDP punkten?

Kubicki: Wir haben den Menschen ein einfacheres, niedrigeres und gerechteres Steuersystem versprochen - in dieser Reihenfolge. Darauf warten die Menschen, die FDP gewählt haben. Schwarz-Gelb hat aber bislang noch nicht einmal das einfachere Steuersystem geschafft. Es liegt an uns, den Bürgern zu sagen, wann sie mit welchen Entwicklungen zu rechnen haben. Mit einem Fahrplan, der wasserdicht ist. Die FDP vermittelt derzeit nicht den Eindruck, als betreibe sie eine konzeptionell stimmige Politik. Wir können punkten, indem wir dafür kämpfen - auch gegen Widerstand in der Union.

sueddeutsche.de: Auch mit harten Bandagen?

Kubicki: Auch das.

sueddeutsche.de: Notfalls auch gegen Angela Merkel?

Kubicki: Notfalls auch gegen die Kanzlerin. Wir koalieren hier in Schleswig-Holstein mit der CDU und ich kann Ihnen versichern: Die öffentliche Missachtung getroffener Verabredungen würde die Union in Kiel niemals wagen.

"Der FDP bleibt nicht mehr viel Zeit"

sueddeutsche.de: Warum ist das so? Mangelt es manchmal an persönlichen Abstand politischer Akteure?

Angela Merkel, Guido Westerwelle

"Die Parteispitze scheint vergessen zu haben, dass auch in einer Koalition Wettbewerb herrscht", meint Wolfang Kubicki. Im Bild: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Außenminister Guido Westerwelle (FDP)

(Foto: AP)

Kubicki: Professioneller Abstand ist in der Politik wesentlich. Die Parteispitze scheint, nachdem sie dort angekommen ist, wo sie hinwollte, vergessen zu haben, dass auch in einer Koalition Wettbewerb herrscht. Immer wieder beschleicht mich der Eindruck, in Berlin verteidigt die FDP die Koalition, während die Union vor allem für sich selber kämpft. Wir müssen primär sehen, wo wir bleiben.

sueddeutsche.de: Geht es konkreter?

Kubicki: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat beispielsweise die dringend notwendige Reform der Mehrwertsteuer bislang erfolgreich verhindert. Das ist nicht mehr hinnehmbar, das dürfen wir ihm nicht mehr durchgehen lassen. Deshalb wird die schleswig-holsteinische Landesregierung aus CDU und FDP nun im Bundesrat aktiv, um die Sinnhaftigkeit unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze einer gründlichen Prüfung zu unterziehen - bis hin zu ihrer Abschaffung.

sueddeutsche.de: Ein weiteres Beispiel für das schlechte Teamspiel der Union?

Kubicki: Es ist atemberaubend, dass wir hinnehmen, dass unser Koalitionspartner auf allen Ebenen andere Bündnisoptionen auslotet, aber gleichzeitig sehr pikiert reagiert, wenn die FDP sich umsieht.

sueddeutsche.de: Immerhin kabbeln sich CSU und Liberale nicht mehr so. "Wildsau" und "Gurkentruppe" sind Vergangenheit, oder?

Kubicki: Die CSU mag zahmer geworden sein, was ihre öffentlichen Äußerungen angeht - nicht aber, was das inhaltliche Ringen betrifft. Das zeigt sich daran, wie die Bemühungen des FDP-Gesundheitsministers Philipp Rösler nach wie vor aus Bayern torpediert werden. Dabei haben wir das beste Argument auf unserer Seite: Rösler will eine moderne Gesundheitspolitik umsetzen - auf der Grundlage des Koalitionsvertrages.

sueddeutsche.de: Die CSU kämpft eben auch mit Bedeutungsverlust ...

Kubicki: ... jaja, und man müsse auf bayerische Befindlichkeiten Rücksicht nehmen, das habe ich schon alles gehört. Aber solche Rücksichtnahme darf doch nicht dazu beitragen, dass die FDP in der Wählergunst dramatisch abstürzt!

sueddeutsche.de: Im Januar steht der traditionelle Dreikönigs-Parteitag der FDP in Stuttgart an. Was erwarten Sie: eine Ruckrede des Vorsitzenden? Einen Showdown zwischen Westerwelle und seinen Kritikern?

Kubicki: Ich befürchte, dass jeder weitere Tag die Latte der Erwartungen an eine glorreiche Rede des Vorsitzenden höher legen wird. Am Schluss wird die Latte so hoch liegen, dass er kaum noch die Chance hat, sie nicht zu reißen. Es wäre naiv zu glauben, dass er durch einen einzigen Redebeitrag die verfahrene Situation lösen könnte.

sueddeutsche.de: Westerwelle kann also im Grunde genommen nichts mehr ändern?

Kubicki: Nicht nur der Vorsitzende ist gefragt. Alle, die Führungsverantwortung tragen, sind gefordert, die FDP wieder aufzurichten.

sueddeutsche.de: Sie sehen sich also auch in der Pflicht?

Kubicki: Sicher. Und ich werde meine Gedanken und Überlegungen auch in den nächsten Tagen zu Papier bringen. Bis zum Jahreswechsel können Sie etwas von mir erwarten. Das wird mit Personen nichts zu tun haben, sondern mit Inhalten und Strategie.

sueddeutsche.de: Die Zeit läuft Ihnen und Ihrer Partei davon.

Kubicki: Richtig, viel Zeit bleibt nicht mehr. Wir haben noch 14 Tage Zeit bis zum Jahreswechsel und dann noch einmal 14 Tage Zeit zur Sammlung. Spätestens Mitte Januar muss der Öffentlichkeit aufgezeigt werden, dass es sich gelohnt hat, im September 2009 FDP zu wählen. Und wir sollten aufhören, die ganze Schuld beim Vorsitzenden zu suchen. Wir haben ein strategisch-konzeptionelles Problem und ein Kommunikations-Problem.

sueddeutsche.de: Sie nehmen Westerwelle in Schutz: Haben Sie Mitleid mit dem Parteichef?

Kubicki: Mitleid ist in der Politik eine falsche Kategorie. Ich habe Mitleid mit dem Menschen Westerwelle, angesichts der Art und Weise, wie mit ihm umgegangen wird. Da ist viel Ungerechtigkeit.

sueddeutsche.de: Herr Kubicki, Sie gehören doch zu den Parteifreunden, die immer mal wieder gegen ihn sticheln.

Kubicki: Guido Westerwelle weiß, dass ich Kritik immer direkt und offen äußere. Bei mir kann er sicher sein, dass er eine ehrliche Meinung hört, das schließt Kritik wie Lob ein. Ich gehöre allerdings nicht zu denjenigen, die ihn an einem Tag zum Messias hochjubeln und am nächsten Tag verteufeln. Diese Form von Falschheit und Feigheit von manchen Leuten bringt Guido Westerwelle in Not - und nicht ich.

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