Kuba:Die Qual der Wahl

Kuba: Der sozialistische Inselstaat steck in einer schweren Krise: Schuhwerkstatt in Santa Clara, geschmückt mit dem Bild des Revolutionshelden Che Guevara.

Der sozialistische Inselstaat steck in einer schweren Krise: Schuhwerkstatt in Santa Clara, geschmückt mit dem Bild des Revolutionshelden Che Guevara.

(Foto: Alexandre Meneghini/Reuters)

In dem Karibikstaat steht erstmals kein Castro an der Staatsspitze, wenn die Kubaner nun über ein neues Parlament abstimmen. Die Sieger stehen ohnehin fest. Aber geht überhaupt jemand zur Wahl?

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Auf den ersten Blick wirkt alles sehr fortschrittlich: Am Sonntag finden in Kuba die Wahlen zur Nationalversammlung statt, dem Parlament der sozialistischen Karibikinsel. Auf der Liste der Kandidaten stehen Arbeiter ebenso wie Universitätsrektoren, alte Helden der Revolution, aber auch Hoffnungsträger der Parteijugend. Mehr als die Hälfte der Bewerber sind Frauen, fast ebenso viele sind Afro-Kubaner. Repräsentativer und inklusiver könnten Wahlen kaum sein - könnte man meinen.

Doch bei all dem bleibt ein Problem: Denn die 470 Kandidaten bewerben sich auf genau ebenso viele Sitze in der Nationalversammlung: 470. Eine Niederlage an den Urnen ist praktisch ausgeschlossen, der politische Wahlkampf ohnehin illegal.

Kubas sozialistische Regierung sagt, das System fördere Einigkeit und verringere den Einfluss des Geldes auf die Politik. Kritiker dagegen sprechen von einer Scheindemokratie und nennen Kuba eine Diktatur. Sicher ist: Noch bevor die Wahl überhaupt begonnen hat, steht ihr Ausgang schon fest.

Nur eine Gegenstimme gab es je im Parlament. Von der Präsidententochter

Unter normalen Umständen würde sich die Aufregung vor der Wahl darum auch in Grenzen halten, erst recht, weil die Nationalversammlung ohnehin in der Praxis kaum politischen Einfluss hat: Nur zweimal im Jahr tritt sie überhaupt zu ordentlichen Sitzungen zusammen, die eigentliche Macht liegt beim Staats- und Ministerrat. Dessen Vorschläge segnen die Parlamentarier meist nur noch ab.

In der gesamten Geschichte der Nationalversammlung gab es nur ein einziges Mal eine Gegenstimme. Damals, 2013, ging es um ein Gesetz für Arbeitnehmerrechte. Es sollte Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse oder der sexuellen Orientierung unter Strafe stellen. Weil aber HIV-Status ebenso wenig erwähnt wurde wie die Geschlechtsidentität, stimmte Mariela Castro gegen den Entwurf. Kein Zufall: Castro ist eine der bekanntesten Fürsprecherinnen Kubas für Schwule und Lesben - gleichzeitig aber eben auch die Tochter des damaligen Präsidenten Raúl Castro und Nichte von Revolutionsführer Fidel Castro höchstpersönlich.

Kuba: Präsident Miguel Díaz-Canel fordert die Kubaner auf, ihre Stimmen abzugeben, wie hier vergangene Woche bei einer Wahlveranstaltung in der Universität Havanna.

Präsident Miguel Díaz-Canel fordert die Kubaner auf, ihre Stimmen abzugeben, wie hier vergangene Woche bei einer Wahlveranstaltung in der Universität Havanna.

(Foto: Adalberto Roque/AFP)

Über Jahrzehnte haben die beiden Brüder die Geschicke der Insel bestimmt, als Staats- und Regierungschefs und als Sekretäre des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei. Fidel starb 2016 in Havanna, Raúl Castro gab 2018 seinen Präsidentenposten ab und 2021 auch das Amt des Parteichefs, da war er 89. Das macht die nun bevorstehenden Wahlen zur Nationalversammlung so besonders: Sie sind die ersten, die nicht mehr unter der direkten Herrschaft der Castros stattfinden.

Lebensmittel und Strom sind knapp. Die Verbündeten können nicht aushelfen

Gleichzeitig fällt die Abstimmung in ökonomisch und gesellschaftlich schwierige Zeiten. Kuba steckt in einer schweren Wirtschaftskrise, hervorgerufen vor allem durch US-Sanktionen und staatliche Misswirtschaft, massiv verschärft durch die Pandemie. Der Tourismus ist für Kuba eine der wichtigsten Devisenquellen. Als er im Zuge der Reisebeschränkungen durch Covid-19 zum Erliegen kam, traf das die Insel hart. Alte Verbündete wie Russland, Venezuela oder Iran haben selbst mit schweren Problemen zu kämpfen und können kaum helfen. Immer wieder kommt es deshalb nun zu Engpässen bei Lebensmitteln und stundenlangen Stromausfällen.

Im Sommer 2021 brachen dazu landesweite Proteste aus. Tausende Menschen gingen überall in Kuba auf die Straße, um für freie Wahlen oder eine Öffnung der Wirtschaft zu demonstrieren. Polizei und Sicherheitskräfte gingen hart gegen die Demonstranten vor, es gab Massenverhaftungen und später verhängten Gerichte teils jahrzehntelange Haftstrafen. Viele Kritiker, Künstler und Oppositionelle flohen ins Exil. Gleichzeitig versuchen immer mehr vor allem junge Kubaner die Insel zu verlassen, mit Flugzeugen, Booten oder notfalls auch selbstgebauten Flößen. Allein letztes Jahr haben Behörden in den USA die Ankunft von rund 300 000 Kubanern registriert. Das entspricht drei Prozent der Gesamtbevölkerung.

Die Frage ist nun, wie sich dieser Massenexodus auf die Wahlen auswirkt. Denn viele der Kubaner, die die Insel in den letzten Monaten verlassen haben, dürften noch als Wähler registriert sein. Für die Regierung in Havanna könnte das ein ohnehin unangenehmes Problem noch verschärfen: Weil der Ausgang der Abstimmung schon jetzt feststeht, ist die Wahlbeteiligung umso wichtiger: Sie wird als Gradmesser gesehen, an dem sich der Rückhalt für die Regierung in der Bevölkerung ablesen lässt.

Nachdem über Jahrzehnte hinweg bei den Wahlen meist mehr als 90 Prozent der Berechtigten auch ihre Stimme abgaben, stieg die Enthaltung bei den Parlamentswahlen 2018 auf 14 Prozent und bei den Kommunalwahlen im November 2022 sogar auf mehr als 30 Prozent.

Aktivisten und Regierungsgegner rufen nun dazu auf, nicht wählen zu gehen, als Akt des Widerstands gegen das Regime. Die sozialistische Regierung wirbt dagegen massiv dafür, an der Wahl teilzunehmen. "Diese Abstimmung ist für die Revolution und dafür, unser sozialistisches System weiter zu verteidigen", sagte Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel vergangene Woche vor Textilarbeitern in Santa Clara.

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