Kuba - USA:Jetzt gibt es kein Zurück mehr

Beim Amerika-Gipfel begegnen sich Barack Obama und Raúl Castro, als hätte es keine Mordkomplotte, keine Raketenkrise, keine karibische Eiszeit gegeben.

Von Boris Herrmann, Panama-Stadt

"Der Kalte Krieg ist vorbei", das ist vielleicht der wichtigste Satz, den Barack Obama hinterlassen hat, bevor er wieder in sein Flugzeug stieg und nach Hause flog. Zweieinhalb Tage hat sich der US-Präsident beim Gipfeltreffen aller amerikanischen Staats- und Regierungschefs in Panama aufgehalten. Zweieinhalb Tage, die eine Zäsur markieren. Der letzte Schauplatz des Kalten Krieges, das sozialistische Kuba, ist jetzt hochoffiziell, und für alle Welt dokumentiert, ein Verhandlungspartner der Vereinigten Staaten.

Obama und sein kubanischer (jetzt kann man es ja sagen) Kollege Raúl Castro sind bei diesem Gipfel manchmal miteinander umgegangen, als ob es die vergangenen fünf Jahrzehnte nicht gegeben hätte. Keine Invasionsversuche, keine Mordkomplotte, keine Raketenkrise, keine Eiszeit. Wenn sie sich über den Weg liefen, grüßten sie sich. Vor und hinter den Kameras. Schließlich saßen sie eine Stunde lang im stillen Kämmerchen zusammen, und siebeneinhalb Minuten vor ausgewählten Vertretern der Weltpresse. Allem Anschein nach haben sie sich sogar ganz gut verstanden. Raúl Castro sagte unter Zeugen: "Ich bin mit allem einverstanden, was der Präsident gerade gesagt hat." Was Präsident Obama gerade gesagt hatte? Unter anderem dies: "Es ist Zeit, etwas Neues zu versuchen."

Kuba - USA: Versöhnung in atemberaubender Geschwindigkeit: Obama als Magnetmotiv auf einem Markt in Havanna, Kuba.

Versöhnung in atemberaubender Geschwindigkeit: Obama als Magnetmotiv auf einem Markt in Havanna, Kuba.

(Foto: Ramon Espinosa/AP)

Als zuletzt ein US-amerikanisches und ein kubanisches Staatsoberhaupt offiziell miteinander sprachen, war Obama noch gar nicht geboren. Und die Castros trainierten im Wald für die Revolution. 1956 war das, damals hatte Dwight D. Eisenhower mit dem Militärdiktator Fulgencio Batista die Ehre, ebenfalls auf einer Konferenz in Panama. Fast 60 Jahre später saßen nun also Raúl Castro, 83, und Barack Obama, 53, in einem kleinen Raum mit einem irritierend hässlichen Teppichmuster zusammen. Zwischen ihnen stand ein hölzernes Beistelltischchen mit einer Vase und drei weißen Rosen. Was wohl nicht ganz zufällig fehlte, waren Fähnchen in den Landes-farben. Allzu offiziell sollte das Treffen dann nicht aussehen. Für etwas, das ursprünglich als "kurze Begegnung am Rande" angekündigt worden war, war es staatstragend genug. Einen großen Teil ihrer internen Unterredung sollen Obama und Castro damit verbracht haben, sich wechselseitig von der historischen Dimension dieses Augenblicks zu berichten.

Die Genossen aus Bolivien und Ecuador beschimpften Obama weiterhin ausführlich

Dieser Augenblick wirkte im Kontext des restlichen Gipfelprogramms umso bemerkenswerter. Für Obama verlief die Veranstaltung alles andere als harmonisch. Die sozialistischsten unter den Staatschefs Südamerikas gaben sich im Plenum keinerlei Mühe, ihre Kritik am Klassenfeind hinter diplomatischen Floskeln zu verstecken. Nicht nur Venezuelas schwer angefressener Autokrat Nicolás Maduro, auch Evo Morales und Rafael Correa, die Genossen aus Bolivien und Ecuador, beschimpften Obama ausführlich. Sie stellten ihn als Lügner und Bösewicht dar, als Anführer eines imperialistischen Krieges gegen die Völker Lateinamerikas. Das meiste davon hat Obama allerdings gar nicht gehört, weil er den Plenarsaal rechtzeitig zum Mittagessen verließ. Bei Raúl Castro blieb er sitzen.

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Es lohnte sich. Der Vortrag des Kubaners hatte etwas überraschend Kauziges. Acht Minuten Redezeit waren veranschlagt. Castro startete mit der Ankündigung, dass er 48 Minuten lang sprechen werde, "da ihr mir sechs Gipfel schuldet, von denen ihr uns ausgeschlossen habt". Sechs mal acht ist 48. Daran hielt er sich dann auch. Er schlug dabei allerdings einen ganz anderen Tonfall an als Morales, Maduro und Correa. Versöhnlicher, differenzierter, auch selbstironischer. Der alte Oberlehrer aus Havanna hat an diesem Tag seine Klassenstreber aus Caracas, La Paz und Quito im Stich gelassen. Mutmaßlich aus einer spontanen Laune heraus. Castros Manuskript, das von kubanischen Medien veröffentlicht wurde, war noch in der üblichen revolutionären Diktion gehalten. Da ging es um die Blutspuren des Imperialismus und um den heldenhaften Befreiungskampf. Castro aber schien sich für diese Papiervorlage fast zu schämen. "Wenn ich über die Revolution spreche, gehen immer die Emotionen mit mir durch", sagte er, den Blick von seinem Zettel abgewandt. Zehn ehemalige US-Präsidenten hatten gerade ihr Fett abbekommen. Und dann entschuldigte sich Castro beim Amtsinhaber. "Präsident Obama hat damit nichts zu tun. Er ist er ein ehrlicher Mann."

Sein großer Bruder wäre wahrscheinlich vom Stuhl gekippt, wenn er das gehört hätte. Das Raúl-Kuba ist aber nicht mehr das Fidel-Kuba. Der Krieg ist vorbei, das hat nicht nur Obama, sondern auch Raúl Castro verstanden. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Es liegt auf der Hand, dass sich die Barrieren zwischen zwei Welten nicht in zweieinhalb Tagen aus der Welt schaffen lassen. Während sich die Präsidenten drinnen versöhnten, hauten sich draußen kubanische Dissidenten und Offizielle. Meinungsfreiheit ist für Castros Regime weiterhin schwer zu ertragen. Obama sprach von "sehr unterschiedliche Ansichten, wie eine Gesellschaft organisiert sein sollte". Castro sagte: "Wir waren uns auch einig, dass wir in vielem nicht einig sind." Aber, siehe da: Man könne über alles reden, auch über Menschenrechte und Pressefreiheit.

Es muss noch viel geredet werden. Was die konkreten Schritte der Annäherung betrifft, war der Panama-Gipfel eine Enttäuschung. Obama hatte nichts anzubieten: Keine feste Zusage für das Ende des Embargos, das der Kongress beschließen müsste, und schon gar keinen Termin für die Entsendung der Botschafter. Er machte noch nicht einmal die allseits erwartete Ankündigung, Kuba von der Liste der Terrorunterstützer zu streichen - was er selbst entscheiden könnte. Es sei aber alles auf bestem Weg.

"Wir sind gar nicht so sehr in die Details gegangen", berichtete Obama. Castro gab sich erstaunlicherweise mit diesen vagen Absichtserklärungen zufrieden. "Wir wissen, dass wir sehr geduldig sein müssen", sagte er. Das klingt nach Altersmilde, wahrscheinlich ist es eher Kalkül. Raúl Castro ist und bleibt ein Guerillero. Er hat mit Fidel in der Sierra Maestra gekämpft und saß mit ihm im Gefängnis, er hat mit ihm 1959 Havanna erobert und bis heute die Stellung gehalten. Aber er weiß eben auch, dass er jetzt Dollars braucht, um den kompletten Systemabsturz zu verhindern. Obama wiederum braucht ein wohlgesonnenes Kuba, um wieder Fuß zu fassen im zunehmend widerspenstigen Lateinamerika. Beharrlich sprach er von einem Wendepunkt für den Kontinent. Mit der alten Konfrontationspolitik liefere man nur denjenigen einen Vorwand, die versuchten, ihre eigenen Regierungsfehler auf die USA abzuschieben.

Dass war vor allem an den Venezolaner Maduro gerichtet, der offenbar fest entschlossen ist, jene Lücke im Feindeskreis Washingtons auszufüllen, die Castro gerade hinterlässt. Im diplomatischsten Teil seiner Rede sagte Maduro, er sei Anti-Imperialist und kein Anti-Amerikanist. Er liebe Jimi Hendrix und Eric Clapton. Manchmal singe er zu Hause auch ihre Lieder mit. Das stellt man sich interessant vor. Clapton ist allerdings Brite.

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