Süddeutsche Zeitung

Ku-Klux-Klan-Affäre der Polizei:Liste seltsamer Zufälle

Zwei heute noch aktive schwäbische Polizisten waren Mitglieder des Ku-Klux-Klan. Soweit bekannt. Nun aber sollen Verfassungsschützer den rassistischen Geheimbund in Baden-Württemberg auch noch gedeckt haben. Zudem war einer der Beamten Chef der von der NSU erschossenen Polizistin Kiesewetter. Und plötzlich sind wichtige Unterlagen weg. Merkwürdig.

Roman Deininger und Tanjev Schultz

Reinhold Gall hätte einen schönen Termin in Istanbul gehabt am Mittwoch, gemeinsam mit seinem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann war er zur Audienz beim ökumenischen Patriarchen geladen. Doch Gall blieb in Stuttgart, und statt in den Patriarchenpalast ging er in den Landtag: Dort berichtete der SPD-Politiker und baden-württembergische Innenminister dem Innenausschuss in geheimer Sitzung über die neue Dimension der Ku-Klux-Klan-Affäre.

Im Sommer war bekannt geworden, dass zwei schwäbische Polizisten 2001 und 2002 zeitweilig Mitglieder des rassistischen Geheimbunds waren. Gegen die Beamten wurden 2004 milde Disziplinarmaßnahmen verhängt, beide befinden sich heute noch im Dienst. Ein von Gall in Auftrag gegebener Bericht der Polizei stellte Ende August fest, dass sie rechtlich nicht mehr belangt werden können. Die Untersuchung sollte eine Art Schlussstrich sein unter die peinlichen Verwicklungen der Behörden mit der rechtsradikalen Gruppe. Aber von Schluss kann keine Rede sein.

Nach seinem Auftritt vor den Abgeordneten bestätigte Gall den konkreten Verdacht, dass auch der baden-württembergische Verfassungsschutz in die Vorgänge verstrickt ist. Ein Mitarbeiter des Amtes soll damals den Anführer des Schwäbisch Haller Ku-Klux-Klan-Ablegers darüber informiert haben, dass sein Telefon überwacht wird. Der Beamte wurde laut Gall in eine andere Behörde versetzt; es gebe keine Hinweise auf rechtsextreme Aktivitäten des Beamten. Die Abhöraktion wurde damals vom Bundesamt für Verfassungsschutz betrieben. Statt Amtshilfe zu leisten, beging der Stuttgarter Verfassungsschützer Geheimnisverrat.

Indirekte Verbindungen zum Fall der Terrorzelle NSU

Aber damit nicht genug: Achim S., der gewarnte Ku-Klux-Klan-Mann, könnte als V-Mann selbst für den Verfassungsschutz gearbeitet und diesem Informationen geliefert haben. Darüber wurde am Mittwoch in Stuttgart und Berlin spekuliert. Gall sagte aber, er wolle in diesem Punkt die weiteren Untersuchungen abwarten. S., im Ku-Klux-Klan als "Ryan Davis" bekannt, hatte die schwäbische Klan-Gruppe im Jahr 2000 gegründet. S. fiel auch als Skinhead-Musiker und durch die Teilnahme an NPD-Veranstaltungen auf. Das alles werfe viele Fragen auf, sagte in Berlin die Linken-Politikerin Petra Pau, Mitglied des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag. Es falle allmählich schwer, nicht Verschwörungstheorien anzuhängen.

Denn es gibt noch andere Merkwürdigkeiten - und indirekte Verbindungen zum Fall der Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU). Die beiden Polizisten, die sich zum Klan-Ritter schlagen ließen, waren Kollegen von Michèle Kiesewetter - jener Beamtin, die 2007 in Heilbronn von den NSU-Terroristen ermordet wurde. Einer der beiden Männer war sogar ihr Gruppenführer. Für eine Verbindung zwischen der Tat und der Klan-Mitgliedschaft der Polizisten hat die Bundesanwaltschaft allerdings keinen Hinweis.

Die Liste seltsamer Zufälle wird aber immer länger: Auch die Aktenschredderei im Bundesamt für Verfassungsschutz spielt nun eine Rolle. Nach SZ-Informationen wurden Unterlagen zu der Abhöraktion gegen den Ku-Klux-Klan noch nach Auffliegen der Terrorgruppe NSU vernichtet. Nach Darstellung des Sonderermittlers Hans-Georg Engelke, eines Beamten des Bundesinnenministeriums, handelte es sich um eine routinemäßige Vernichtung, nicht um eine gezielte Löschaktion. Doch im Kreise der Abgeordneten des Untersuchungsausschusses wundert man sich, was da alles in den vergangenen Monaten angeblich in Routine geschreddert wurde. An diesem Donnerstag soll Engelke vor dem Ausschuss Stellung nehmen.

Baden-Württembergs Innenminister Gall wiederum hat vom Landesverfassungsschutz bis zum 23. Oktober einen umfassenden Bericht angefordert. Gegen den Mitarbeiter, der S. damals den Tipp gegeben hatte, wurde ein neues Disziplinarverfahren eingeleitet - bei Geheimnisverrat ist das auch nach so langer Zeit möglich.

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Quelle:
SZ vom 18.10.2012/lala/gba
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