Süddeutsche Zeitung

Kroatien:Titos rostige Möwe

Sie war die schwimmende Residenz des jugoslawischen Herrschers, jetzt soll die "Galeb" zum Museum werden - und Kroatien streitet, was das Erbe des kommunistischen Marschalls heute bedeutet.

Von Tobias Zick, Rijeka

Das Schiff darf man nicht betreten, "aus Sicherheitsgründen", hat es geheißen. Das war keine behördliche Ausrede, wie beim Anblick des Kahns schnell klar wird. Asbest-Platten bröckeln, die Außenhaut ist fast mehr Rost als Lack. Das einzige, was frische Farbe trägt, sind die Schilder, die das Betreten verbieten sowie eines, das auf die Fördergelder verweist, die Brüssel für die Umgestaltung dieses Wracks zum Museum bewilligt hat. Doch die millionenschwere Renovierung stockt.

Es sind Jahrzehnte an Weltgeschichte, die hier im Hafen von Rijeka vor sich hinrosten. Die Galeb , zu Deutsch Möwe, 117 Meter lang, war die Staatsyacht des jugoslawischen Präsidenten Josep Broz Tito - und damit das zentrale Vehikel der weltweiten Blockfreien-Bewegung. Die Tatsache, dass ein solches Schiff derart heruntergekommen in einem kroatischen Hafen dümpelt, hat auch damit zu tun, dass es im Land sehr unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, wie diese Jahrzehnte Weltgeschichte zu bewerten sind.

Eigentlich sollte das Schiff komplett renoviert und als Hotel und Museum im neuen Glanz erstrahlen, wenn Rijeka 2020 Europas Kulturhauptstadt wird. Doch ist ein Schiff, das dem kommunistischen Herrscher Tito als schwimmende Residenz diente, dafür das richtige Symbol? Darüber ist ein heftiger Streit entbrannt. Konservative Politiker wollen dem alten Diktator kein weiteres Denkmal setzen und dafür auch noch Millionenschulden aufnehmen. Sie sehen - anders als die Linke - in Tito nicht den Befreiungshelden. Für die Rechte war der Marschall ein Despot, der politische Gegner einsperren, foltern und töten ließ. An dieser Frage teilt sich immer noch das moderne Kroatien, das aus Titos Jugoslawien hervorgegangen ist.

Die Geschichte begann im April 1938. Unter dem Namen RAMB III verlässt die Yacht die Ansaldo-Werft in der italienischen Hafenstadt Genua. RAMB steht als Abkürzung für "Regia Azienda Monopolio Banane", das war das königliche italienische Bananenhandels-Unternehmen. Das Schiff sollte von den Häfen am Roten Meer Früchte aus den Kolonien ins Mutterland bringen. Doch dazu kam es nie. Im Zweiten Weltkrieg übernahm Mussolinis Marine das Schiff in seine Flotte, baute es zum Hilfskreuzer um und rüstete es mit einem Wasserbombenwerfer und einer Fliegerabwehrkanone auf. Im Hafen von Bengasi, Libyen, traf ein britisches Torpedo die RAMB III, schwer beschädigt wurde sie nach Sizilien geschleppt.

Der Volksmund behauptet, Marschall Tito habe unter Flugangst gelitten

Nach der Kapitulation Italiens im September 1943 beschlagnahmte die deutsche Kriegsmarine das Schiff, nannte es Kiebitz und baute es zum Minenleger um. In den folgenden Monaten wird sie mehr als 5000 Minen in der nördlichen Adria versenken - bis die Kiebitz am 5. November 1944 im Hafen von Rijeka selbst bei einem Luftangriff versenkt wird.

Drei Jahre verbringt sie auf dem Grund des Hafens, bis im November 1947 die jugoslawische Regierung eine einheimische Werft mit der Bergung beauftragt. Die Ingenieure kleiden die Hohlräume mit Zylindern aus, in die sie Luft pumpen - so kommt das 4500 Tonnen schwere Schiff im März 1948 wieder an die Oberfläche. Es wird zerlegt und neu zusammengebaut. Im Juli 1952 wird es, unter dem Namen Galeb, zum Schulschiff der jugoslawischen Marine. Kurz darauf kommt der Präsident zu Besuch an Bord, Josef Broz Tito. Die Galeb gefällt ihm so gut, dass er anordnet, sie für seine Zwecke umbauen zu lassen. Bis zu seinem Tod 1980 wird Tito insgesamt 549 Tage an Bord verbringen und 33 Länder anfahren.

Es heißt, er habe unter Flugangst gelitten. Die erste diplomatische Reise ist zugleich die weltpolitisch spektakulärste: Nachdem er, der frühere Partisanenführer im siegreichen Kampf gegen die deutschen Besatzer, sich 1948 mit dem Sowjet-Diktator Stalin überworfen hat, sucht er einen liberaleren, "humaneren" Sonderweg im Sozialismus - und den Dialog mit der westlichen Welt. Im März 1953 fährt Tito an Bord der Galeb in die neblige Themse-Mündung ein, steigt um auf ein Boot der Royal Navy, das ihn ins Zentrum von London bringt. Dort trifft er als erstes Oberhaupt eines kommunistischen Staates seit dem Zweiten Weltkrieg den britischen Premierminister Winston Churchill. In den folgenden Jahren wird die Galeb zur schwimmenden Bühne der Blockfreien-Bewegung, der von Tito mitgegründeten Vereinigung jener Staaten, die sich keinem der beiden Machtblöcke des Kalten Krieges anschließen wollen.

Tito, der weiter seinen Partisanen-Titel "Marschall" trägt, bricht mit der Galeb, dem "Friedensschiff", zu monatelangen Reisen nach Afrika und Asien auf. An Bord empfängt er Staats- und Regierungschefs wie Gamal Abdel Nasser, Haile Selassie, Leonid Breschnew, Muammar al-Gaddafi und Indira Gandhi. Mit dabei ist jeweils ein Aufgebot an Köchen, Musikern und Schneidern. Titos Ehefrau Jovanka Broz ist bekannt dafür, dass sie bei jedem Landgang ein anderes Kleid trägt. Auf seiner letzten Fahrt mit der Galeb, 1979, steuert Tito Kubas Hauptstadt Havanna an, wo er Fidel Castro dessen Pläne ausredet, die Blockfreien enger an Moskau heranzuführen.

2020 wird Rijeka Europas Kulturhauptstadt, da soll das Schiff glänzen

1980 stirbt Tito, und die Galeb wird wieder zum Schulschiff der Marine. Während Jugoslawien im Laufe der 1990er-Jahre im Krieg zerfällt, beginnt auch der Verfall der Galeb, die in der montenegrinischen Bucht vertäut liegt. Im Jahr 2000 kauft der griechische Geschäftsmann John Paul Papanicolaou der Regierung Montenegros die Galeb für 750 000 US-Dollar ab, lässt sie zu einer kroatischen Werft nahe Rijeka überführen, wo er sie zu seiner Privatyacht umbauen lassen will. Doch dann geht ihm das Geld aus. Die kroatische Regierung erklärt die Galeb 2006 zum nationalen Kulturerbe, 2009 kauft die Stadt Rijeka das Schiff, um es zum Museum auszubauen.

Im Jahr 2020 wird Rijeka den Titel "Kulturhauptstadt Europas" tragen, und rechtzeitig zum erwarteten Besucheransturm sollte die Galeb frisch herausgeputzt sein - als Museum und Hotel. Doch daraus wird wohl nichts. Denn im Stadtrat gibt es Streit um die Finanzierung. Umgerechnet 4,5 Millionen Euro hatte die Stadt für die Renovierung veranschlagt und Fördergelder aus Brüssel bewilligt bekommen. Dann allerdings ging bei der öffentlichen Ausschreibung für den Renovierungs-Auftrag nur ein einziges Angebot ein, in Höhe von 8,1 Millionen Euro, nahezu doppelt so viel wie von der Stadt veranschlagt.

Der sozialdemokratische Bürgermeister will nun umgerechnet knapp sechs Millionen Euro Schulden aufnehmen, für die Renovierung der Galeb und andere Projekte, das allerdings lehnt eine Mehrheit im Stadtrat ab. Bis zum Dienstag läuft eine neue Ausschreibung - ob die ein akzeptables Angebot hervorbringt, ist fraglich.

"Wir lehnen es nicht prinzipiell ab, aus der Galeb ein Museum zu machen", sagt Bojan Kurelić, Generalsekretär der liberalen Oppositionspartei Jugend-Aktion. "Das Schiff ist ein wichtiger Teil unserer Geschichte, unabhängig davon, wie man zu Tito steht. Wir sind aber dagegen, dass die Stadt dafür zusätzliche Schulden macht." Die Schulen seien in erbärmlichen Zustand, es fehle an Kindergartenplätzen. "Warum können sich nicht Privatpersonen an der Finanzierung beteiligen?" Und was sei mit der Blockfreien-Bewegung, zu der immer noch 120 Staaten gehören? "Es ist ja auch ihr Schiff."

Die Kulturbehörde der Stadt erklärt, sie hoffe, dass trotz aller Schwierigkeiten die Renovierung bis spätestens Dezember 2020 abgeschlossen sei. Dann wäre immer noch ein wenig Prestige-Jahr übrig, denn der Titel "Kulturhauptstadt Europas" läuft offiziell erst Ende Februar 2021 aus. Der Anblick der gewaltigen Rostflecken auf der Außenhaut der Galeb stützen allerdings den Eindruck, dass dieser Zeitplan arg ambitioniert ist.

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SZ vom 10.08.2019
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