Psychologie:Bitte nicht beachten!

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Eine unüberschaubare Menge an Informationen kursiert im digitalen Raum. Wer schnell Unglaubwürdiges rausfiltert, behält einen besseren Überblick. (Foto: Eugenio Marongiu/imago images)

Um nicht im Strudel der Informationsflut abzusaufen, empfehlen Psychologen eine simple Strategie: kritisches Ignorieren.

Von Sebastian Herrmann

Im Ozean der täglichen Informationsflut gerät der Einzelne rasch in Seenot. Überall treiben Geschichten, Nachrichten, Gerüchte, Schnipsel, Behauptungen, Krisen, Ängste, Klatsch, Tratsch und narzisstische Selbstdarstellungen herum. Überall werden Köder ausgeworfen, um die kostbare Aufmerksamkeit des Publikums zu kapern und Clicks, Views und Likes zu erbeuten. Dabei gilt die Faustregel: Je wilder die Behauptung, je empörender eine Aussage, desto mehr Beachtung findet sie. Für den Einzelnen ergibt sich daraus die Frage, wie sich Kurs zwischen Wahn und Wirklichkeit halten lässt. Wie lässt sich vermeiden, knappe Zeit und Aufmerksamkeit für den Unfug zu vergeuden, der in den Müllstrudeln des Informationsozeans treibt?

Um den Kopf über Wasser zu halten, empfehlen Psychologen die Strategie des "kritischen Ignorierens". Die Forscher um Anastasia Kozyreva vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung regen in einem Fachbeitrag sogar an, diese Facette der Digitalkompetenz künftig in Schulen zu lehren. Doch es geht um mehr, als nur nicht aufzupassen (darin sind Schüler ohnehin exzellent): "Wir bieten ein paar simple Techniken an, mit denen man seinen Konsum von Informationen steuern kann", sagt Kozyreva. Es handelt sich um Faustregeln, mit denen der Wert der Informationen auf die Schnelle grob beurteilt werden könne, bevor zu viel Aufmerksamkeit auf sie verschwendet wird. Statt nur Augen und Ohren zu verschließen, solle bewusst und strategisch ignoriert werden, argumentieren die Wissenschaftler.

Erregt ein Beitrag Aufmerksamkeit und Interesse, empfehlen die Psychologen, eine fixe Quellenkritik vor dessen Beachtung zu stellen. Wer erst liest und dann kritisch prüft, hat im Zweifelsfall die ungenießbare Infokost schon halb verdaut, bevor er sie wieder ausspucken möchte. Neben Zeit koste es auch oft tiefes Fachwissen, um Inhalte zu beurteilen, sagt Kozyreva. Allen Illusionen zum Trotz verfügt aber kaum jemand über dieses Fachwissen, und schwupps fügen sich brüchige Bausteine in das Weltbild, die dort besser keinen Platz gefunden hätten. Also: Suchmaschine anwerfen, bevor die Gunst der Aufmerksamkeit verschenkt wird. Meist ist binnen weniger Minuten klar, wer hinter einer Aussage steckt und wie vertrauenswürdig Quellen oder Autoren sind. Fällt diese Prüfung negativ aus: Köder wieder ausspucken und alles Weitere ignorieren.

Nun lässt sich einwenden, dass die meisten Nutzer sowieso nur Überschriften und Schnipsel wahrnehmen und kaum ganze Texte lesen. Um hier die Chance auf Bullshit-Kontakt zu mindern, müsse die Chance auf Erstkontakt reduziert werden, so das Team um Kozyreva. Dazu: Smartphonezeit begrenzen, Zeitfressapps deinstallieren, Kanäle stummschalten und es mit anderen Strategien erschweren, ständig aufregende Info-Häppchen vor der Nase baumeln zu haben. Nach dem Motto: Wer kein Bier im Kühlschrank hat, trinkt auch weniger. Es klingt banal und einfach, aber eine Info-Diät ist in der Gegenwart so schwer wie eine echte Diät. Und wie an Fast Food kann man sich auch an überflüssiger Information überfressen.

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