Was ein langer Stromausfall bedeutet? Ein Bagger ließ die deutsche Hauptstadt schon vor fünf Jahren den Ernstfall proben. Als dessen Fahrer im Februar 2019 bei Brückenarbeiten zwei Kabel durchtrennte, ging im Stadtteil Köpenick von 14 Uhr an nichts mehr. Straßenbahnen standen still, in Zehntausenden Haushalten fielen Herde, Kühlschränke, Telefone, Waschmaschinen und Heizungen aus. Arztpraxen und Supermärkte schlossen. Patienten der Intensivstationen wurden in andere Krankenhäuser verlegt. Der größte Blackout in der Hauptstadt seit Jahrzehnten dauerte immerhin 30 Stunden.
Behörden sehen den Vorfall inzwischen als Warnung für ganz andere Szenarien. Denn in Ministerien, bei Geheimdiensten und der Polizei wächst die Sorge, dass Deutschland zum Schauplatz von Sabotage etwa durch Agenten Russlands werden könnte. Wie real die Gefahr ist, zeigte ein Vorfall im Frühjahr. Im April hatten Ermittler in Deutschland Pläne für Sprengstoffanschläge gegen militärische und industrielle Ziele im Auftrag Russlands vereitelt. Die Polizei nahm in Bayreuth zwei mutmaßliche deutsch-russische Spione fest, die solche Sabotageaktionen in Deutschland vorbereitet haben sollen. Zuletzt erregten in Köln-Wahn Auffälligkeiten den Verdacht von Sabotage gegen die Wasserversorgung einer Bundeswehrkaserne.
Den Betreibern werden erstmals Maßnahmen vorgeschrieben
An diesem Mittwoch will die Regierung vor dem für die eigene Zukunft entscheidenden Koalitionsgipfel am Abend in puncto Sicherheit des Landes offenbar noch schnell Klarheit schaffen. Denn das Kabinett soll an diesem Vormittag endlich ein Gesetzesvorhaben unter Dach und Fach bringen, über das zwischen den Ministerien schon seit mehr als einem Jahr verhandelt wird: den besseren Schutz von kritischer Infrastruktur. Nach Angaben aus Regierungskreisen gilt der Beschluss eines Entwurfs von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) als sicher. Der Gesetzentwurf liegt der Süddeutschen Zeitung vor.
Faeser hatte ihre Reformvorschläge bereits im Juli vergangenen Jahres an ihre Kabinettskollegen verschickt. Das sogenannte Kritis-Dachgesetz hatten sich die Ampelpartner SPD, Grüne und FDP schon im Koalitionsvertrag vorgenommen. Erstmals wird ein Gesetz damit privaten Betreibern für den physischen Schutz kritischer Infrastrukturen bundes- und sektorübergreifende Maßnahmen vorschreiben. Bislang gab es das nur für die IT-Sicherheit kritischer Infrastrukturen.
Die Regeln gelten für große Anlagen in elf Sektoren
Der Plan gilt allerdings als Riesenaufgabe für die deutsche Wirtschaft. Denn die Dimensionen der Anlagen sind gewaltig. Allein 36 000 Kilometer ist das Höchstspannungsnetz lang, weitere 96 000 Kilometer umfasst das Hochspannungsnetz, rund 33 000 Kilometer auch das Bahnnetz. Und sogar mehr als eine halbe Million Kilometer misst das deutsche Gasnetz. Das neue Gesetz nennt insgesamt elf Sektoren, die unter die strengen Regeln fallen: Energie, Transport und Verkehr, Finanz- und Versicherungswesen, öffentliche Verwaltung, Gesundheit, Ernährung, Trinkwasser, Abwasser, Siedlungsabfallentsorgung, Informationstechnik, Telekommunikation und Weltraum.
Die Betreiber solcher Anlagen sollen künftig alle potenziellen Gefahren berücksichtigen, „von Naturkatastrophen, über menschliches Versagen bis hin zu Sabotageakten“. Das Gesetz schreibt den besonderen Schutz allerdings erst ab einer bestimmten Bedeutung vor. Die Vorgaben gelten etwa, wenn eine Einrichtung „essenziell für die Gesamtversorgung in Deutschland ist“. Dies gilt laut Gesetz, wenn sie mehr als 500 000 Personen versorgt, wie das bei großen Kraftwerken und zentralen Strom- oder Gastrassen der Fall ist.
Bis Mai 2027 müssen die Betreiber der Anlagen die Vorgaben erfüllen. Kontrollieren soll dies das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Zudem werden die Betreiber kritischer Infrastrukturen dazu verpflichtet, Vorfälle wie Cyberangriffe auch zu melden.