Süddeutsche Zeitung

Kritik an Wulff-Rede über Islam:"Es gilt das Grundgesetz und nicht die Scharia"

Die Kritik an der Rede von Bundespräsident Christian Wulff über den Islam wird heftiger - vor allem in der Union.

M. Drobinski und R. Preuß

Man merkt Alois Glück die Zerrissenheit an. Einerseits, so sagt er der Süddeutschen Zeitung, sei er froh über das, was Bundespräsident Christian Wulff gesagt habe, "im Gespräch mit Muslimen merke ich, wie sehr die meisten wünschen, ein Teil dieses Landes zu sein", sagt der CSU-Veteran und Vorsitzende des Zentralkomittees der deutschen Katholiken (ZdK). Andererseits hätte Wulff vielleicht doch deutlicher erklären müssen, "dass die christlich-jüdische und die muslimische Tradition in Deutschland nicht einfach gleichgestellt werden können." Wobei nun manchen Kritiker die "Angst vor Identitätsverlust" treibe, was auch nicht gut sei.

Am Sonntag, dem Jahrestag der deutschen Einheit, bekam Christian Wulff noch weitgehende Zustimmung für seinen Satz, dass der Islam - neben der christlich jüdischen Tradition - "inzwischen auch zu Deutschland" gehöre. Nun auf einmal ist die Kontroverse da. Hat der Bundespräsident nur erklären wollen, dass bei vier Millionen Muslimen der Islam Teil des Landes sei? Oder hat er unzulässigerweise dem Islam die gleiche identitätsstiftende Kraft zugeschrieben wie Christentum und Judentum?

Am Mittwoch mehrten sich jedenfalls die kritischen Stimmen, vor allem aus der Union. Fraktionschef Volker Kauder bemängelte, die Rede Wulffs habe "dazu geführt, dass erklärende Interpretationen notwendig geworden sind". Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betonte: "Unsere Grundwerte gründen klar in der christlich-abendländischen Tradition." Es gebe "überhaupt keinen Anlass, den Islam in unsere Werteordnung zu integrieren", sagte er der SZ. "Das wäre auch nicht machbar". Statt Integration hätte Deutschland dann "Multi-Kulti". Deutschland erwarte von jedem, dass er sich voll integriere in die Gesellschaft, unabhängig von Herkunft oder Religion. "Deutschland will aber nicht den Islam integrieren, sondern seine kulturelle Identität bewahren", sagte Herrmann.

Distanziert zeigte sich auch der stellvertretende Unionsfraktionschef Günter Krings. "Der Islam ist Teil der Wirklichkeit hier, aber er zählt nicht zu der traditionellen, gewachsenen Kultur in Deutschland", sagte er. "Es werden innerhalb des Islam auch Werte vertreten, die ich nicht in der deutschen Kultur sehen will, etwa zur Stellung der Frau in der Gesellschaft." Zuvor hatte schon der Berliner CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich seinen Unmut formuliert. Dass der Islam Teil der deutschen Kultur sei, "das unterschreibe ich nicht", erklärte er.

Einer Umfrage der Bild zufolge lehnen zwei von drei Deutschen die Aussage des Präsidenten ab. Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchte am Mittwoch, die Wogen zu glätten. Die CDU-Chefin verwies auf die "prägende Kraft" der christlich-jüdischen Tradition für Deutschland, die "über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende" zurückreiche. Inzwischen lebten viele Muslime in Deutschland, die ihre Kultur und Religion mitbrächten. Darauf habe Wulff hingewiesen. Doch müsse aus ihrer Sicht zugleich klar sein: "Es gilt das Grundgesetz, und nicht die Scharia." Am Abend zuvor hatte sie bereits vor der CDU/CSU-Fraktion gesagt, der Islam gehöre zu Deutschland, sei aber nicht das Fundament des kulturellen Verständnisses der Bundesrepublik.

Doch nicht einmal die Fähigkeit der Kanzlerin, allen das Gefühl zu geben, sie gebe ihnen Recht, beendete die Debatte. Schließlich gibt es auch in der Union viele Politiker, die Wulffs Aussage für richtig halten. Der Vorsitzende des Deutsch-Türkischen Forums in der nordrhein-westfälischen CDU, Bülent Arslan, sagte im Deutschlandfunk, der Islam sei fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft: "Das ist einfach die Entwicklung der Welt."

Auch die niedersächsischen Integrationsministerin Aygül Özkan, die erste muslimische Ministerin, trat für ihren einstigen Chef ein. Sie lobte Wulffs Rede als "ein wichtiges Signal", dass sich "niemand aufgrund seiner Religionszugehörigkeit ausgegrenzt fühlen muss". Die Zuwanderer sollten sich im Gegenzug "mit Deutschland identifizieren ohne ihre Wurzeln verleugnen zu müssen".

So wird die Debatte wohl weitergehen. Was Alois Glück gut findet: "Der Umgang mit dem Islam ist ein Zukunftsthema des Landes."

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Quelle:
SZ vom 07.10.2010/segi
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