Süddeutsche Zeitung

Kritik an US-Waffenlobby NRA:"Paranoide Vision eines noch gewalttätigeren Amerikas"

Irre Logik: Waffen gegen Waffen fordert die amerikanische Waffenlobby NRA eine Woche nach dem Amoklauf in Newtown. Für den Vorstoß wird sie aufs Schärfste kritisiert - von Prominenten, Medien und Politikern.

Eine Woche ist es her, dass ein 20-Jähriger in der amerikanischen Kleinstadt Newtown 27 Menschen und sich selbst erschoss. Erst tötete er seine Mutter, dann 20 Kinder in einer Grundschule und sechs Erwachsene. Seit dem Amoklauf wird in den USA über eine Verschärfung des Waffenrechts diskutiert. Und die US-Waffenlobby? Die fordert mehr Waffen an Schulen - und gerät deswegen in die Kritik.

"Sie haben eine paranoide, verstörende Vision eines noch gefährlicheren und noch gewalttätigeren Amerikas gezeigt, in dem jeder bewaffnet und kein Ort mehr sicher ist", sagte der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg. Der parteilose Politiker plädiert seit Jahren für schärfere Waffengesetze.

Die stellvertretende Direktorin des Anti-Waffen-Gruppe Code Pink, Medea Benjamin, warf der NRA (National Rifle Association) Realitätsverweigerung vor: "Sie haben die Schuld für die Gewalt auf alle möglichen Dinge geschoben - nur nicht auf die Waffen selbst."

Selbst Konservative sind konsterniert: "Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll", sagte Michael Steele, ehemals Parteichef der Republikaner, Spiegel Online zufolge: Der NRA-Vorstoß sei "sehr verstörend".

Als "verlogen" und "wahnhaft" bezeichnet die New York Times die Äußerungen des NRA-Vizepräsidenten Wayne LaPierre - und beschreibt dessen Rede als "fast verwirrte Hasstirade". Senator Frank Lautenberg aus New Jersey sagte, der Verband liege weit von dem entfernt, was die US-Öffentlichkeit wolle.

LaPierre war am vergangenen Freitag, eine Woche nach dem Schulmassaker von Newtown, vor die Presse getreten. Er hatte sich dabei für den Einsatz bewaffneter Polizisten an jeder Schule ausgesprochen. Zugleich machte die NRA auch Medien und sogenannte Ballerspiele für die Tat verantwortlich. "Das einzige, was einen bösen Menschen mit einer Waffe aufhält, ist ein guter Mensch mit einer Waffe", sagte er in Washington.

Während der Pressekonferenz starben vier Menschen bei einer Schießerei in Pennsylvania.

Lächerliche Vorstellung der NRA

Etwa 40 Demonstranten protestierten außerhalb des Gebäudes gegen die NRA. Einer von ihnen, der Lehrer Jason McCool aus Rockville in Maryland, sagte, er werde "nie im Leben" einer Waffe in seiner Klasse zustimmen. Es sei "lächerlich" zu glauben, ein durch zuviel Waffen verursachtes Problem könne durch noch mehr Waffen gelöst werden.

Der Kongressabgeordnete Chris Murphy, der den Distrikt mit der Grundschule in Newton vertritt, nannte die NRA-Ausführungen auf Twitter "das Abscheulichste", was ihm je untergekommen sei.

Viele Amerikaner gedachten am Freitag mit einer Schweigeminute der 27 Opfer des Massakers. An vielen Orten der Ostküste läuteten Kirchenglocken. US-Präsident Barack Obama stärkte den Befürwortern eines strengeren Waffenrechts den Rücken. Eine Kommission unter Leitung von Vize-Präsident Joe Biden soll in den nächsten Wochen Vorschläge unterbreiten, wie solche Gewalttaten künftig verhindert werden könnten.

Das Verbrechen hat die Debatte um Waffenbesitz in den USA neu entfacht. Am vergangenen Freitag veröffentlichten zahlreiche Hollywood-Stars, darunter Gwyneth Paltrow, Julianne Moore und Jamie Foxx, ein Video, in dem sie sich unter anderem für ein Verbot von automatischen Schnellfeuergewehren sowie eine schärfere Überprüfung von Waffenkäufern aussprechen. "Columbine. Virginia Tech. Tucson. Aurora. Fort Hood. Oak Creek. Newtown. Newtown. Newtown," zählen die Schauspieler den letzten und vorangegangene Amokläufe in dem Video auf. "Wie viele mehr?"

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