Kritik an Thilo Sarrazin:Mit dem SPD-Parteibuch ins Grab

Angesichts seines umstrittenen Buchs über Integration fordern Politiker aller Parteien die Ablösung von Bundesbankvorstand Sarrazin. Dieser verteidigt sich gegen "böswillige Interpretationen" - an einen Parteiaustritt denke er nicht.

Nach seinen Äußerungen zu muslimischen Zuwanderern und dem Erbgut von Juden werden die Rufe nach einer Ablösung von Thilo Sarrazin als Bundesbankvorstand lauter.

Weiter Kritik an Sarrazin

Die Kritik an Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin (SPD) wird immer lauter.

(Foto: dpa)

"Ich glaube, die Bundesbank ist jetzt am Zug, denn Herr Sarrazin spricht hier ja nicht nur als Privatmann", sagte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, im ARD-Morgenmagazin. Das gelte "auch wenn er ein Buch als Herr Sarrazin veröffentlicht". Sarrazin sei Mitglied im Vorstand der Bundesbank, und natürlich sei dieser Zusammenhang nicht zu trennen.

Die Staatsministerin sagte, mit seinem Buch und seinen Interviews habe der ehemalige Berliner Finanzsenator eine Linie überschritten. "Es ist unerträglich, und seine Thesen entbehren weitgehend der Grundlage", kritisierte die CDU-Politikerin.

Auch Kanzlerin Angela Merkel hat die Bundesbank wegen der umstrittenen Ausländer-Thesen ihres Vorstands Thilo Sarrazin indirekt zum Handeln aufgefordert. Zwar sei die Bundesbank unabhängig, betonte Merkel am Sonntag im ARD-Sommerinterview. "Ich bin mir (aber) ganz sicher, dass man auch in der Bundesbank darüber sprechen wird."

Dabei sei zu berücksichtigen, "dass die Bundesbank ein Aushängeschild für das ganze Land ist". Zugleich wies sie die Thesen Sarrazins als vollkommen inakzeptabel zurück. Sie seien ausgrenzend und machten ganze Gruppen in der Gesellschaft verächtlich.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, sagte der Berliner Zeitung, Sarrazin sei zu einer unerträglichen Belastung für eine öffentliche Institution wie die Bundesbank und damit für das Ansehen der Bundesrepublik geworden. Der frühere Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Michel Friedman, sagte dem Hamburger Abendblatt, die Bank mache sich angreifbar, solange Sarrazin in ihrer Mitte sei.

Bundesbank-Chef erklärt sich am Nachmittag

Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz warf Sarrazin in der Welt vor, mit seinen Thesen über Einwanderer, Muslime und Juden "den Ewiggestrigen und Neonazis Material" zu liefern. "Er wird auch in seinem Amt bei der Bundesbank nicht zu halten sein."

Ähnlich äußerte sich Grünen-Chefin Claudia Roth im Onlineportal Der Westen. "Seine Äußerungen zeugen von einem rassistischen, menschenverachtenden Geist und sind eine Schande für die Bundesbank ebenso wie für die gesamte Republik."

Bundesbank-Chef Axel Weber will noch am Montag eine Erklärung zu seinem umstrittenen Vorstandskollegen abgeben. Da sich Weber noch auf dem Rückweg aus den USA befinde, sei frühestens am Nachmittag damit zu rechnen, sagte ein Sprecher in Frankfurt.

Thilo Sarrazin hat sich gegen die Empörung verwahrt. Er bestritt, andere als kulturelle Gründe dafür angeführt zu haben, dass er den Muslimen Integrationsunwilligkeit bescheinigt. Es kämen "ethnische Gründe für dieses Anderssein nicht in Frage", sagte das SPD-Mitglied der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. An diesem Montag will er sein Buch "Deutschland schafft sich ab" vorstellen.

"SPD-Parteibuch mit ins Grab nehmen"

"Die Unterstellung, ich hätte irgendwo in diesem Buch behauptet, muslimische Migranten seien aus genetischen Gründen anders, die hat mich schon betroffen gemacht. Es ist eine böswillige Interpretation." Er räumte aber "einen lässlichen didaktischen Mangel" ein: "Ich hätte vielleicht noch stärkere Trennlinien zwischen unterschiedlichen Argumentationssträngen ziehen sollen." Seine These, Integrationsprobleme lägen an Kultur und Religion, stufte Sarrazin nun als "Vermutung" ein.

SPD-Präsidiumsmitglied Ralf Stegner sieht derweil die Erfolgsaussichten eines Parteiausschlussverfahrens mit den jüngsten Aussagen deutlich gestiegen. Stegner sagte, Sarrazin habe "mit seinen offen menschenverachtenden Ansichten in der SPD keinen Platz mehr". Die beste Lösung wäre, er würde die Partei von sich aus verlassen, sagte der Vorsitzende der Sozialdemokraten in Schleswig-Holstein.

Sarrazin will jedoch an seiner SPD-Mitgliedschaft festhalten. "Ich habe vor, das SPD-Parteibuch mit ins Grab zu nehmen", sagte er der FAZ. Spekulationen, er könnte eine neue Partei gründen, wies er zurück: "Etwas Neues habe ich nicht mehr vor." Parteigründungen endeten "fast immer so, dass sich dort sehr schnell die Spinner aller Couleur versammeln".

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