Süddeutsche Zeitung

Kritik an Israel:"Zehn Libanesen für einen toten Israeli"

Erstmals übt ein Landesvorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland Kritik an den Angriffen Israels auf den Libanon. Dafür erntet er heftigen Widerstand.

Christopher Stolzenberg

"Israel läuft in eine Sackgasse und das Judentum wird dahin mitgezogen", sagt Rolf Verleger, Vorsitzender des Jüdischen Gemeinschaft in Schleswig-Holstein, sueddeutsche.de. Der Lübecker Professor für Neurophysiologie ist bislang das einzige Mitglied des Direktoriums des Zentralrats der Juden, das öffentlich die solidarische Haltung des Verbandes mit dem militärischen Vorgehen Israels in Nahost kritisiert.

Die Meinung des Landesvorsitzenden sei ein "Nachplappern von anti-israelischen und antisemitischen Klischees und Stereotypen", sagt der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer. In der jüdischen Gemeinschaft gelte zwar Meinungsfreiheit, was aber voraussetze, "dass man diese auch intelligent nutzt", so Kramer gegenüber sueddeutsche.de. Verleger ließe aber sachliche Argumente vermissen.

"Der Zentralrat bleibt bei seiner solidarischen Haltung zu Israel und den Menschen dort", sagt der Generalsekretär. Die notwendige Kritik an der Regierung Olmert sei bereits geäußert worden. Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats, habe die Äußerungen in ihrer Antwort an den Lübecker Professor "in aller Schärfe zurückgewiesen".

"Ein Gegengewicht zum Zentralrat setzen"

Seinem Unmut machte der umstrittene Landesvorsitzende in einem Brief Luft, der sueddeutsche.de vorliegt, an die Präsidentin des Zentralrats der Juden und andere Direktoriumsmitglieder. Darin schreibt er, der jüdische Staat bestrafe andere Menschen in Kollektivverantwortung, praktiziere Tötungen ohne Gerichtsverfahren und lasse ganze Stadtviertel in Schutt und Asche legen.

In dem intern verschickten Schreiben verurteilt Verleger "Israels Gewaltpolitik" und wirft dem Präsidium des Zentralrats vor, in seinen öffentlichen Stellungnahmen die dunkle Seite der israelischen Politik im Libanon und gegenüber den Palästinensern zu verschweigen.

Der Lübecker Professor protestiert dagegen, dass der Zentralrat "öffentlich Partei für die militärischen Maßnahmen der israelischen Regierung gegen den Libanon ergriffen" hat. Es sei ihm selbstverständlich klar, dass das Präsidium "damit die Mehrheitsmeinung der Juden in Deutschland" ausdrücke. Er hätte jedoch vom Präsidium "noch etwas mehr erwartet". Mit der öffentlichen Äußerung möchte er ein Gegengewicht zur Mehrheitsmeinung setzen, so Verleger.

Kritik üben als jüdische Pflicht

Bis heute hat Verleger vor allem negative Reaktionen auf seine Position erhalten. Andere Landesvorsitzende traten in ihren Briefen Verleger deutlich entgegen. Er argumentiere "überwiegend wie der Großteil der Antizionisten" und stimme in den "Chor der einseitigen Verurteiler Israels" ein, ist in einem Antwortschreiben zu lesen.

Ein weiterer Landesvorsitzender stellt klar, dass "Solidarität mit Israel zu unserer heiligen Pflicht gehört, die in keiner Situation von Juden zur Disposition gestellt werden darf". Er verweist auf antisemitische Aktivitäten von Neonazis in Deutschland und unterstreicht: Die Existenz des Staates Israel gebe ihm "Gefühle der Sicherheit, der ich aber auch jederzeit meine Solidarität mit Israel uneingeschränkt entgegen stellen will".

"Mir geht es auch um das Wohl Israels", erwidert Verleger. Das Vorgehen der Regierung Olmert gegen Libanon sehe er aber als Schaden für Israel. Nur der deutsch-jüdische Publizist Uri Avnery habe sich bislang solidarisch mit seiner Kritik gezeigt, sagt der alleinstehende Kritiker zu sueddeutsche.de. Avnery habe hervorgehoben, dass Verleger erfülle "eine Mitzwa, eine jüdische Pflicht".

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