Kritik an Deutschland in der EU:Auf sie mit Gebrüll

Kritik an Deutschland in der EU: Egal ob in Griechenland, Spanien oder Zypern: Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel schlägt die Wut der Straße entgegen

Egal ob in Griechenland, Spanien oder Zypern: Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel schlägt die Wut der Straße entgegen

(Foto: AFP)

Das Bild vom hässlichen Deutschen, der dem übrigen Europa sein Wirtschaftsmodell aufzwingt: In vielen Nachbarländern droht die Wut der Straße zur offiziellen Politik mit antideutschen Zügen zu werden. Die ständig geschürten Vorurteile gefährden das Fundament der EU.

Ein Kommentar von Martin Winter, Brüssel

Den Deutschen weht in Europa ein rauer Wind um die Ohren. Das tut ihnen nicht gut, aber auch der Europäischen Union nicht. Die feindselige Stimmung verschärft das Misstrauen, die Bereitschaft zur Rettung des Euro sinkt, die Währungskrise könnte zu einer Krise des politischen Bestandes führen.

Man hat sich ja daran gewöhnt, dass sich die Wut in den Krisenländern vor allem gegen die Deutschen richtet. Auch in Nikosia wurde Angela Merkel jüngst wieder als Nazi-Domina karikiert. Gewöhnt hat man sich ebenfalls daran, dass die eine oder andere Regierung eines Krisenlandes Berlin die Schuld an den schmerzhaften Folgen des Krisenmanagements zuschiebt, um von eigenem Versagen abzulenken. Das ist ärgerlich, aber als größtes, wirtschaftlich erfolgreichstes und in der Krisenbewältigung mächtigstes Land bietet sich Deutschland geradezu als Adressat für Frust und Zorn an.

Doch wenn die Wut der Straße und das heimliche Geflüster in den Korridoren der Macht zur offiziellen Politik mit antideutschen Zügen werden, dann wird es ernst. In den letzten Monaten eher schleichend, seit Zypern aber ganz offen, ist die Attacke auf Berlin keine Ausnahme mehr.

Zwei Beispiele: Belgiens Regierung zeigt Deutschland bei der EU-Kommission an, weil sich das Land mit niedrigen Löhnen angeblich unfaire Wettbewerbsvorteile in der EU verschafft. Dass Belgien seine Bürger offen auf einen Gegner jenseits seiner Grenzen einschwört, zeugt von schlechtem europäischen Geist. Indem es aber der vor allem im Süden der Europäischen Union beliebten These seinen amtlichen Stempel aufdrückt - die Deutschen halten ihre europäischen Partner mit Dumpinglöhnen nieder -, verleiht es ihr eine zerstörerische Wucht.

Ein mit den juristischen Mitteln der Kommission ausgetragener und von den reformunwilligen Kräften unterstützter Streit darüber, ob die Deutschen mit ihrer Reformpolitik Schuld am Elend in Griechenland, Portugal oder Italien tragen, wird die EU nicht ohne schwere Schäden überstehen.

Die Bundesregierung ist inzwischen ohne gewichtigen Partner

Keine deutsche Regierung kann eine Umkehr der Verantwortung für wirtschaftliches Versagen akzeptieren. Berlin hat weder Griechen noch Italiener oder Franzosen gezwungen, ihre Länder nicht zu reformieren. Und es war die zyprische Regierung, die ein Geschäftsmodell für ihre Banken ermöglichte, das zum Debakel führte.

Auf Zypern findet sich das zweite Beispiel: Kaum hatte Wolfgang Schäuble zutreffend angemerkt, dass das zyprische Geschäftsmodell offensichtlich gescheitert sei, ging die luxemburgische Regierung zum Angriff über. Gerade Deutschland müsse sich vorsehen, den kleinen Ländern vorschreiben zu wollen, wie sie ihre Wirtschaft betreiben. Die Regierung des Obereuropäers Jean-Claude Juncker erteilte damit dem Vorwurf gegen Deutschland den regierungsamtlichen Segen: Berlin wolle dem Rest Europas sein Modell aufzwingen. Hier zeigt sich, wie weit das Vertrauen unter den Europäern schon beschädigt ist. Kurz ist der Weg zur gezielten Wiederbelebung von Vorurteilen zum Zweck der Einschüchterung.

Belgien und Luxemburg mögen nicht die wichtigsten Länder in der EU sein. Aber sie gehören zur Gründergruppe und haben deswegen Gewicht. Da steht er nun ganz offiziell, der hässliche Deutsche, der dem übrigen Europa sein Wirtschaftsmodell aufzwingt und die Krisenländer am ausgestreckten Arm verhungern lässt.

Sicher, die Deutschen haben seit dem Ausbruch der Krise Fehler gemacht. Dass sich die Kritik nun aber derart auf Deutschland konzentriert, ist eine Novität, die auch dem neuen französischen Präsidenten François Hollande zu verdanken ist. Seitdem der die Kooperation mit Berlin auf Eis gelegt hat, ist die Bundesregierung ohne gewichtigen Partner. Das macht angreifbar. Europa freilich kann diese Sonderstellung nur schaden, denn wer die Deutschen isoliert, der rüttelt an den Grundfesten der europäischen Konstruktion.

Noch gibt es, anders als etwa in Frankreich oder Italien, keine nennenswerten antieuropäischen Kräfte in Deutschland. Das aber kann sich schnell ändern, gerade wenn sich die Deutschen unverstanden fühlen. Sehr zu Recht wurde Berlin zu Beginn der Krise von seinen europäischen Partnern aufgefordert, sich offen gegen griechenfeindliche Vorurteile zustellen. Denn Vorurteile sprengen das Fundament der EU. Deswegen würden die Damen und Herren in Brüssel und die Regierungschefs der europäischen Sache einen großen Dienst erweisen, wenn sie aufhörten, die Vorurteile gegen Deutschland zu befördern. Mehr noch sollten sie endlich die Größe zeigen, den Anwürfen entschieden entgegenzutreten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: