Süddeutsche Zeitung

Krisenrunde am Wochenende:Koalition des Misstrauens

Union und FDP wollen bei einem Spitzentreffen im Kanzleramt versuchen, die tiefen Gräben im Regierungsbündnis wieder zuzuschütten. Doch insgeheim herrscht Ernüchterung: Nach zwei Jahren sei das Misstrauen so groß, dass man nur noch notgedrungen zusammenarbeite, heißt es aus Koalitionskreisen.

Claus Hulverscheidt und Susanne Höll, Berlin

Nach dem Streit über die Nominierung eines gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten wollen die Spitzen der schwarz-gelben Koalition bei einem Treffen am Sonntag versuchen, die tiefen Gräben zwischen ihnen wieder zuzuschütten. In Koalitionskreisen hieß es allerdings, die Ernüchterung und das gegenseitige Misstrauen seien nach gut zwei Jahren gemeinsamer Regierungszeit so groß, dass man nur noch notgedrungen zusammenarbeite.

An dem Treffen am Abend im Kanzleramt werden die Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Philipp Rösler (FDP), die Fraktionschefs Volker Kauder (Union) und Rainer Brüderle (FDP), CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt, Kanzleramtsminister Ronald Pofalla und Finanzminister Wolfgang Schäuble teilnehmen.

Auf der Tagesordnung stehen die Themen Tarifeinheit in Betrieben, Pflegereform, Finanzmarktregulierung und das Sorgerecht bei unverheirateten Paaren. Konkrete Ergebnisse zeichneten sich nur bei der Einführung eines TÜVs für Finanzprodukte ab. In den meisten übrigen Fragen überwogen die Differenzen. Das Treffen soll deshalb vor allem helfen, die Atmosphäre zu verbessern.

Dass sich Koalitionspartner auseinanderleben, hat es in der Geschichte der Bundesrepublik immer wieder gegeben. Das Tempo aber, mit dem sich die vermeintlichen Wunschpartner Union und Freie Demokraten seit dem Wahlsieg im September 2009 voneinander entfernten, ist einzigartig. "Schon in den Koalitionsverhandlungen haben uns CDU und CSU praktisch nur auflaufen lassen", sagte ein Mitglied der FDP-Fraktionsführung. Auch hätten Kabinettsmitglieder der Union wie Schäuble Kernanliegen der Liberalen wie die vereinbarten Steuersenkungen von Beginn an hintertrieben.

In der Union wiederum kontert man, der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle habe nach dem überraschend guten Wahlergebnis seiner Partei "vor Kraft kaum gehen" können und einen realistischen, umsetzbaren Koalitionsvertrag verhindert. Darunter leide das Bündnis bis heute.

Tatsächlich hat die Koalition zentrale Projekte wie eine große Steuerreform und die Abschaffung der Gewerbesteuer nicht zustande gebracht. Andere Vorhaben wie eine Neufassung der Vorratsdatenspeicherung scheiterten, weil es den Partnern nicht gelang, ideologische Gräben zu überwinden.

Streitthema Gauk

Die Unstimmigkeiten gipfelten in einem handfesten Streit zwischen Merkel und Rösler über die Frage, ob der Bürgerrechtler Joachim Gauck Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten werden soll. Die Union fühlte sich von Rösler erpresst und warf ihm zudem vor, seinen Erfolg öffentlich zelebriert zu haben.

Dies sei der "verzweifelte Versuch", die FDP bei der anstehenden Schleswig-Holstein-Wahl über fünf Prozent zu hieven. In der FDP wiederum ärgerte man sich zuletzt über die "unprofessionellen Überlegungen" von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) für einen Euro-Austritt Griechenlands.

Lautstarken Streit dürfte es im Koalitionsausschuss trotz der vielen Querelen nicht geben, wohl aber eine eisige Stimmung. Merkel kann es sich nach Ansicht eines CDU-Kabinettsmitglieds leisten, kühl zu bleiben, weil ihre vermeintliche Niederlage im Fall Gauck der Union in den Meinungsumfragen nicht geschadet habe. Mit im Schnitt 37 Prozent stehen CDU und CSU im Gegenteil so gut da wie seit zwei Jahren nicht mehr. Die FDP verharrt hingegen bei drei Prozent.

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SZ vom 03.03.2012/infu/hai
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