Krise zwischen Russland und dem Westen:In der Sackgasse

Russlands Präsident Medwedjew führt sein Land in eine politische Isolation. Es ist ungewiss, wie Moskau und der Westen aus dieser tiefsten Krise seit dem Zerfall der UdSSR wieder herausfinden wollen.

Sonja Zekri

Die Erklärung endet mit Hinweisen auf die Helsinki-Akte und die Charta der Vereinten Nationen, und es wird betont, dass dieser Schritt "keine leichte Wahl" gewesen sei - aber diese Floskeln ändern nichts an der politischen Sprengkraft.

Krise zwischen Russland und dem Westen: Im freien Fall: Russlands Präsident Dimitrij Medwedjew

Im freien Fall: Russlands Präsident Dimitrij Medwedjew

(Foto: Foto: dpa)

Der russische Präsident Dmitrij Medwedjew hat die Unabhängigkeit der beiden abtrünnigen georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien anerkannt. Die rebellischen Republiken haben Moskau mehrfach um diese Nobilitierung gebeten, sie wurden dabei auch von beiden Kammern des russischen Parlaments unterstützt. Bis zuletzt gab es im Westen, aber auch in Russland die Hoffnung, dass Medwedjew sich zu dieser Demonstration nicht würde hinreißen lassen. Er tat es doch.

Wie Russland und der Westen aus dieser tiefsten Krise seit dem Zerfall der Sowjetunion wieder herausfinden wollen, ist ungewiss. Dies ist der freie Fall.Und er geschah, weil Moskau auf eindrucksvolle Weise vorführt, wie man militärisch siegen, aber politisch untergehen kann.

Seit Wochen steigert sich Moskaus Führung in einen isolationistischen Furor, dabei entladen sich längst verwunden geglaubte Kränkungen. Regierung und Präsident brechen lustvoll Brücken ab, die sie mühsam aufgebaut haben, und fallen sich danach in die Arme.

Ministerpräsident Wladimir Putin hat Vereinbarungen mit der Welthandelsorganisation ausgesetzt, die für Russland "ungünstig" seien, was devote Staatsmedien als "harten, aber eleganten" Schritt bejauchzen. Medwedjew hält Gespräche mit der Nato für verzichtbar, der Generalsekretär der Allianz wurde ausgeladen, der Transit für Nato-Lieferungen nach Afghanistan steht auf dem Spiel. Warenaustausch, militärische Zusammenarbeit gegen den Terrorismus, diplomatische Bemühungen zur Kontrolle Irans, alles dies scheint für Russland keinen Wert mehr zu haben.

Putin hat einst seinem georgischen Gegenspieler Michail Saakaschwili mit Weinboykott und diplomatischer Eiszeit das Leben schwergemacht, aber das Versprechen, Georgiens Grenzen zu respektieren, hatte Bestand. Das ist vergessen. Als sei Russland plötzlich aufgewacht und habe erkannt, dass es seit Jahren Trugbildern von Kompromissen und Partnerschaft nachgelaufen sei, bejubelt es nun den Bruch mit dem Westen als Befreiungsschlag, als Überlebensreflex.

Dabei hat Moskaus Führung es fertiggebracht, dass niemand mehr über den Angriff georgischer Panzer auf Zchinwali spricht und die Welt Kriegsopfer einzig in Tiflis beweint. Georgiens Präsident Saakaschwili, der nach Jahren gescheiterter Polizeiaktionen einen erbärmlich vorbereiteten, miserabel geführten Krieg provoziert hat, wird heute mindestens so sehr durch die russischen Panzer in der georgischen Schwarzmeerstadt Poti gestützt wie durch seine Verbündeten in Washington.

Die russische Börse hatte vor wenigen Tagen nach der irrtümlichen Meldung von der Begnadigung Michail Chodorkowskijs einen kleinen Freudensprung gemacht. Inzwischen ist sie auf dem tiefsten Stand seit Oktober 2006 angekommen. Für den Triumph eines Augenblicks verspielen Russlands Machthaber das Vermögen, das ihre Bürger in Jahren zusammentragen haben. Dieser blinde Rausch hat etwas Selbstzerstörerisches.

In der Sackgasse

Medwedjew ist nicht der erste russische Präsident, der seine Regierungsfähigkeit durch einen Krieg unter Beweis stellt. Putin zog dank des Tschetschenienfeldzugs überhaupt erst in den Kreml ein. Medwedjew, der Jurist, der Ex-Manager, der Internet-Junkie, hat den Russen ein Märchenreich aus Rechtsstaatlichkeit und unbestechlichen Beamten versprochen.

Aber nun widmet auch er sich vordringlicheren Zielen und demonstriert Unnachgiebigkeit gegenüber dem Westen. Dass seine Sympathiewerte in Umfragen von dem Konflikt überraschend wenig profitieren und seit Juli nur von 70 auf 73 Prozent gestiegen sind, mag damit zusammenhängen, dass ohnehin schon ein gewisser Sättigungsgrad erreicht war - oder dass viele Russen doch weiter sehen als der Kreml und die Folgen fürchten.

Moskau empfiehlt sich als neuer Weltpolizist jenseits von Amerika, als Schutzmacht kleiner Völker. Aber dieser Lesart misstrauen selbst befreundete Nachbarländer, die ängstlich ihre russische Bevölkerung zählen, weil Russland - wie in Georgien - einen Vorwand für eine Militäraktion finden könnte. Saakaschwili habe sich des versuchten Völkermordes schuldig gemacht und damit sein Recht auf Abchasien und Südossetien verwirkt, hat Medwedjew gesagt.

Aber auch Inguscheten, Tschetschenen und andere der ungezählten Kaukasusvölker sind nach eigenem Empfinden Opfer von Völkermorden, und manchmal saßen die Täter nebenan, manchmal aber im Kreml. Die Erschütterungen der Entscheidung Medwedjews reichen über den Atlantik, aber an Russlands unruhiger Flanke können sie einen Erdrutsch auslösen.

Moskau will der Weltgemeinschaft seine Regeln diktieren, aber das wird Russland für alles Gas und Öl der Welt kaum gelingen. Stattdessen hat es sich in eine Sackgasse manövriert, in der bereits Kompromisse wie Niederlagen wirken. Aber den Weg hinaus muss Moskau alleine finden.

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