Krise im Nahen Osten:"Die EU muss sich als Vermittler anbieten"

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Kämpfer von Milizen im Irak, die von Iran unterstützt werden, bekannt als al-Haschd asch-Schaʿbī (Volksmobilmachungskräfte), schwenken in Najaf irakische Flaggen. (Foto: dpa)

Die Europaabgeordnete Hannah Neumann fordert mehr Eigenständigkeit gegenüber Washington. Der "geopolitischen Kommission" von der Leyens bescheinigt die Grüne einen Fehlstart.

Interview von Matthias Kolb, Brüssel

Hannah Neumann ist promovierte Konfliktforscherin und seit 2019 Europaabgeordnete der Grünen. In ihrer Fraktion ist sie Sprecherin für Menschenrechts- und Friedenspolitik und leitet die Delegation "Arabische Halbinsel" des Europäischen Parlaments. Als im Oktober Zehntausende Iraker gegen ihre Regierung protestierten, reiste sie in den Irak, führte Gespräche mit Sunniten, Schiiten und Kurden. Neumann ist überzeugt, dass die EU im Nahen Osten mehr erreichen kann, wenn sie als neutral angesehen wird - und nicht als Anhängsel der USA.

SZ: Die EU-Außenminister kommen heute zu einer Sondersitzung zusammen, um über den Nahen Osten zu sprechen. Welche Botschaft muss die Europäische Union nun senden?

Hannah Neumann: Die EU sollte deutlich machen, dass es für die Region und auch die Welt sehr wichtig wäre, wenn es bei der Deeskalation bleibt, die wir im Moment sehen. Beide Seiten, also die USA und Iran, sollten jetzt wieder zu einer regelbasierten Austragung ihres Konflikts zurückkommen und es sollte keine völkerrechtswidrigen Aktionen geben, egal von welchem Akteur. Die EU muss sich als Vermittlerin anbieten, denn der Bedarf ist da. Beide Seiten sind sehr erschrocken über das Ausmaß, das der Konflikt angenommen hat - und wie schwer man da gesichtswahrend rauskommt.

Was könnte die EU konkret anbieten?

Momentan reden die USA und Iran auf höchster Ebene nicht direkt miteinander. Die EU könnte dafür einen Mechanismus aufbauen. Bei der nächsten Eskalation könnten die Konfliktparteien sich an Brüssel wenden, die je eigene Sicht darlegen und etwa um Erklärungen oder Verifikation bitten. Das könnte die klassische Shuttle-Diplomatie sein. Ein weiterer Punkt: Dies ist nicht nur ein Konflikt zwischen Washington und Teheran, sondern die ganze Region ist betroffen.

Ausgetragen wird er gerade auf dem Staatsgebiet Iraks.

Das stimmt, und viele andere Staaten sind ebenfalls sehr besorgt. Saudi-Arabien und Israel, beides wahrlich keine Freunde Irans, haben sofort gesagt: "Das ist nicht unser Konflikt" und auch Oman, Kuwait, Libanon oder Jordanien haben großes Interesse an Vermittlung durch die EU geäußert. Wir werden als neutraler und fairer politischer Verhandler in der Region wahrgenommen und sollten jede mögliche Plattform bieten. Das könnte eine Konferenz sein, die die EU selbst organisiert, oder wir unterstützen einen Akteur aus der Region bei so einem Prozess. Was da in den letzten Tagen passiert ist, glich dem Wurf einer Fackel ins Ölfass, und um einen Brand zu verhindern, sollte man stets Löschdecken parat haben, die man draufwerfen kann.

Hannah Neumann, EU-Abgeordnete und Konfliktforscherin. (Foto: Thierry Roge/EP 2019)

Ursula von der Leyen hat eine "geopolitische Kommission" angekündigt. Wie haben die neue Präsidentin und ihr Außenbeauftragter Josep Borrell reagiert?

Der erste Test hat leider gezeigt, wie schlecht diese Kommission momentan noch aufgestellt ist und ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht wird. Am Freitag war das Attentat auf General Soleimani, und als einzige Reaktion gab es lange nur die Warnung von Josep Borrell vor einer Eskalation. Wie dann der Montag ablief, symbolisiert diesen Fehlstart. Am Morgen rief Borrell erneut zur Deeskalation auf, und zwar Iran und die USA, und lud Irans Außenminister Zarif nach Brüssel ein. Mittags kam das Statement von Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die Teil des Atomabkommens sind: Dort wurde ebenfalls Deeskalation gefordert, aber nur noch von Iran. Abends hat sich endlich Ursula von der Leyen geäußert und ebenfalls nur noch Iran erwähnt. Ich sehe nicht nur ein Kompetenzgerangel, mit den Mitgliedsstaaten und EU-Ratspräsident Charles Michel, sondern auch inhaltliche Fehler.

Die Kritik am Vorgehen Trumps war in Brüssel überall zu spüren, aber sie wird nicht öffentlich geäußert.

Genau, mich stört das sehr. Wenn die EU im Nahen Osten eine Rolle spielen möchte, dann darf sie nicht als Anhängsel der USA wahrgenommen werden. Sie muss sich mit beiden Füßen auf den Boden des Völkerrechts stellen und alle, die gegen dieses Völkerrecht verstoßen, gleichermaßen verurteilen. Die innenpolitische Lage in Iran ist katastrophal, das Regime dort verachtet Menschenrechte wie wenige andere Staaten, aber in Bezug auf die außenpolitischen Aktionen der letzten zwei Wochen muss man sowohl USA als auch Iran kritisieren. Nur wenn die EU-Kommission eine eigenständige Position einnimmt und sich diese Unabhängigkeit wieder erarbeitet, kann sie auf geopolitischer Ebene etwas bewirken.

Momentan wird offensichtlich, dass der Einfluss der EU in der Region sehr gering ist. Welche Fehler haben die europäischen Staaten gemacht?

Die Chance, im Gegensatz zu den USA als fairer Verhandlungspartner zu gelten, wurde in vielen einzelnen Momenten nicht genutzt, weil die EU keine Verantwortung übernehmen wollte oder konnte. Ein gutes Beispiel ist das Atomabkommen, bei dem die Reformer in Iran bewusst die EU als Garantiemacht dazugeholt haben, weil die Hardliner dort den USA nicht trauen. Dann hat Trump 2018 den Deal aufgekündigt und die Iraner haben der EU 14 Monate Zeit gelassen und sich einseitig an die Regeln gehalten. Doch die EU hat es weder finanzpolitisch geschafft, die Folgen der US-amerikanischen Sanktionen aufzufangen, noch die Amerikaner zurück an den Tisch zu holen.

Was hat die EU im Irak getan, als es zu Demonstrationen gegen die Regierung kam?

Die Protestierenden haben von Oktober an ganz klar gesagt, dass sie sich einen unabhängigen Irak wünschen und den Einfluss der Iraner und der Amerikaner zurückdrängen wollen. Auch viele Schiiten haben auf den Straßen protestiert gegen eine schiitische Regierung, die eng mit Iran verbandelt ist. Als massiv auf die Demonstranten geschossen wurde, riefen viele Iraker die EU zur Vermittlung auf. Brüssel sollte, so der Wunsch, mit beiden Seiten reden, damit das Töten aufhört. Die EU hat in Bagdad eine Mission mit 90 Leuten, die das Innenministerium zwar berät, aber in der Situation nahezu passiv blieb. Das ist zu wenig, da fehlt es an Entschlossenheit und Weitsicht. Einflussmöglichkeiten hätte die EU, denn das Handelsvolumen mit der Region ist fünf Mal größer als jenes mit den USA.

Sie haben im Oktober den Irak bereist und mit Demonstranten gesprochen. Welche Folgen hat die Tötung von General Soleimani für die Bewegung?

Trump hat diesen Menschen leider einen echten Bärendienst erwiesen. Es waren vor allem Milizen, die Iran nahestehen, die Gewalt gegen Demonstranten ausgeübt haben. Viele Protestierende haben unglaublich viel Angst, dass noch mehr Menschen getötet werden, sollten die US-Truppen abziehen. Die Sorge vor Vergeltung ist enorm und plötzlich wird von manchen die Präsenz der USA positiver gesehen. Ich hatte die demonstrierenden Schiiten erwähnt, es gab die Hoffnung auf eine kleine demokratische Öffnung. Der Premier ist immerhin zurückgetreten, eine Wahlreform war zugesichert und der schiitische Block hatte sich ausdifferenziert. Das waren positive Entwicklungen, doch über solche Themen redet keiner mehr. Die Protestbewegung und die Hoffnungen der jungen Iraker sind nun im Keim erstickt, weil ihr Land Spielball eines viel größeren Konflikts ist.

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