Krise in Nahost:In Krieg verstrickt

Israeli-Palestinian conflict

Nahostkonflikt: Familienangehörige trauern um ein Mitglied der Fatah, das bei einem Luftangriff der Israelis im südlichen Gazastreifen ums Leben gekommen ist

(Foto: dpa)

Israelis und Palästinenser führen wieder Krieg. Er war nicht gewollt, trotzdem haben sich beide darin verstrickt. Der ungewollte Konflikt zeigt, dass ein Dritter fehlt, der hätte vermitteln können. Das macht die neue Krise so gefährlich.

Ein Kommentar von Peter Münch

Ein Krieg ist wie ein langer Tunnel. Jeder kann den Eingang sehen, und jeder fürchtet, dass es dahinter finster wird. Dennoch entfaltet dieser Tunnel oft eine Sogwirkung. Israelis und Palästinenser haben sich nun wieder hineinziehen lassen in diese Finsternis und führen eine Auseinandersetzung, die ritualisiert wirkt - Krieg als ein periodisch einzusetzendes Mittel zum Spannungsabbau. Bei aller Erfahrung mit diesen Waffengängen in Nahost sollte sich jedoch niemand dem Glauben hingeben, dass ein Krieg beherrschbar wäre. Denn drinnen im Tunnel gibt es keine Orientierung mehr, und niemand weiß, ob und wann am anderen Ende wieder Licht aufschimmert.

Es ist eine bedrückende Erfahrung, wie schnell im Nahen Osten ein Krieg losbrechen kann. Gewiss: Im aktuellen Fall kann keiner davon sprechen, dass zwei Völker und ihre Anführer mit Hurragebrüll aufeinander losziehen. Vielmehr wollten weder Israelis noch Palästinenser diese Schlacht. Aber sie haben sich mit verworrenen Motiven ineinander verstrickt. Nun ist lediglich klar, dass Blut fließt und gestorben wird.

Auf israelischer Seite muss man Premierminister Benjamin Netanjahu zugutehalten, dass er versucht hat, die endgültige Konfrontation zu vermeiden. Gewiss hat auch er seinen Teil zur Eskalation beigetragen mit der überbordenden Aufräumaktion gegen die Hamas-Infrastruktur im Westjordanland, die Israels Armee unter dem Deckmantel der Suche nach den drei entführten Schülern durchexerziert hat.

Doch vor dem Ausbruch der ungebremsten Feindseligkeiten hat Netanjahu der Hamas ein Angebot gemacht, das sie besser nicht abgelehnt hätte: "Ruhe wird mit Ruhe beantwortet." Diese Botschaft war in der vergangenen Woche auf verschiedenen Kanälen nach Gaza übermittelt worden. Als Antwort ging ein Raketenhagel nieder, der im Süden Israels den Sirenenalarm und in den Jerusalemer Regierungszentralen den Reflex zur Selbstverteidigung ausgelöst hat. Dort gilt der Angriff noch immer als die beste Art der Verteidigung.

Warum Israelis und Palästinenser einen ungewollten Krieg führen

Ganz offenkundig hat die Hamas Netanjahus Angebot fehlinterpretiert - als Zeichen der Schwäche, die im Nahen Ostens stets gnadenlos ausgenutzt wird. Sie hat in eigener desolater Lage eine Chance gewittert, sich zu einem kalkulierbaren Preis als Kraft des Widerstands gegen Israel zu profilieren. Doch der Preis ist jetzt schon höher, als die Hamas berechnet hat, und am Ende könnte es ihr gar blühen, dass sie für ihre Provokation mit dem Machtverlust bezahlt.

Wer diese Eskalation in allen Schritten nachvollzieht, der sieht, dass dieser Krieg nicht zwangsläufig war. Natürlich wird jede Entscheidung zum Beschuss bewusst getroffen, zufällig drückt niemand den Abzug. Doch wenn zwei den Krieg nicht wollen und ihn trotzdem führen, dann ist klar, dass ein Dritter fehlt, der zwischen ihnen hätte vermitteln und das Schlimmste verhindern können.

Der übliche Vermittlungs-Verdächtige ist in diesem Fall außen vor: Die USA und in ihrem Gefolge auch die Europäer unterhalten keine Kontakte zur Hamas, die als Terrororganisation eingestuft wird. In früheren Fällen war das auch nicht nötig, weil in Kairo Präsidenten saßen, die nach allen Seiten die Kanäle offen hielten. Hosni Mubarak hatte nach dem Krieg von 2008/09 die Waffenruhe vermittelt. Der Muslimbruder Mohammed Mursi regelte die Dinge im November 2012. Doch heute herrscht in Ägypten der Präsidenten-General Abdel Fattah al-Sisi, der die Hamas zum Feind erklärt hat und keinerlei Grund sieht, sie vor dem Untergang zu bewahren.

Ringsum ist also niemand in Sicht, der die Gewalt eindämmen könnte. Das macht diesen neuen Krieg auch im Vergleich zu den vorhergehenden so gefährlich. In Gaza selbst könnten israelische Bodentruppen in einer nächsten Eskalationsstufe eingesetzt werden. Das bedeutet möglicherweise: Häuserkämpfe in den äußerst dicht besiedelten Städten und damit viele zivile Opfer.

Auch jenseits des unglücksseligen Küstenstreifens könnten sich neue Brennpunkte entwickeln. Die Hamas versucht ohnehin mit aller verbliebenen Kraft, den Kampf ins Westjordanland zu tragen und dort eine Intifada gegen die israelischen Besatzer zu entfachen. Diese Intifada dürfte sich dann durchaus noch weiter austoben, selbst wenn in Gaza irgendwann die Waffen schweigen.

Finstere Szenarien sind das, die längst nicht beschlossen, aber auch nicht ausgeschlossen sind. Tief drin im Tunnel tauchen solche Schreckensbilder auf. Je schneller Licht in diesen düsteren Schacht dringt, desto besser ist es für alle Seiten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: