Süddeutsche Zeitung

Krise in Italien:Letzte Zuckungen des Systems Berlusconi

Silvio Berlusconi hat das moderne, hedonistische Italien geschaffen. Er hat Politik und Unterhaltung verschmolzen, Medien und Justiz korrumpiert - und das deformierte Land nun mit sich in die Tiefe gezogen. Die Krise ist noch nicht überstanden, am Ende aber wird die Demokratie auch in Italien für die nötige Korrektur sorgen - und ihre Würde bewahren.

Stefan Kornelius

Silvio Berlusconis politischer Niedergang spult sich seit Jahren schon wie in Zeitlupe ab. Allein in diesem Jahr häuften sich die Vertrauensabstimmungen im Parlament, wackelte die Mehrheit, knirschte es in der Koalition, kam die Staatsanwaltschaft immer wieder zu Besuch. All dies zeugt von der houdinihaften Wendigkeit eines Mannes, der die italienische Politik seit fast 20 Jahren prägt, und der in dieser Zeit drei Mal als Ministerpräsident diente. Nun aber liegt der politische Berlusconi auf dem Sterbebett, er spricht von seiner Müdigkeit und nimmt die übernächste Generation in die Pflicht. Noch einmal wird er den Entfesselungstrick nicht schaffen. Berlusconi ist am Boden angekommen.

Mit hinab gezogen in die Tiefe hat er ein Land und dessen politisches System, das von seinem Schöpfer ausgelaugt und deformiert wurde. Berlusconi hat das moderne, hedonistische Italien geschaffen, er hat Politik und Unterhaltung verschmolzen, Medien und Justiz korrumpiert, Dekadenz und Demokratie vermählt.

Das politische Italien aus der Zeit nach dem großen Parteienkollaps der frühen neunziger Jahre ist eine Prägung Berlusconis. Seine Forza Italia übernahm das Erbe der korrupten und dann zerschlagenen Konservativen und der Moderaten. Gleichzeitig zerfiel das linke Lager und fand bis heute seine Seele nicht wieder. Mit ein bisschen Wohlstandspopulismus und mit Hilfe der Macht der Regionalparteien baute sich Berlusconi seine politische Spielfläche.

Heute ist das System in Agonie verfallen. Eine komplette Generation Italiener, geprägt von den bonbonfarbenen Bildern aus den Fernsehstudios Berlusconis und den Eskapaden des Ministerpräsidenten, steht vor einem disfunktionalen politischen Apparat und wünscht sich Erlösung von dem Übel. Aber wie? Nicht mal das Bewusstsein für den möglichen Untergang will sich einstellen, obwohl die Schulden wie Mühlsteine um den Hals hängen.

Es gibt am Ende zwei Gründe, warum in Italien wie zuvor schon in Griechenland die Regierungskrise und am Ende auch der Regierungswechsel unvermeidlich waren. Zermürbt wurde der nationale politische Betrieb zunächst von außen, durch den Druck der Euro-Staaten. Eigentlich hatten alle Regierungen der Euro-Zone einen Überlebens-Pakt geschlossen. Berlusconi und viele griechische Regierungen bis zu der von Giorgos Papandreou hielten ihren Teil der Abmachung aber nicht ein. Sie verletzten die Schuldenregeln, sie scheuten Reformen aus Furcht vor Härten gegenüber der eigenen Klientel.

So entstand im Währungsbündnis eine Spannung, die kein Berlusconi und keine griechische Regierung mehr aushalten konnten. Das rein nach innenpolitischer Logik funktionierende Machtsystem des italienischen Premiers oder eben die Klientelwirtschaft in Griechenland konnten nicht mehr funktionieren. Die Autarkie dieser Systeme war zerstört.

Den entscheidenden Anteil am Wechsel trugen am Ende aber die nationalen Parlamente bei, deren Abgeordnete ebenso vom Vertrauensverlust getroffen waren. Berlusconi verlor seine Macht, weil er die Mehrheit im Parlament verlor, weil einzelne, mutige Abgeordnete, Hinterbänkler, Menschen mit Verantwortungsbewusstsein diesen Regierungschef nicht mehr ertrugen und vielleicht auch ganz banal um ihre Glaubwürdigkeit und damit ihren Job fürchteten. Opportunismus und Loyalität sind ein Zwillingspärchen - nicht nur der Politik.

Justitia regnorum fundamentum - die Gerechtigkeit ist das Fundament der Herrschaft: Was den Monarchen Österreichs bei der Ausfahrt durch das Äußere Burgtor der Wiener Hofburg mahnend entgegenprangte, gilt heute genauso für die demokratisch gewählten Premierminister Europas. Die Wähler haben ein feines Sensorium für Ungerechtigkeiten. Sie akzeptieren nicht, wenn sich ein System verselbstständigt, wenn eine Partei nur noch sich selbst dient, wenn ein Gemeinwesen egoistisch missbraucht wird. So wie die Finanzmärkte das Vertrauen in eine Regierung verlieren, so verlieren auch Wähler das Vertrauen und sorgen für eine Korrektur.

Das parlamentarische System hält für diesen Wunsch nach Korrektur ein wunderbares Werkzeug bereit: die Vertrauensabstimmung und letztlich die Neuwahl. In Irland wechselte die Regierung geradezu lautlos unter dem Euro-Druck, die einstmals allmächtige Fianna Fail wurde marginalisiert. In Spanien nahm der Regierungschef den Abwehrkampf erst gar nicht auf und verzichtete auf eine neue Kandidatur. Seine sozialistische Partei wird am 20. November erfahren, ob der Opfergang ausreicht.

In Griechenland und Italien haben die Eigenarten der politischen Kultur und der Egozentrismus der Führungsfiguren heftige Zuckungen in der Phase des Übergangs ausgelöst. Die Krise ist noch nicht überstanden, das alte System klammert sich an die Macht. Am Ende aber wird die Demokratie ihre Würde bewahren und das parlamentarische System für die notwendige Korrektur sorgen. Im Falle Berlusconi, der nicht nur eine Partei sondern eine Bewegung angeführt und mehr als einmal populistisch missbraucht hat, ist diese Erkenntnis doppelt tröstlich.

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SZ vom 10.11.2011/beu
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