Süddeutsche Zeitung

Griechenland am Abgrund:Verkaufte Heimat

Die mageren Gehälter und Renten hat man ihnen um 15 Prozent gekürzt, die Steuern sind in die Höhe geschnellt. Benzin kostet 60 Prozent mehr als vor einem Jahr, die Schachtel Zigaretten ein Viertel mehr: Athen ist zu einer der teuersten Städte Europas geworden. Vor allem die kleinen Leute zahlen in Griechenland den Preis für die Schuldenkrise - sie haben den Glauben an die gesamte politische Klasse verloren.

Kai Strittmatter, Athen

Athen am Morgen danach. In der Luft noch Reste von Tränengas. Fassungslosigkeit auf den Titelseiten der Zeitung. Müdigkeit in den Augen der "Empörten" auf dem Syntagma-Platz nach dem Tag der Proteste und der Ausschreitungen, nach der Nacht der Purzelbäume ihres Premiers. In ihren Zorn mischt sich nun Spott. Den "Frou Frou" habe Giorgos Papandreou gegeben, meint eine Frau, so heißt der Pumuckl auf Griechisch, und wenn der auch lustig anzusehen ist und im Herzen bestimmt nicht böse - regiert werden möchte man schon in guten Zeiten nicht von so einer Figur. Einen "fatalen Romanhelden" nennt die Zeitung Kathimerini den Premier, der in der Nacht zum Donnerstag das Talent besaß, mit seinem Rücktrittsangebot, das er kurze Zeit danach wieder zurücknahm, die Krise auch noch zu einer Farce zu machen.

Oberhalb des Platzes, vor dem Parlament, steht ein selbstgebastelter Galgen, Touristen lassen sich davor fotografieren. Daneben ein Banner: "Haut ab. Alle 300". Egal von welcher Partei, alle Abgeordneten sind gemeint. Die politische Klasse von links bis rechts hat ihr Kapital verspielt. Staatspräsident Karolos Papoulias sorgt sich nun, die Krise könnte "zu einer Krise der Demokratie" werden. Doch das ist sie schon längst.

Die Menschen hier auf dem Platz versuchen, sich in einem Paralleluniversum neu zu erfinden. "Wir bauen die Akropolis neu", steht auf einem Plakat, "Reboot the world" auf einem der Zelte, in denen sie seit drei Wochen nächtigen. Rockmusik läuft, ein Mann mit halbnacktem Oberkörper wäscht sein Griechenland-Fähnlein im Brunnen. Auf den Bänken, auf dem Boden viele Sticker: "Wir schulden nichts, wir verkaufen nichts, wir zahlen nichts - raus!" Zelte, Stände, Flugblätter, sie haben den Platz zu einem Basar der direkten Demokratie gemacht.

An einem Stand steht Nikos, bald 70 Jahre alt ist er. Ein bitterarmes Griechenland? Er kennt das aus seiner Jugend. Vor einem halben Jahrhundert war er im Hafen von Piräus auf ein Schiff gestiegen und nach Amerika gefahren, "krank vor Hunger". 1999 ist er wiedergekehrt. "Um was zu sehen? Dass meine Heimat verkauft wird. Dass mein Land zu einem Lumpen geworden ist." Den Premier findet er nur noch lächerlich, den Oppositionsführer nicht besser. In einer Umfrage vom Sonntag sprachen drei von vier Griechen sowohl der Regierung als auch der Opposition ihr Misstrauen aus. "Nicht einer von denen ist zurückgetreten. Nicht einer musste ins Gefängnis", sagt die Psychologin Zoe Ganatsious. Sie fühlt sich auch von Papandreou und seinem Sparkurs betrogen: "Man hat uns etwas anderes versprochen." Den Menschen geht es immer schlechter, alles Geld, das Athen bekommt, fließt direkt weiter an die Gläubiger, und dennoch wächst der Schuldenberg stündlich. "Wir sitzen in der Falle", sagt die Psychologin.

"Die Menschen wollen nicht mehr", meint Anna Tzelepi, eine 56-jährige Rechtsanwältin, die Tag für Tag auf dem Platz steht und sich den Zorn von der Seele brüllt. "Keiner glaubt noch, dass für die Bürger etwas Gutes dabei rauskommt." Hier auf dem Platz wollen sie deshalb nicht bloß ihren Politikern, sondern auch der Europäischen Union und dem Internationalen Währungsfonds gleich den Fußtritt verpassen. Wer aber rettet dann das Land? "Die Chinesen", sagt eine Frau, "die nehmen weniger Zinsen." Es ist ihr ernst, aber die Meinung teilen nicht viele. "Die Griechen selbst", glaubt der einstige Amerikafahrer Nikos: "Wir sind ehrlich und arbeitsfreudig. Betrogen und gestohlen haben die da." Er zeigt hoch zum Parlament.

Es sind Rentner und Studenten, Handwerker und Lehrer, einfache Bürger, linke Anarchisten und Rechtsextreme, die hier zusammenkommen. Die mageren Gehälter und Renten hat man ihnen im letzten Jahr um 15 Prozent gekürzt, die für manche lebenswichtigen Zulagen gestrichen, die Steuern sind in die Höhe geschnellt. Benzin kostet 60 Prozent mehr als vor einem Jahr - der Preis für Super steht bei 1,80 Euro -, die Schachtel Zigaretten ein Viertel mehr: vier Euro. Ein U-Bahn-Ticket kostet statt einem Euro nun 1,40. Athen ist zu einer der teuersten Städte Europas geworden. Viele Griechen müssen mit 20 bis 30 Prozent weniger Geld auskommen als vor einem Jahr, eine verbeamtete Lehrerin etwa verdient 1000 Euro im Monat. Vier von zehn Griechen unter 25 Jahren haben gar keine Arbeit. Wer kann, verlässt das Land.

Alle sind empört darüber, dass die von EU und IWF diktierten Maßnahmen wieder einmal nur die kleinen Leute treffen, hinzu kommt, dass das Opfer nun so aussichtslos erscheint: Es hilft doch nichts. Von wegen Umstrukturierung der Schulden, sagt einer. Was man wirklich brauche, sei die Umstrukturierung der politischen Klasse - und zwar nicht im Papandreou'schen Zwergenformat. Regierungsumbildung? So einen wie den Premierminister nennen sie hier mit einem alten Sprichwort den "Manolios, der das Innere seiner Kleider nach außen stülpt". Es bleiben doch dieselben Kleider. "Eine Gesellschaft, die wegdriftet", beobachtet der Schriftsteller Takis Theodoropoulos: "Jeder verlangt nach seiner eigenen Route. Seit Aischylos ist das der Punkt, an dem die Tragödie beginnt."

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Quelle:
SZ vom 17.06.2011/segi
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