Krise in der Ukraine:Die Fünf-Tage-Herrschaft des "Volksgouverneurs" Gubarew

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Selbsternannter "Volksgouverneur": Pavel Gubarew im Gespräch mit Journalisten, nachdem pro-russische Aktivisten das Verwaltungsgebäude am 4. März besetzt haben. (Foto: AFP)

Im ost-ukrainischen Donezk gelingt es einem 31-Jährigen, mit Moskaus Hilfe die Bezirksregierung an sich zu reißen. Fast eine Woche lang weht die russische Flagge auf einem Verwaltungsgebäude, doch die Mehrheit der Ost-Ukrainer will keinen Anschluss.

Von Florian Hassel, Donezk, Donezk

Die Herrschaft des Volksgouverneurs endet in einer kleinen Wohnung in der Majakowskij-Straße 20. Fast eine Woche lang hat der ehemalige Geschichtsstudent Pawel Gubarew in der Millionenstadt Donezk so tun dürfen, als sei er der neue Herrscher des Donbass, der wichtigsten Industrie- und Bergbauregion im Osten der Ukraine.

Gubarew, 31 Jahre alt, von schmaler Gestalt, mit braunen Haaren zum spärlichen Bart, und noch vor wenigen Wochen auch in Donezk völlig unbekannt, hat als selbsternannter "Volksgouverneur" die Elite der Bergbau- und Industriestadt im Südosten der Ukraine herumkommandiert, den Stadtrat nach seiner Pfeife tanzen lassen, die Bezirksregierung besetzt und so getan, als sei der Anschluss an Russland nur noch eine Formsache - gestützt von Moskau, aber auch von Mitgliedern der Donezker Elite und vielen unzufriedenen Bürgern.

Fünf Tage dauert es, bis der ukrainische Staat in Donezk, der Heimat des gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch, zurückkehrt, der Staatsanwalt Haftbefehl wegen des Verdachts auf die "gewaltsame Erstürmung von Staatseinrichtungen, gewaltsamer Machtergreifung und Verschwörung zum Schaden der territorialen Integrität der Ukraine" erlässt und Beamte des Sicherheitsdienstes SBU Gubarew festnehmen.

Der stellvertretende Bürgermeister entkommt über die Nottreppe

Noch bevor Gubarew selbst verhaftet wird, räumen Polizeikommandos die zuvor von seinen Anhängern besetzte Bezirksregierung - Zentrum der Macht in Donezk. Und sie nehmen Gubarew-Leute fest, die im Rathaus die staatliche Finanzkasse besetzt hatten. Doch das Ringen um Donezk, um den Osten der Ukraine, ist damit nicht beendet.

Ein paar Meter neben der Finanzkasse residiert Sergej Bogatschow, der Stellvertreter des Bürgermeisters. Bogatschow, Doktor der Wirtschaftswissenschaften und Buchautor, Leiter des Stadtrats, ist ein vornehmer Herr mit Metallbrille und grauem Haar. Bogatschow war dabei, als Volksgouverneur Gubarew den Stadtrat drängte, sich von der neuen Regierung in Kiew loszusagen, und er war dabei, als er mit Anhängern den Sitz der Bezirksregierung stürmte, das Bezirksparlament für aufgelöst erklärte und die Parlamentarier stundenlang als Geiseln hielt. Bogatschow hatte Glück: Er entkam über eine Nottreppe und einen Lastenaufzug.

"Wir hoffen, dass in Donezk jetzt wieder Ruhe einkehrt", sagt Bogatschow - aber sicher ist er sich nicht. "Ich schließe nicht aus, dass viele der angeblichen prorussischen Demonstranten aus Russland zu uns gekommen sind, aber es bleibt eine Tatsache, dass Gubarew die Stimmung mehrerer Tausend Menschen in Donezk ausgedrückt hat. Das muss die Regierung in Kiew berücksichtigen und mehr auf die Menschen in der Ostukraine zugehen."

In der Tat: Als der selbsternannte "Volksgouverneur" einen Tag vor seiner Festnahme zur Großdemonstration vor der besetzten Bezirksregierung aufruft, kommen zwar nicht 50 000 Menschen. Doch immerhin 3000 Donezker rufen "Russland, Russland" und "Gu-ba-rew", als der "Volksgouverneur" auf den Balkon der Regionalverwaltung tritt und ein Helfer auf dem Dach die ukrainische Fahne durch die russische ersetzt.

Absurde Erfindungen der russischen Propaganda

Es jubeln der pensionierte Bergmann Alexander Djemtschenko, der Ingenieur Sergej Stepanow und die 53 Jahre alte Kleinunternehmerin Natalja Sabrantschuk. Sie alle sind erzürnt, weil Kiew zwar gern die Steuern aus dem Osten einziehe, aber der Region kaum Aufmerksamkeit widme. Sie empfinden es als Frechheit, dass russischsprachige Ukrainer Sprachtests auf Ukrainisch bestehen sollen. Kleinunternehmerin Sabrantschuk ist überzeugt, dass die Proteste auf dem Maidan "von den USA und der EU bezahlt waren".

Ein Drittel aller Ukrainer, so wird geschätzt, hat noch nie die eigene Region verlassen. In Donezk, wie in der ganzen Ostukraine oder auf der Krim, nutzen viele Menschen vor allem russisches Fernsehen oder die tendenziösen Medien des Oligarchen Rinat Achmetow, der mit Janukowitsch eng verbunden ist. Und selbst jetzt noch ist keine Erfindung der russischen Propaganda zu absurd, als dass Anhänger Gubarews sie nicht glauben würden.

Die 40 Jahre alte Buchhalterin Swetlana etwa ist überzeugt, dass "in Kiew jetzt Neofaschisten an der Macht sind, die Bewaffnete hierhin schicken wollen, um uns alle zu töten". Schon habe die neue Regierung unterschrieben, die Hälfte der Metallvorräte der Ostukraine den USA zu überlassen und die Bergwerke Finnland - und in der ukrainischen Verfassung stehe, dass die Zentralbank nicht aus Kiew, sondern aus dem Ausland gesteuert werde. Deshalb findet Swetlana die von Gubarew ausgegebenen Parolen überzeugend, dass es besser sei, "Russland beizutreten und russische Friedenstruppen um Hilfe zu rufen".

Selbst in Donezk, der russlandfreundlichsten Region der Ostukraine, ist dies freilich eine Minderheitsmeinung. Nur ein Drittel der Einwohner ist dafür, sich Russland anzuschließen, so eine Februar-Umfrage der Stiftung Demokratische Initiativen. In Lugansk und Odessa sind laut Umfrage lediglich 24 Prozent für einen Russland-Beitritt, noch weniger Menschen befürworten den in den Regionen Saparoschija, Charkow und Dnjeprpetrovsk. Und auch Donezks Bürger sind geteilt: Knapp die Hälfte der etwa eine Million Einwohner bezeichnet sich als Russen, die andere als Ukrainer.

Während "Volksgouverneur" Gubarew die letzten Stunden seiner kurzen Herrschaft auskostet, organisieren andere Donezker eine Protestwelle gegen ihn. Volodymyr Kipen ist Direktor des Instituts für Sozialforschung und politische Analyse; jetzt mobilisiert er Menschen in Donezk, die für die Einheit der Ukraine demonstrieren.

Kipen und andere Organisatoren treffen sich mit Serhij Taruta, dem erst kürzlich ernannten Gourverneur der Donezk-Region. Der Gouverneur verspricht Polizeischutz für eine Pro-Einheitsdemonstration, aber warnt: "Ich kann euch keine vollständige Sicherheit garantieren - ich weiß noch nicht, ob die Sicherheitskräfte mir folgen."

Auch der neue Gouverneur greift jetzt durch

So bitten Kipen und Co kampferprobte Kräfte um Beistand: die "Ultras", die nationalistischen Fans des Fußballclubs Schachtar Donezk. Als der Leninplatz im Zentrum am Mittwochabend bei der Demonstration "Für eine einige Ukraine!" zum ersten Mal seit langer Zeit in ein Meer aus ukrainischen Fahnen getaucht ist, werden die mehr als 5000 Demonstranten nicht nur von der Polizei geschützt.

Als nach dem Ende der Kundgebung pro-russische Schlägertrupps die Polizeiabsperrung durchbrechen und die Demonstranten angreifen wollen, werfen sich ihnen die Ultras entgegen. Auch der neue Gouverneur greift nun durch, tauscht die Chefs der Polizei und des Sicherheitsdienstes SBU aus und lässt am Donnerstag den Sitz der Regionalregierung und alle anderen von Gubarew-Anhängern besetzten Behörden räumen.

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Am späten Nachmittag dann verhaften SBU-Offiziere den "Volksgouverneur" in seiner Wohnung. Analyst Kipen erklärt, warum Gubarew überhaupt tagelang ungestört wirken konnte: Gubarew habe die Unterstützung der russischen Geheimdienste gehabt. Aber auch die Mitglieder der Donezker Elite hätten Gubarew aufgebaut und ihm freie Hand gelassen. Die "Volkserregungen" in Donezk und anderswo seien auch "Warnungen der hiesigen Elite an die neue Regierung."

Fanatische Gefolgsleute von Gubarew geben nicht auf

Auch etliche Behördenchefs und Unternehmensführer üben sich in subtiler Sabotage der neuen Kiewer Regierung. So bekommen ihre Angestellten nur die Hälfte des Gehalts ausgezahlt - mit der erfundenen Begründung, mit dem Rest ihres Gehalts werde die Reparatur des Maidan in Kiew bezahlt.

Die fanatischsten Gefolgsleute Gubarews geben auch nach der Verhaftung des "Volksgouverneurs" nicht auf. In der Nacht zum Freitag belagern zwischen 200 und 300 Anhänger erst das Hauptquartier des Sicherheitsdienstes, dann versuchen einige vergeblich, auf dem Flughafen die Verlegung Gubarews nach Kiew zu verhindern. An diesem Samstag wollen sie in Donezk wieder protestieren.

Doch auch die Anhänger einer einigen Ukraine ruhen nicht. Bogdan Chaban, 20 Jahre jung und Besitzer eines Cafés in Donezk, hat sich bis vor einer Woche "nicht besonders für Politik interessiert". Das änderte sich, als Gubarews Leute gewalttätig wurden und zum Anschluss an Russland aufriefen. Seitdem hilft Chaban bei der Organisation der Pro-Einheitsdemonstrationen mit. "Meistens verabreden wir uns über Facebook und anderen sozialen Netzwerken".

Freiwillige stehen vor den Wehrämtern stundenlang Schlange

Die starke Pro-Russlandpropaganda habe zum ersten Mal selbst viele ethnische Russen zu bekennenden ukrainischen Patrioten gemacht. "Ich komme aus einer russischen Familie, aber ich lebe in der Ukraine, und ich will auch, dass das so bleibt und wir nicht von Russland geschluckt werden", sagt Chaban. "Und ich bin nicht der einzige: Früher haben unsere Wehrämter die Wehrpflichtigen suchen müssen - jetzt stehen junge Ukrainer stundenlang Schlange, um sich zu melden."

Schon bereiten Chaban und seine Mitstreiter für Sonntagmittag die nächste Demonstration "Für eine einige Ukraine" auf dem Lenin-Platz vor. "Unsere wichtigste Aufgabe ist klar: Wir müssen unbedingt einen blutigen Zusammenstoß mit Provokateuren vermeiden, der Putin einen Vorwand geben könnte, bei uns einzumarschieren. Bei einem Mann, der sagt, auf der Krim seien keine russischen Soldaten, müssen wir mit allem rechnen."

© SZ vom 08.03.2014/uga - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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