Süddeutsche Zeitung

Krise in der Ukraine:Der Westen steht im Wort

Die Situation wird jeden Tag absurder - und unerträglicher. Brüssel und Washington dürfen nicht einfach zuschauen, während Moskau dazu beiträgt, die Ostukraine weiter zu destabilisieren.

Ein Kommentar von Cathrin Kahlweit

Täglich wird die Situation absurder. Aus der Russischen Föderation rollen Panzer aus russischen Armeebeständen über Grenzposten in die Ukraine, die von prorussischen Separatisten gehalten werden. Ein ukrainisches Flugzeug wird von prorussischen Milizionären der selbsternannten Lugansker Volksrepublik abgeschossen, 49 ukrainische Soldaten sterben. Bei Dobropillja wird nach Kämpfen von der ukrainischen Armee ein russischer Raketenwerfer sichergestellt, den prorussische Kämpfer dort zurückgelassen haben.

Derweil sind mehr als zehntausend Ukrainer aus dem Osten des Landes auf der Flucht; überall in der Zentral- und Westukraine organisieren Freiwillige Notunterkünfte und Versorgung, weil Tausende mehr erwartet werden.

Und Moskau? Hat mit alledem nichts zu tun. Dementiert, dass es Waffen über die Grenze lasse. Verspricht aber gleichzeitig, man werde die Grenzen schärfer kontrollieren. Hält dann dieses Versprechen, wie so viele zuvor, nicht ein. Will Fluchtkorridore nach Osten einrichten - für die Massen, die nach russischer Lesart russische Hilfe und russische Sicherheit ersehnen. Dabei flüchten die Menschen ganz überwiegend in die andere Richtung.

Nach Ausschreitungen vor der russischen Botschaft in Kiew, bei der Autos umgestürzt werden und Scheiben zu Bruch gehen, rufen russische Demonstranten vor der ukrainischen Botschaft in Moskau: "Schluss mit dem Vergießen von russischem Blut." Nur: Wo wird das vergossen, da doch offiziell gar keine Russen in der Ukraine kämpfen, sondern nur ukrainische Freunde Russlands?

Moskau untergräbt jede Lösung in der Ostukraine

Wladimir Putin hatte zugesagt, die Wahl des ukrainischen Präsidenten zu respektieren und ihn anzuerkennen. In Moskau aber spricht ein Präsidentenberater öffentlich nach wie vor über die neue Kiewer Regierung als "Nazis, die von den USA ausgebildet wurden".

Wie gesagt, die Situation wird täglich absurder. Und verzweifelter. Petro Poroschenko, der neue Präsident in Kiew, wollte Frieden in den Osten tragen, nun hat er Staatstrauer ausgerufen und für diesen Montag den nationalen Sicherheitsrat einberufen. Aus Lugansk und Donezk kommen Forderungen nach Ausrufung des Kriegsrechts, und wahrscheinlich wird Poroschenko auch nichts anderes übrig bleiben. Zwar gibt es nach wie vor Kontakte zwischen der russischen und der ukrainischen Seite, aber Gespräche kann man das kaum nennen. Und wozu wären auch Gespräche gut, wenn die Ergebnisse, die verabredet werden, nichts gelten?

Mindestens so paradox und ambivalent wie das Verhalten des Kreml ist die Reaktion des Westens. Die dritte Stufe der Sanktionen, die auf weite Bereiche der russischen Wirtschaft zielen würden, war angedroht worden für den Fall, dass Russland die ukrainischen Wahlen verhindert. Das hat Russland, zugegeben, nur insofern getan, als es den Guerilla-Krieg, der eine Wahl in der Ostukraine fast unmöglich machte, befeuert hat. Gewählt wurde trotzdem. Nun ist die Wahl vorbei, der Präsident im Amt - und Moskau untergräbt jede Lösung in der Ostukraine, indem es den Krieg weiter befeuert. Wie auch immer man das in der Sprache der EU-Diplomatie nennen mag: Es handelt sich um eine Destabilisierung der Ukraine mit nachweisbaren Beiträgen von russischer Seite.

Es gibt nach wie vor Menschen, die das als Reaktion auf westliche Bedrohung, Ignoranz oder Fehler entschuldigen und finden, Moskau habe gute Gründe für sein Vorgehen. Dagegen steht als starkes Argument schon die Zahl der Toten. Und: Brüssel und Washington stehen bei den Ukrainern im Wort. Sie hatten versprochen, den Gegendruck zu erhöhen, wenn der Druck aus Moskau auf die Ukraine steigt.

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SZ vom 16.06.2014/fran
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