Süddeutsche Zeitung

Krise in Ägypten:Regierung will die Bürger von der Straße holen

Ägypten zwischen Hoffnung und Chaos: Präsident Mubarak versucht krampfhaft, an seiner Macht festzuhalten. Er schickt die Polizei wieder auf die Straßen - und weitet zugleich die Ausgangssperre aus.

Auch in der Nacht auf Montag haben Demonstranten auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo der geltenden Ausgangssperre getrotzt - und ihren Protest gegen das Regime von Präsident Hosni Mubarak fortgesetzt. Eine Korrespondentin des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira berichtete am frühen Morgen, dass einige hundert Menschen auf dem vom Militär gesicherten Platz ausgeharrt hätten. Ihre Zahl habe im Laufe der Nacht abgenommen; alles sei friedlich. Ansonsten seien die Straßen im Zentrum der ägyptischen Hauptstadt weitgehend menschenleer.

In den Wohnvierteln Kairos, aus denen sich die Polizei weitgehend zurückgezogen hatte, versuchen weiterhin Bürgerwehren, Plünderer fernzuhalten. Auch Schüsse waren zu hören. Allerdings seien auch in diesen Stadtgebieten in der Nacht mehr Militärfahrzeuge zu sehen gewesen als in den Nächten zuvor, berichteten Augenzeugen. Nach Angaben der ägyptischen Staatsmedien will die Polizei an diesem Montag in der Stadt wieder Präsenz zeigen. Einige Polizisten waren bereits am Sonntagabend wieder auf den Straßen zu sehen.

Die Ausgangssperre wird unterdessen ausgeweitet: Sie beginnt nun bereits um 15 Uhr Ortszeit am Nachmittag und endet um 8 Uhr morgens.

Ägyptens Präsident Hosni Mubarak klammert sich derweil an die Macht - und beauftragt seinen neuen Ministerpräsidenten Ahmad Schafik mit politischen Reformen. "Ich verlange von Ihnen, das Vertrauen in unsere Wirtschaft wieder herzustellen", schrieb Mubarak laut einem im Fernsehen vorgelesenen Brief an Schafik.

Außerdem vereidigte Mubarak an diesem Montag die Mitglieder seiner neuen Regierung vereidigt, wie das staatliche Fernsehen berichtete. Eine der wichtigsten Veränderungen betrifft das Amt des Innenministers, der den Sicherheitskräften vorsteht. Der Polizeigeneral im Ruhestand, Mahmud Wagdi, übernahm den Posten von Habib el Adli, der bei der Bevölkerung wegen des von den Sicherheitskräften angewandten brutalen Vorgehens verhasst ist. Seinen langjährigen Verteidigungsminister, Feldmarschall Hussein Tantawi, und seinen Außenminister Ahmed Abul Gheit behielt Mubarak im Amt.

In einer Erklärung im Namen Mubaraks, die von den staatlichen Medien veröffentlicht wurde, spricht sich Ägyptens Präsident für einen "Dialog mit allen Parteien" aus: "Es soll künftig mehr Raum geben für die Beteiligung der Parteien am politischen Leben mit dem Ziel, eine freie demokratische Gesellschaft zu schaffen, wie dies alle Menschen wünschen." Ministerpräsident Schafik solle sich zudem um den Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Korruption kümmern. Die staatliche Nachrichtenagentur Mena berichtete zudem, dass Mubarak in einem Telefongespräch mit US-Präsident Barack Obama über politische Reformen gesprochen habe.

Ägyptische Oppositionelle geben sich damit nicht zufrieden und rufen zu einer Massendemonstration an diesem Dienstag in Kairo auf. Die Jugendbewegung "6. April" wolle für den "Mega-Protest" gegen Mubarak mehr als eine Million Menschen auf die Straße bringen, berichtete der arabische Fernsehsender Al-Dschasira. Die Opposition wolle so den Druck auf Mubarak erhöhen, die Macht abzugeben. Ein Aufruf zum Generalstreik, der in Kairo kursierte, wurde nicht flächendeckend befolgt.

Obama ruft zu "friedlichen Übergang" auf

Obama hatte sich zuvor für einen friedlichen "Übergang" in Ägypten ausgesprochen: Wie sein Sprecher Robert Gibbs am Sonntag mitteilte, erörterte er die Lage am Wochenende per Telefon mit den Führungen der Türkei, Israels, Saudi-Arabiens und Großbritanniens. Dabei habe er zum Ausdruck gebracht, dass die USA "einen geordneten Übergang zu einer Regierung" unterstützten, "die auf die Bestrebungen des ägyptischen Volkes eingeht".

Ähnlich hatte sich zuvor auch US-Außenministerin Hillary Clinton in einer Reihe von Fernseh-Interviews geäußert. In einem NBC-Interview erklärte sie, die USA wollten "freie und faire Wahlen sehen, und wir erwarten, dass dies eines der Ergebnisse dessen sein wird, was derzeit in Ägypten vor sich geht". Konkret gefragt, ob die USA auf der Seite der Demonstranten oder Mubaraks seien, antwortete Clinton vage: "Es gibt eine andere Wahl - das ist das ägyptische Volk."

Mit einer Demonstration seiner Macht hatte das ägyptische Militär am Sonntag versucht, die Lage in Kairo unter Kontrolle zu bringen. Kampfflugzeuge donnerten im Tiefflug über den zentralen Tahrir-Platz. Tausende Menschen protestierten dort am Sonntagabend trotz der Ausgangssperre gegen das Regime von Mubarak. Am Wochenende war es zu schweren Plünderungen gekommen. Bei den Unruhen sollen bislang 150 Menschen umgekommen sein.

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