Süddeutsche Zeitung

Krise in Ägypten:Bekämpfen, wovon man lebt

Hass in Ägypten: Ausländer werden neuerdings durchsucht, bedroht und abgeführt. Mubaraks Schergen machen sie für den Aufstand verantwortlich. Unter dem Druck der Proteste sägt die Regierung damit an einem der produktivsten Äste der ägyptischen Wirtschaft - dem Tourismus.

Sonja Zekri, Kairo

Es ist, als wollte sich ein Klavierspieler die Hände abhacken: Eine Milliarde Dollar habe Ägypten im Tourismus-Geschäft durch die Tage des Aufruhrs verloren, hat Vizepräsident Omar Suleiman im Fernsehen gesagt - und dann, ein paar Sätze später, die Verantwortlichen dafür ausgemacht. "Ausländische Kräfte" hätten die oppositionelle Jugendbewegung unterwandert und aufgestachelt. Die Revolte, die Plünderungen und Schlägereien, die Verwandlung eines friedlichen Landes in ein Konfliktgebiet - alles von außen gesteuert. Nur: Welcher Tourist fährt in ein Land, dessen Führung ihm Umsturzpläne unterstellt?

Politisch mag Suleiman auf Ägyptens regionale Nachbarn angespielt haben, auf die radikale Hamas im Gaza-Streifen, auf die libanesische Hisbollah, auch auf Iran. Hier sehen Ägyptens Machthaber seit jeher destabilisierende Kräfte, die Ägypten ins Chaos stürzen und auf den Trümmern einen Gottesstaat oder zumindest einen islamischen Vasallenstaat errichten wollen.

Zusammen mit der ausländerfeindlichen Hetze im Fernsehen und den patriotischen Sprüchen aber, welche die Mobilfunkfirma Vodafone unter Druck der Regierung verbreiten musste, liest sich Suleimans Botschaft für viele Ägypter anders. Ausländern, auch Journalisten, schlägt in Ägypten neuerdings Hass entgegen. Sie werden durchsucht, bedroht und abgeführt.

In der Nacht zu Donnerstag hatten Unbekannte sogar zwei SOS-Kinderdörfer überfallen und versucht, Essen und Medikamente zu stehlen. Ganz gleich, wie die politische Schlacht um die Zukunft des Landes ausgeht - diese Ausländerfeindlichkeit wird sich so rasch nicht legen.

Unter dem Druck des Aufstandes sägt die Führung damit an einem der produktivsten Äste der ägyptischen Wirtschaft. Mit 14,7 Millionen Besuchern war 2010 ein Rekordjahr für Ägypten, bis 2022 soll diese Zahl auf 25 Millionen Touristen anwachsen. Schon heute arbeitet jeder fünfte Bürger im Tourismus - das tun auch jene brutalen Kamelreiter, welche die Protestierenden auf dem Tahrir-Platz über den Haufen geritten hatten. In ruhigeren Zeiten nämlich stehen eben diese Männer an den Pyramiden und vermieten ihre Tiere an Touristen. Bezahlt wurden die Kameltreiber für den Überfall auf die Demokratie-Anhänger durch finanzstarke Getreue von Präsident Hosni Mubarak, heißt es.

Und es sind ja nicht nur die Touristen: Internationale Unternehmen, seit Tagen so lahmgelegt wie das gesamte Wirtschaftsleben, ziehen ihre Mitarbeiter zu Tausenden ab. Wenn einflussreiche Wirtschaftsvertreter wie Naguib Sawiris, Chef von Orascom Telecom und Mitglied der reichsten Familie des Landes, nun für einen Übergangsplan werben, der einerseits Präsident Honsi Mubarak einen würdigen Abgang erlaubt, gleichzeitig aber die Demokratiebedürfnisse der Protestierenden erfüllt, dann verrät dies den Druck, die verlustreiche Revolte möglichst zügig zu beenden.

Auch dass die ägyptische Führung einen wichtigen weichen Standortfaktor - die fast sprichwörtliche Gastfreundschaft - gerade zugrunde richten lässt, ist kaum auszugleichen. Der Fremde gilt im Wüstenstaat Ägypten traditionell als schutzbedürftig. Nimmt der Gast Schaden, fällt dies auf den Gastgeber zurück, denn Gastfreundschaft ist nicht nur Ritual, sondern auch Verpflichtung. Nach dem Anschlag von militanten Islamisten in Luxor 1997, bei dem mehr als 60 Menschen (vor allem Touristen) starben, gingen die Ägypter selbst auf die Jagd nach den Verbrechern und spendeten in Krankenhäusern Blut für die Opfer. Und die Straßenkriminalität im Land ist gering. Abgesehen von Dieben und Neppern waren für ausländische Reisende bislang wenige Großstädte so sicher wie Kairo.

Trotz dieser Tradition aber kann Suleiman beim Volk auf eine tiefe Furcht vor Manipulationen von außen zurückgreifen. Briten und Franzosen zogen am Nil die Fäden, als Ägypten offiziell noch eine Provinz des Osmanischen Reiches war. Die Franzosen kontrollierten die Altertümer-Verwaltung und - über die Kredite für den Suezkanal - die Wirtschaft. Die Briten marschierten 1882 am Nil ein, um dem osmanischen Statthalter in Kairo bei einem Offiziersaufstand beizustehen. Unter dem Slogan "Ägypten den Ägyptern" hatte der Karrieresoldat Ahmed Orabi gegen die Fremdherrschaft und die finanzielle Ausbeutung Ägyptens mobil gemacht. Briten und Franzosen hatten dem Land Kredite zu ruinösen Konditionen aufgeschwatzt.

Ägyptische Baumwolle wurde zu Spottpreisen in die Textilfabriken von Manchester geschickt, antike Schätze wurden mit offizieller Genehmigung außer Landes gebracht. Obwohl weiterhin ein Bestandteil des osmanischen Reiches, regierte de facto ein britischer Generalkonsul; nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde das Land am Nil britisches Protektorat. Die Briten blieben 70Jahre, bis 1952 ein weiterer Offiziersaufstand unter Gamal Abdel Nasser den ägyptischen König und die britische Schattenherrschaft hinwegfegte - und das Land eine Republik wurde. Nun, knapp 60 Jahre später, greift das untergehende Mubarak-Regime auf diese Ängste vor der Fremdbestimmung zurück.

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SZ vom 05./06.02.2011/hai
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