Süddeutsche Zeitung

Krise der Bundesregierung:Die blockierte Republik

Regieren bedeutet Lenken. Das Kabinett Merkel aber lenkt nicht mehr. Inmitten der schwersten globalen Wirtschaftskrise seit Generationen betreibt die Führung Deutschlands Regierungsverweigerung.

Daniel Brössler

In besseren Tagen hätte diese Koalition vermutlich eine Chance gehabt. Der Vorrat an Gemeinsamkeit hätte wohl ausgereicht, um eine ordentliche Regierung abzugeben. Angesichts der Größe der Krise aber erwies sich die Einigkeit als grotesk gering. Vor allem an der Frage der Gerechtigkeit schieden sich die Geister. Die einen wollten den Haushalt hauptsächlich über die Kürzung sozialer Leistungen sanieren. Die anderen sorgten sich um das Gerechtigkeitsempfinden im Land und in der eigenen Partei. Sie wollten, dass auch die Wohlhabenden einen Beitrag leisten. Misstrauen vergiftete das Klima. Schließlich erschöpfte sich die rot-gelbe Regierung. Am 17. September 1982 traten die Minister der FDP zurück. Glückliche Zeiten waren das.

Glücklich, weil die damals so enorm drückende Wirtschaftskrise aus heutiger Perspektive fast niedlich wirkt. Glücklich aber auch, weil es für Koalitionskrisen in jenen Tagen eine natürliche Lösung gab: eine neue Koalition. FDP-Chef Hans-Dietrich Genscher war es damals möglich, aus Ernüchterung über die SPD gezielt die Regierung von Bundeskanzler Helmut Schmidt zu destabilisieren, ohne dass davon die Gefahr einer Destabilisierung des Landes ausgegangen wäre.

Ein neues Regierungsbündnis aus Union und FDP stand bereit, die neuen Koalitionäre nannten das eine Wende. Heute könnten sich Angela Merkel, Guido Westerwelle und Horst Seehofer wenden, wohin sie wollen. Es nützte ihnen nichts. Vor allem CSU und FDP haben die Koalition in die Sackgasse manövriert. Sie kann nicht mehr wirklich regieren. Sie kann aber auch nicht einfach aufhören damit.

Regieren bedeutet Lenken. Das Kabinett Merkel aber lenkt nicht mehr. Es gleicht einem Auto, bei dem nur noch die Bremse funktioniert. Die Bremse wird immer dann betätigt, wenn der Abgrund naht. Steuern, Atomkraft, Wehrpflicht oder gar Bundespräsidentenwahl - nirgendwo kann sich die Koalition auf eine Richtung verständigen. Inmitten der schwersten globalen Wirtschaftskrise seit Generationen betreibt die Führung Deutschlands Regierungsverweigerung.

Mögliche Neuwahl spendet keinen Trost

Von der Macht, die sie nicht nutzt, kann die Koalition aber nicht lassen. Zumindest aus parteipolitischer Sicht. Würde nun vorzeitig gewählt, drohten der Union herbe Verluste und den Liberalen ein Debakel. Nur diese Aussicht hält die Koalition noch zusammen.Im Bundestag schlummert diesmal auch keine Ersatzmehrheit.

Rechnerisch könnten sich Union und SPD noch einmal zusammentun, politisch ist dieser Weg verbaut. Die SPD hat sich von der jüngsten großen Koalition unter Angela Merkel noch nicht erholt und will unter Sigmar Gabriel als kämpferische Oppositionspartei in den nächsten Wahlkampf ziehen. Wie tief die Furcht der Sozialdemokraten vor der Juniorrolle sitzt, hat sich eben erst in Nordrhein-Westfalen gezeigt, wo die SPD sich weigert, mit der Union über eine Regierung zu verhandeln. In Düsseldorf erweisen sich die Parteien als unfähig, eine Regierungsmehrheit herzustellen. Das setzt ein gefährliches Beispiel für Berlin. In der globalen Wirtschaftskrise erweist sich Deutschland als blockierte Republik.

Auch das nun immer öfter zu hörende Wort von der Neuwahl spendet nicht wirklich Trost. Der Weg dorthin ist unübersichtlich. Als Bundespräsident hat Horst Köhler 2005 den Bundestag auf Wunsch des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder aufgelöst, obwohl er Zweifel haben musste, dass die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen gegeben waren. Sein Nachfolger, sei es Christian Wulff oder Joachim Gauck, wird um der Glaubwürdigkeit willen in einer ähnlichen Lage größte Sorgfalt walten lassen müssen.

Noch schwerer aber lastet auf dem Land die Frage, was eigentlich nach einer Neuwahl des Bundestages passieren würde. Schwarz-Gelb kann eine neue Mehrheit mit neuem Personal anstreben, aber wohl kaum erreichen. Nicht viel wahrscheinlicher ist es, dass es noch einmal für Rot-Grün reicht. Der Höhenflug der Grünen mag dafür sprechen, nicht aber die Lage der SPD. Ihre beginnende Erholung rechtfertigt die Annahme noch lange nicht, dass es für ein Zweierbündnis reichen könnte. Darin liegt die Ironie der derzeitigen Krise: Mit dem Triumph der FDP schien der Beweis erbracht zu sein, dass Deutschland auch im Fünf-Parteien-System von zwei Fraktionen geführt werden kann. In nicht einmal einem Jahr an der Macht haben Union und FDP erreicht, dass es für zwei Parteien allein künftig kaum mehr reichen dürfte.

Im Fünf-Parteien-Gefüge funktioniert bisher nur die Bremse. Eine Ampelkoalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen? Nein, sagt dazu die FDP, die sich für ein solches Bündnis in der Tat umkrempeln müsste. Jamaika aus Union, FDP und Grünen? Nein, sagen CSU und Grüne, wenngleich sie sich in einem solchen Bündnis wohl auch nicht schlechter vertragen würden als CSU und FDP. Und Rot-Grün-Rot? SPD und Linkspartei geben sich alle Mühe, diese Variante unmöglich zu machen. Bliebe die große Koalition - die aber ist das Schreckgespenst der SPD.

Die deutsche Politik braucht jetzt Blockadebrecher. Diese Einsicht sollte sich durchsetzen, ehe die Zermürbung die Wähler vollends erfasst.

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SZ vom 14.06.2010/grc
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