Süddeutsche Zeitung

Krise auf der Krim:Putin kämpft auf dünnstem Eis

Wladimir Putin schickt ohne ein Mandat Invasionstruppen zur Krim - und rechtfertigt das mit dem Völkerrecht. Doch die Aktion ist illegal. Was Völkerrechtler zum Schritt von Russlands Präsident sagen.

Von Ronen Steinke

Der offene Brief, den Wladimir Putin am 11. September 2013 in der New York Times veröffentlichte, liest sich jetzt erst recht wie Hohn. "Niemand möchte, dass die Vereinten Nationen dasselbe Schicksal erleiden wie einst der Völkerbund, der zusammengebrochen ist, weil es ihm an echtem Einfluss fehlte", schrieb der russische Präsident dort völkerrechtsfromm. "Dazu kann es kommen, wenn einflussreiche Länder die UN umgehen und zu militärischer Gewalt greifen, ohne vom Sicherheitsrat autorisiert zu sein." Jetzt ist es Putin selbst, der Invasionstruppen in Bewegung gesetzt hat, nicht nach Syrien, sondern in die Ukraine - ohne irgendein Mandat. Er rechtfertigt dies mit dem Völkerrecht.

Wie rechtfertigt Moskau die Besetzung der Krim völkerrechtlich?

Russland als selbstloser Beschützer von in der Ukraine lebenden russischen Staatsangehörigen, deren Leben von "radikalen Nationalisten" bedroht sei: Dieses Bild zeichnet die von Moskau finanzierte Zeitung Russia Today in ihrer Samstagsausgabe. Dieselbe Rechtfertigung soll auch Wladimir Putin im Gespräch mit der deutschen Bundeskanzlerin vorgebracht haben, als diese ihn am Sonntagabend anrief und gegen Russlands "Verstoß gegen das Völkerrecht" protestierte. Es ist ein Bild, mit dem Russland die Aggressoren-Rolle von sich weist. Ein Bild, mit dem Putin sich schmeichelt. Nicht von ungefähr ist es aber auch ein völkerrechtlich geschicktes Argument: Denn dass der Schutz eigener Staatsangehöriger eine gewaltsame Intervention im Ausland rechtfertigen würde - das ist ein Argument, das just der Westen salonfähig gemacht hat in den vergangenen Jahren, zum Beispiel bei GSG9-Einsätzen zur Rettung entführter Deutscher.

Warum ist die Aktion dennoch illegal?

Putins Argument, er schütze Russen, die im Ausland in Bedrängnis geraten sind, ist fadenscheinig; aus gleich zwei Gründen. Erstens bedürfte es zu einer solchen völkerrechtlichen Rechtfertigung "einer gegenwärtigen Gefahr für russische Staatsangehörige", wie der in Hamburg lehrende Völkerrechtler Jasper Finke sagt. "Diese ist nicht erkennbar." Die bloße Abwertung der russischen Sprache als Minderheitenrecht in der Ukraine reicht keinesfalls aus, um eine solche Gewalt von außen zu rechtfertigen. Und zweitens scheint Moskau sich viele seiner Schützlinge gerade erst geschaffen zu haben, woran die Völkerrechtlerin Ashley Deeks von der Universität Virginia jetzt erinnert: Geschätzte 143 000 Ukrainer hätten in den vergangenen zwei Wochen russische Pässe ausgestellt bekommen. So viel Großzügigkeit war selten. Dies "stützt die Vermutung, dass der Schutz eigener Staatsangehöriger nur als Vorwand dient".

Sein aktuelles Schutztruppen-Argument hat Putin übrigens schon einmal erprobt: im Jahr 2008, als russische Truppen in die georgische Region Südossetien einrückten, in der viele russischstämmige Menschen leben. In den Worten des in New York lehrenden Völkerrechtlers Christopher Borgen: "Putin spielt angeblich mit Begeisterung Schach. Dies hier ist eine Lektion darin, wie man juristische Rhetorik als Finte verwendet, während die wahre Action ganz woanders auf dem Brett stattfindet."

Russland darf Truppen in der Ukraine haben, so steht es im Stationierungsabkommen von 1997. Sind Truppenbewegungen dann nicht erlaubt?

Wahr ist: Die Regierung der Ukraine hat die Stationierung von Russlands Schwarzmeerflotte auf ihrem Hoheitsgebiet erlaubt, per "Nachbarschafts- und Freundschaftsvertrag" von 1997 mit zwanzigjähriger Laufzeit. Ein solches Stationierungsabkommen bewirkt einen Teilverzicht auf staatliche Souveränität. Aber aufgehoben wird die Souveränität dadurch nicht. "Wenn Russland seine Truppen außerhalb der engen Grenzen dieses Abkommens einsetzt", erklärt der Völkerrechtler Finke, "liegt darin eine eindeutige Souveränitätsverletzung." Genauso wäre es, wenn die in Ramstein stationierten US-Truppen aus ihrem Stützpunkt ausschwärmten, örtliche Verkehrswege besetzten und die Regierungsgebäude von Rheinland-Pfalz umstellten: Von dem Einverständnis, das in dem Stationierungsabkommen liegt, wäre nichts von alledem gedeckt. Daran könnte auch keine etwaige Einladung eines Regionalpolitikers etwas ändern, wie nun auf der Krim, darin sind sich die Juristen einig: Die Krim ist klar ein Teil der Ukraine, nur Kiew kann die Außenverhältnisse regeln.

Die UN-Charta erlaubt Gegenmaßnahmen bei "bewaffneten Angriffen". Aber kann man bereits von einem bewaffneten Angriff Russlands sprechen, wenn doch kein Schuss gefallen ist?

Dieser Punkt ist heikel. "Bewaffneter Angriff" ist ein gefährlicher Begriff, ein offenes Tor zur Eskalation, das man verständlicherweise so lange wie möglich zuhalten will. Die deutsche Regierung hat diesen Begriff deshalb bisher sorgsam vermieden in ihrer Sprachregelung, auch US-Außenminister John Kerry wählt seine Worte sehr genau, denn bei Vorliegen eines "bewaffneten Angriffs" der russischen Armee hätte die Regierung der Ukraine ein Recht zur militärischen Selbstverteidigung, verbrieft in Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Das wäre das Signal zu schießen.

Bisher ist auf der Krim offenbar noch kein Schuss gefallen - ist deshalb der drastische Ausdruck "bewaffneter Angriff" nicht ohnehin ein bisschen übertrieben? Der Völkerrechtler Robin Geiß hat jahrelang dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz in Genf als Rechtsberater gedient; heute, als Professor in Glasgow, steht er außenpolitischen Falken noch immer fern. Doch er lässt an diesem Punkt keinen Zweifel: "Das Gewaltverbot kann durchaus verletzt werden, ohne dass ein Schuss fällt. Zwar lässt sich über die exakte Schwelle endlos debattieren, und es gibt einige Grauzonen. Aber die militärische Besetzung eines anderen Staats ist ein selten klarer Fall und eben genau das, was die Verfasser der UN-Charta 1945 verbieten wollten." Damit die ukrainische Regierung nun zur Selbstverteidigung schreiten darf, muss es sich um "schwerste Formen von Gewalt" handeln: Geiß ist da noch zurückhaltend, für andere Völkerrechtler wie die Amerikanerin Ashley Deeks hingegen ist die Sache längst klar.

Welche Möglichkeiten hat die Nato?

Ist die Schwelle zum "bewaffneten Angriff" überschritten, dann muss die Regierung der Ukraine nicht erst den Umweg über die UN gehen. Eine Bitte um militärische Unterstützung von dort würde ohnehin am Veto Russlands im Sicherheitsrat scheitern. Stattdessen könnte sich Kiew direkt an befreundete Staaten wenden und diese zum Eingriff "einladen". Dieser Einladung dürften Nato-Staaten folgen. Sie müssten es aber nicht.

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SZ vom 04.03.2014/fran
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