Süddeutsche Zeitung

Kriminalstatistik:Erhebliche Zunahme bei politischen Straftaten

Das Bundeskriminalamt registrierte im vergangenen Jahr 55 000 politische Straftaten und immer mehr Angriffe auf Bürgermeister und andere Mandatsträger. Die größte Gefahr kommt von rechts.

Von Markus Balser und Constanze von Bullion, Berlin

Die Zahl politisch motivierter Straftaten hat in Deutschland ein nie gekanntes Niveau erreicht. Sie stieg 2021 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 23 Prozent auf 55 048 registrierte Delikte. Grund für den Anstieg waren auch die Proteste gegen Corona-Maßnahmen. Das geht aus dem Jahresbericht des Bundeskriminalamts zu politisch motivierter Kriminalität hervor, den Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Dienstag in Berlin vorgestellt hat. Es handle sich um den "absoluten Höchststand" seit der Erfassung politischer Straftaten im Jahr 2001, so die Ministerin. Besonders gravierend sei die Zunahme der politisch motivierten Gewalttaten um mehr als 15 Prozent. "Wir sehen sehr deutlich, dass wir unsere Demokratie mit aller Kraft schützen müssen."

Das Bundeskriminalamt machte für den starken Anstieg vor allem Delikte verantwortlich, die weder dem linken noch dem rechten Lager klar zuzuordnen sind. Viele seien im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und zahlreicher Wahlen im vergangenen Jahr begangen worden, so die Ermittler. Neben Verstößen gegen das Versammlungsrecht wurden vermehrt Beleidigungen und Bedrohungen zur Anzeige gebracht. Ein "furchtbarer Höhepunkt", so Faeser, sei die Erschießung eines 20-Jährigen gewesen, der einen Kunden an einer Tankstelle auf die Maskenpflicht hingewiesen hatte. Aber auch die "massiv steigende Zahl" antisemitischer Taten bereite ihr "größte Sorgen".

Die Zahl antisemitischer Taten war bereits im Jahr 2020 stark gestiegen. Im vergangenen Jahr wuchs die Zahl erneut um knapp 30 Prozent. Erfasst wurden Verunglimpfungen, aber auch die Relativierung des Holocaust durch Tragen von Judensternen bei Corona-Protesten. Auffällig sei rechts motivierter, aber islamistisch geprägter Antisemitismus, der Hass gegen Juden und den Staat Israel propagiere, sagte der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch. Neben Synagogen würden verstärkt auch Repräsentanten jüdischer Gemeinden angegriffen. Neu sei hier das hohe "Einschüchterungspotenzial". Faeser bezeichnete die Entwicklung als "Schande".

Die Straftaten aus dem rechten Milieu waren nach einem Höchststand im Vorjahr zwar leicht rückläufig, bilden der Statistik zufolge aber weiter das größte Problem. Die Statistik weist für 2021 insgesamt 22 000 Delikte aus dem rechten Spektrum aus. Etwa 10 000 Straftaten hatten demnach ein linkes Motiv.

Die Zahl der Körperverletzungen stieg erneut um sechs Prozent auf 1900. Fast die Hälfte entfiel auf rechte Täter. Gut 400 solcher Taten rechnen die Behörden dem linken Milieu zu. Vier Menschen starben durch rechte Gewalt. "Sorge bereiten uns auch die zunehmenden Angriffe gegen Mandats- und Amtsträger", sagte BKA-Präsident Münch. Mit 2500 Fällen wurden gut 60 Prozent mehr Angriffe auf Abgeordnete sowie Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aktenkundig, und das bei eher niedriger Anzeigebereitschaft. Laut BKA handelte es sich meist um Körperverletzungen oder Erpressungen.

Die Ermittlungsbehörden lassen in dem Papier auch erkennen, dass rechtes Gedankengut in Deutschland der gefährlichste Treiber für gewalttätige Auseinandersetzungen bleibt. Den Kampf gegen Rechtsextremismus hatte sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) für ihre Amtszeit als wichtigstes Ziel gesetzt. Schon Faesers Vorgänger Horst Seehofer (CSU) hatte bei der Präsentation des Jahresberichts im vergangenen Jahr von einer rechten "Blutspur" gesprochen, die sich durch das Land ziehe.

Hasskriminalität war überwiegend fremden- und ausländerfeindlich motiviert

Aber auch im Bereich der Hasskriminalität weisen die Zahlen nach oben. Sicherheitsbehörden registrierten eine Zunahme rechter Angriffe auf gesellschaftliche Minderheiten, sagte BKA-Präsident Münch. Meist waren die Taten fremdenfeindlich, antisemitisch oder rassistisch motiviert. Erheblich häufiger als im Vorjahr wurde 2021 auch Angriffe und Beleidigungen gegen Menschen mit einer Behinderung angezeigt, hier stieg die Zahl um 81 Prozent. Die Übergriffe aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung nahmen laut Statistik um mehr als 66 Prozent zu. Einen deutlichen Rückgang um 30 Prozent verzeichneten allein die islamfeindlichen Straftaten.

Die Statistik zeigt dem Bundeskriminalamt zufolge, dass auch internationale Krisen sich immer häufiger auf die Sicherheitslage in Deutschland auswirken. Bürgerkriege, gesellschaftliche Spannungen, Wirtschaftskrisen oder auch Kriege wie der in der Ukraine könnten die Lage "nachdrücklich" beeinflussen, heißt es in dem Bericht. Solche Delikte stiegen im vergangenen Jahr um gut 13 Prozent auf 1150 Fälle. Die Ermittler machen für den Anstieg im vergangenen Jahr vor allem den damals eskalierenden Israel-Palästina-Konflikt und den zwischen der türkischen Regierung und der von ihr verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK verantwortlich.

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