Kriminalitätsstatistik:Aber sicher

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In Deutschland sind die Straftaten 2017 um fast zehn Prozent zurück­gegangen. Diese Zahlen hat Bundes­innen­minister Seehofer jetzt präsentiert. Gleichzeitig hat das subjektive Sicherheitsgefühl aber abgenommen.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Mit der gefühlten Kriminalität und der tatsächlichen verhält es sich wie mit zwei Raumschiffen, die sich voneinander entfernen. Gefühlt ist Deutschland für viele eine Lebenswelt, in der das Risiko für Leib und Leben wächst, in der die Handtasche vorsichtshalber zu Hause bleiben sollte und nicht wenige befürchten, einer der vielen Fremden im Land könne demnächst in ihre Wohnung einsteigen. Mit der Wirklichkeit allerdings hat das immer weniger zu tun.

"Deutschland ist sicherer geworden", sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Dienstag in Berlin bei der Präsentation der Polizeilichen Kriminalstatistik 2017. Ob bei Einbruch, Diebstahl oder Straßenkriminalität, die ermittelten Straftaten sind 2017 im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen, insgesamt um 9,6 Prozent. Auch bei Gewaltdelikten, Vergewaltigung oder Körperverletzung seien erfreulich rückläufige Fallzahlen zu vermelden. Dies betreffe sowohl deutsche als auch nicht-deutsche Tatverdächtige, sagte Seehofer: "Es sank auch die von Geflüchteten ausgehende Kriminalität."

Nach Zuwanderungsdebatten und zahlreichen Warnungen insbesondere aus der CSU mag der polizeiliche Befund überraschen. Und wie bei jeder Statistik gilt auch hier: Eine solche Aufstellung kann nicht alles zeigen. Die Polizeiliche Kriminalstatistik beleuchtet nur das Hellfeld der Straftaten, also das, was Polizeibeamte ermittelt haben, wenn sie einen Fall der Staatswaltschaft abgeben. Ob ein Tatverdächtiger tatsächlich Täter ist und welche Straftaten unentdeckt blieben, geht aus dem Zahlenwerk naturgemäß nicht hervor.

In früheren Jahren allerdings war das nicht anders, und der langfristige Vergleich zeige, so der Bundesinnenminister, dass die Kriminalität seit 1992 nicht mehr so niedrig gewesen sei wie 2017. Die Zahl der Diebstähle sank um 11,8 Prozent im Vergleich zu 2016. Bei Autodiebstählen betrug der Rückgang 8,6 Prozent, bei Taschendiebstählen 22,7 Prozent, bei Wohnungseinbrüchen sogar 23 Prozent. Auch bei der Gewaltkriminalität wurde ein Minus von 2,4 Prozent registriert.

Zwischen dem objektiven Befund der Polizei und der subjektiven Wahrnehmung der Bürger allerdings gibt es einen Korridor, und er wird breiter. Das zeigt ein Vergleich der Kriminalstatistik 2017 mit einer repräsentativen Forsa-Umfrage vom März dieses Jahres. Demnach fühlten 87 Prozent der Befragten sich im öffentlichen Raum sicher, 29 Prozent von ihnen sogar "sehr sicher". Gleichzeitig gaben aber 44 Prozent dieser Befragten an, sich heute weniger sicher zu fühlen als noch vor einigen Jahren. Ein Widerspruch - und Symptom einer um sich greifenden öffentlichen Verunsicherung, die sich von der Wirklichkeit abkoppelt.

Deutschland und Europa seien im internationalen Vergleich eine "sehr, sehr sichere Region", sagte Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) am Dienstag. Aber mit dem individuellen Sicherheitsgefühl sei es eben wie mit dem Wetter im Herbst, es blase da immer "gefühlt Nordost". Bundesinnenminister Seehofer bedauerte, dass der Rückgang der Kriminalität nicht mit dem Rückgang der Ängste einhergehe. Auf Fragen, inwiefern denn der Minister selbst oder seine Parteifreunde Verantwortung für die wachsende Verunsicherung tragen, antwortete er: "Eine Verantwortung tragen wir alle." Berichterstatter wie Politiker sollten "in Wortwahl und Stil verantwortungsvoll" mit dem Thema umgehen. Im Übrigen gebe es keinen Grund zu Sorglosigkeit: "Es bleibt viel zu tun."

Gut sichtbar postierte Polizei und Sicherheitsbeamte an öffentlichen Plätzen und Einrichtungen wie dem Flughafen Düsseldorf (im Bild) dienen nicht nur der akuten Kriminalitätsbekämpfung. Ihre Präsenz soll auch dazu beitragen, dass sich Menschen weniger bedroht fühlen. (Foto: Maja Hitij/dpa)

Nach der Statistik ist der Anteil Tatverdächtiger ohne deutschen Pass im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Mit 34,8 Prozent lag er aber deutlich über dem Anteil Nicht-Deutscher an der Gesamtbevölkerung. Zudem verlagert sich die Kriminalität zunehmend in die eigenen vier Wände. Die Verbreitung von Kinderpornografie nahm laut Statistik um 14,5 Prozent zu. Der "Computerbetrug" stieg um 2,8 Prozent, Leistungskreditbetrug im Netz um 24,9 Prozent. Zuwachs gab es auch bei Drogendelikten: bei Heroin um 2,6 Prozent, bei Cannabis sogar um zwölf Prozent. Verstöße gegen das Waffengesetz nahmen um gut zehn Prozent zu.

Bei der politisch motivierten Gewalt fiel die Bilanz gemischt aus. Die rechtsextremistische Gewalt ging um knapp 13 Prozent zurück, machte 2017 aber den Löwenanteil politischer Straftaten aus. 312 Angriffe auf Asylbewerberheime wurden gezählt. Antisemitische Straftaten nahmen um 2,5 Prozent zu. Sie seien "zu annähernd 95 Prozent rechts motiviert", sagte Seehofer. Im linken Spektrum stiegen die Gewaltdelikte um 15,6 Prozent, besonders wegen der Krawalle beim G-20-Gipfel in Hamburg, so der Minister. Auch deutlich mehr islamistische Straftaten hat die Polizei registriert.

© SZ vom 09.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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