Süddeutsche Zeitung

Krim und Ukraine:Streit um eine Halbinsel

Russland und die Ukraine erheben Ansprüche auf die Krim und beide Länder können sie gut begründen. Auch die Bewohner der Halbinsel haben jeweils nachvollziehbare Argumente für ihre unterschiedlichen Forderungen. Wie es dazu gekommen ist, ist eine lange Geschichte.

Von Markus C. Schulte von Drach

Die Ukraine, das haben der jüngste Konflikt und die Reaktion Russlands auf die aktuellen Entwicklungen deutlich gezeigt, ist ein stark gespaltenes Land. Und eine besondere Rolle spielt dabei die Krim - eine Halbinsel im Schwarzen Meer, die zugleich eine autonome Republik innerhalb der Ukraine ist.

Heute lebt dort eine Reihe von Volksgruppen unterschiedlicher Herkunft. Während die Bevölkerung seit dem 15. Jahrhundert lange Zeit fast ausschließlich aus Krimtataren bestand - Abkömmlingen der mongolischen "Goldenen Horde", die große Teile Osteuropas erobert hatte - änderte sich dies vor allem ab dem 18. Jahrhundert. Die Krim wurde in dieser Zeit weitgehend unabhängig vom Osmanischen Reich, während der Einfluss Russlands zunahm. Unter Zarin Katharina II. wurde die 26 000 Quadratkilometer große Halbinsel schließlich annektiert. Menschen aus Russland, West- und Südeuropa wanderten in die Krim ein und verdrängten mit Unterstützung Moskaus große Teile der Tataren, von denen viele in die Türkei flohen.

Als es Mitte des 19. Jahrhunderts zum Krimkrieg kam, bei dem Truppen des Osmanischen Reichs sowie aus Frankreich und Großbritannien Teile der Halbinsel besetzten, schlugen sich etliche Tataren auf die Seite der Alliierten. Viele verließen nach dem Krieg ihre Heimat aus Angst, nachdem Russland die Herrschaft über die Krim zurückgewann. Zurück blieb nur noch eine Minderheit.

Während der Oktoberrevolution 1917, des folgenden Russischen Bürgerkriegs und des Zweiten Weltkriegs änderte sich der Status der Krim mehrmals, bis Russlands Diktator Stalin sie 1944 zu einer Provinz der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik machte. Für die Krimtataren, denen Stalin Kollaboration mit den Deutschen nachsagte, hatte das furchtbare Folgen. Sie wurden in Viehwaggons nach Zentralasien deportiert. Den Transport überlebten viele nicht.

1954 aber wurde die Krim der Ukraine zugeschlagen. Dafür sorgte Nikita Chruschtschow, selbst ein Ukrainer, als Erster Sekretär des Zentralkomitees der Sowjetunion. Der Anlass beziehungsweise die Rechtfertigung für die neue Grenzziehung sind umstritten. In Moskau wird die Entscheidung bis heute kritisiert und bedauert.

Auf jeden Fall waren die Bewohner der Krim nun mit einem Mal formal ex-russische Ukrainer, überwiegend mit russischen Wurzeln und russischer Sprache, sowie Menschen mit west-, ost- und südeuropäischen Ahnen. Ab 1988 wurde es außerdem den deportierten Krimtataren, die 1967 offiziell rehabilitiert worden waren, erlaubt, in ihre Heimat zurückzukehren. Heute betrachten sich deutlich mehr als die Hälfte der zwei Millionen Menschen dort als Russen, ein Viertel als Ukrainer, ein Achtel als Krimtataren.

Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung spricht vorwiegend Russisch. Und in einem Referendum 1991 stimmten die meisten Menschen auf der Krim für einen Status als autonome Republik innerhalb der Sowjetunion. Doch in diesem Jahr zerbrach die UdSSR, die Ukraine erklärte sich für unabhängig. Seit 1992 besitzt die Krim immerhin eine eigene Verfassung als autonome Republik, ein eigenes Wappen und eine Flagge - durchgesetzt gegen heftigen Widerstand in Kiew.

Innerhalb der Bevölkerung auf der Krim, aber auch zwischen deren politischer Führung und der ukrainischen Regierung in Kiew sowie zwischen dieser und Russland wird seit den neunziger Jahren um die Staatszugehörigkeit der Halbinsel gestritten - obwohl es seit 1997 einen Freundschaftsvertrag zwischen Moskau und Kiew gibt. In diesem Jahr wurde auch die in Sewastopol stationierte Schwarzmeerflotte der einstigen Sowjetunion zwischen Russland und der Ukraine aufgeteilt. Die Stadt mit ihren 300 000 überwiegend "russischen" Einwohnern gehört nicht zur Autonomen Republik Krim, sondern wird von Kiew aus verwaltet.

Die Orientierung der Mehrheit der Menschen auf der Krim spiegelte sich auch in den Wahlen der vergangenen Jahre wieder. Acht von zehn Wählerinnen und Wählern stimmten 2004 und 2010 für Viktor Janukowitsch als Präsidenten der Ukraine - und damit für einen Politiker, dem die Anbindung an Russland wichtiger war als die an den Westen.

Es deutet demnach vieles darauf hin, dass eine Mehrheit der Bevölkerung auf der Krim in einem entsprechenden Referendum für eine staatliche Zugehörigkeit zu Russland stimmen würde. Das aber wäre eine Entscheidung, mit der eine bedeutende Minderheit nicht einverstanden sein dürfte. Und sowohl "Russen" als auch Krimtataren können ihre Forderungen mit ihrer Geschichte rechtfertigen.

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