Krim nach Annexion:Im Abseits

Jewgenij Repenkow managte einen Fußballverein auf der Krim - bis er gegen ukrainische Faschisten kämpfen wollte. Nun gehört die Halbinsel zu Russland, und nicht nur der Alltag von Repenkow und seiner Mannschaft ist deutlich komplizierter geworden.

Eine Reportage von Julian Hans, Sewastopol

Seine Armbinde von damals hält er in Ehren. Auf weißen Stoff ist das Sankt-Georgs-Band gedruckt, das an den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg erinnert, und der Name seiner Einheit: "Sewastopol ohne Faschismus". Jewgenij Repenkow hat sich den Namen selbst ausgedacht an jenem Tag Ende Februar, als es hieß, Kämpfer der Rechten seien auf dem Weg aus Kiew auf die Krim. "Ich habe gewartet, ich habe so gewartet, dass sie kommen", sagt Repenkow. Denen hätten sie es gezeigt! Aber der Zug mit den "Faschisten aus Kiew", von dem die Rede war, kam nie.

Repenkow war nicht der Einzige, der wartete. Allein in der Einheit, die er anführte, waren mehr als hundert Männer organisiert. Insgesamt 3500 Mann hat Russlands Präsident Wladimir Putin für ihren Einsatz bei den sogenannten Selbstverteidigungskräften der Krim mit Medaillen ausgezeichnet, als er am 9. Mai zum Tag des Sieges Sewastopol besuchte.

Krim nach Annexion: "Jeder lenkt sein Leben selbst": Als Trainer hat Jewgenij Repenkow versucht, jungen Leuten eine Perspektive zu geben. Das wird nun schwieriger.

"Jeder lenkt sein Leben selbst": Als Trainer hat Jewgenij Repenkow versucht, jungen Leuten eine Perspektive zu geben. Das wird nun schwieriger.

(Foto: Vasily Batanov/AFP)

Die Sonne scheint über den Straßencafés am Hafen von Sewastopol. Vom Meer weht ein leichter Wind und viele weiß-blau-rote Flaggen flattern. Jewgenij Repenkow trägt kurze Hosen, Badelatschen und einen Schnauzer. Im nächsten Jahr wird er 60. 40 Jahre seines Lebens hat er dem Fußball gewidmet; besonders gern trainiert er Kinder und Jugendliche. Er will ihnen etwas mitgeben, das Gefühl, wertvoll zu sein und ein Ziel zu haben im Leben.

Als 1992 die erste Meisterschaft in der gerade unabhängig gewordenen ehemaligen Sowjetrepublik ausgetragen wurde, wurde die Auswahl des Amateurvereins VC Viktoria auf Anhieb ukrainischer Jugendmeister. "Victory Sewastopol" kann man auf einer Tätowierung auf Repenkows rechtem Unterarm entziffern, das Runde in der Mitte ist kein Ball, sondern ein Steuerrad. "Jeder lenkt sein Leben selbst", erklärt er. Das hat er auch immer versucht, der Jugend zu vermitteln. Er war ein erfolgreicher Trainer. Einige seiner Zöglinge haben später für die Nationalmannschaft der UdSSR gespielt und einige für die Nationalmannschaft der Ukraine.

Heute ist der Vater des Fußballs auf der Krim Vizepräsident des PFK Sewastopol. "Papa Kater" rufen ihn die Fans mit zärtlichem Spott. Aber Papa hat Sorgen, die sehr symptomatisch sind für die Zustände auf der Krim nach der Annexion durch Russland. In drei Wochen beginnt die neue Saison, und niemand weiß, wo die Mannschaften von der Krim dann spielen sollen. In der ukrainischen Liga? In der russischen? Zwei Clubs von der Halbinsel waren zuletzt in der ukrainischen Premier Liga vertreten: Tawrija Simferopol und PFK Sewastopol. Bei beiden ist ungewiss, ob es sie nach der Sommerpause noch geben wird.

Krim nach Annexion: In drei Wochen beginnt die neue Saison, und niemand weiß, wo die Mannschaften von der Krim spielen sollen. Fußballer des PFK Sewastopol.

In drei Wochen beginnt die neue Saison, und niemand weiß, wo die Mannschaften von der Krim spielen sollen. Fußballer des PFK Sewastopol.

(Foto: Vasiliy Batanov/AFP)

Die Mannschaften könnten zwar zu Auswärtsspielen auf das ukrainische Festland fahren, aber keine Gegner mehr zu Heimspielen empfangen; Kiew betrachtet die Krim nach der feindlichen Übernahme durch Russland als okkupiertes Gebiet. Die Fifa hat den russischen Fußballverband davor gewarnt, die Vereine von der Krim aufzunehmen. Das hat in Moskau vielleicht größere Abschreckungswirkung als die Sanktionslisten von EU und USA - schließlich möchte Russland 2018 die Fußball-Weltmeisterschaft ausrichten.

An einem feuchtkalten Tag im Februar ist Jewgenij Repenkow in den Army-Shop "Partisan" gegangen, der liegt in einer Seitenstraße im Zentrum von Sewastopol, und hat sich einen Tarnanzug der Bundeswehr gekauft. Es war wirklich so, wie Kremlchef Putin das in jenem berühmten Interview behauptete, in dem er den Einsatz russischer Soldaten auf der Krim leugnete. Eine Uniform aus dem nächstbesten Laden, das musste genügen.

"Wir waren doch nicht gegen das Land Ukraine!"

Vier Forderungen hätten er und seine Mitstreiter an Kiew gestellt, sagt Repenkow, als sie sich zum ersten Mal auf dem Nachimow-Platz im Zentrum versammelten. Erstens: ein Recht auf die eigene Sprache, ganz Sewastopol spricht Russisch. Zweitens: ein Recht auf die eigene Geschichte, an jeder Ecke stehen sowjetische Helden-Denkmäler, die sollte niemand stürzen. Drittens: das Recht, das Stadtoberhaupt selbst bestimmen zu dürfen. Und viertens schließlich: ein Referendum über die EU-Assoziation oder Beitritt zur russischen Zollunion.

"Wir waren doch nicht gegen das Land Ukraine!", Repenkow dreht die Handflächen nach oben. "Hätten sie in dem Moment ein Signal gesendet, hätten sie die russische Sprache unter Schutz gestellt - alle Faschismus-Warnungen Moskaus wären wirkungslos geblieben." Aber als Kiew sie stattdessen als Separatisten bezeichnete und ihnen drohte, da sei es zu spät gewesen. Unter den "Selbstverteidigungskräften der Krim" waren nicht nur Überzeugungstäter, das gibt er zu. Revolutionsromantiker gab es auch und viele der Freiwilligen seien ehemalige Mitglieder von Spezialeinheiten des Militärs gewesen. Aber es waren auch Kriminelle dabei, professionelle Schläger und Schutzgeldeintreiber, die Geld dafür bekamen, dass sie die Bewegung verstärkten.

Krim nach Annexion: Zwei Clubs von der Halbinsel waren zuletzt in der ukrainischen Premier Liga vertreten: Tawrija Simferopol und PFK Sewastopol.

Zwei Clubs von der Halbinsel waren zuletzt in der ukrainischen Premier Liga vertreten: Tawrija Simferopol und PFK Sewastopol.

(Foto: Vasiliy Batanov/AFP)

Jewgenij Repenkow kämpft jetzt darum, seinen Verein zu retten. Der Fußball in der Ukraine wird von Oligarchen finanziert, das macht alles noch komplizierter. Tawrija Simferopol bekam sein Geld von Dmitri Firtasch, der zum Lager des verjagten Präsidenten Viktor Janukowitsch gehörte und gerade in Wien auf seinen Prozess wartet. Er darf Österreich nicht verlassen. Hinter dem PFK Sewastopol stand Wadim Nowinskij, Inhaber der Smart Holding, die unter anderem in der Metallindustrie engagiert ist. Doch am Donnerstag hat Nowinskij eine Erklärung veröffentlicht, dass die Smart Holding den PFK Sewastopol nicht weiter unterstützen wird.

Nowinskij ist gebürtiger Russe. Für seine Verdienste um die Ukraine hatte ihm Janukowitsch die Staatsbürgerschaft ehrenhalber verliehen. Trotzdem gehörte Nowinskij zu den Abgeordneten, die die Krim nach der Annexion durch Russland per Gesetz zum okkupierten Territorium erklärten. Dafür hat ihn die Krim-Regierung wiederum zur unerwünschten Person auf der Halbinsel erklärt. Er könnte also den Klub, dessen Ehrenpräsident er ist, gar nicht mehr besuchen. Ein ironisches Detail ist, dass der Oligarch ohne den Verein wahrscheinlich gar nicht in die Lage gekommen wäre, über das Gesetz abzustimmen. Er verdankt ihm gewissermaßen sein Mandat. "Nowinskij wurde Abgeordneter, weil er Sewastopol finanziert hat", sagt der Vizepräsident Repenkow. "Sonst hätte ihn keiner gekannt."

Keine Sorgen um die Profis

Über dem Stadion des PFK Sewastopol weht jetzt die russische Flagge. Die Fahne der Smart Holding daneben wird der Platzwart bald einholen. Wie zuvor die ukrainische. Was an ihre Stelle kommt, weiß keiner. Früher wurde hier vor jedem Spiel die Hymne des Vereins gespielt: Legendäres Sewastopol. Und das ganze Stadion sang mit: "Sewastopol ist der Stolz der russischen Matrosen." So sah die angebliche Unterdrückung der Menschen, die sich als Russen fühlten, in der Ukraine aus.

Um seine Profis macht sich Jewgenij Repenkow keine großen Sorgen, die werden schon anderswo was finden. "Aber was wird aus dem Nachwuchs?" 500 Jugendliche haben beim PFK Sewastopol trainiert. "Ihr wollt doch nicht, dass die Kinder auf der Straße sitzen und sagen: danke, Mütterchen Russland!", sagt er in sein Handy, wenn er mit dem Fußballverband in Moskau telefoniert. Es ist der Hebel, den jetzt viele ansetzen auf der Krim, wenn sie etwas erreichen wollen. Sie nutzen die Angst in Moskau aus: Es solle jetzt bloß niemand unzufrieden werden nach der Eingliederung in die Russische Föderation.

Mensch der russischen Welt - aber nicht Bürger Russlands

Repenkow findet die Haltung der Fifa ungerecht: Der Radsportverband, die Boxer, die Hockeymannschaft, alle anderen spielen schon in den russischen Ligen. Nur beim Fußball wird es politisch. Die Fans haben einen Bittbrief an Russlands Präsident Wladimir Putin geschrieben, er soll dem russischen Fußballverband erlauben, die Vereine von der Krim aufzunehmen.

Wenn er mal den Kopf frei bekommen muss, setzt sich Jewgenij Repenkow auf sein Motorrad und fährt über die Insel. Hinter jedem Hügel steckt hier eine Heldengeschichte, mit jedem Tal ist eine große Schlacht verbunden. Kein Wunder, dass der Faschismus-Trick gezogen hat. Verteidigung war von Beginn an der Daseinszweck von Sewastopol. Repenkow steht auf einem Gipfel hoch über der Steilküste. Die Seeluft ist hier oben gesättigt mit dem Duft von Wildkräutern und Lavendel. Unten liegt der Hafen von Balaklawa, versteckt hinter einem Felsen. Atom-U-Boote können dort ein- und auslaufen. Auf dem Gipfel waren früher Raketen in Stellungen, die auf Nato-Länder zielten. Nach dem Budapester Memorandum von 1994 hat die Ukraine alle ihre Atomwaffen abgegeben - gegen die Garantie ihrer territorialen Unverletzlichkeit.

Annexions-Souvenirs sind gefragt

Jewgenij Repenkow hat jetzt eine neue Visitenkarte, frisch gedruckt in den russischen Nationalfarben. "Mitglied im Regionalstab der allrussischen Volksfront in Sewastopol" steht drauf. Der Kreml hat die Volksfront 2011 gegründet. Eine Bewegung, bei der jeder mitmachen kann, auch wenn er in keine Partei eintreten möchte, und die nur ein Programm hat: Wladimir Putin. Das Engagement signalisiert Nähe zur Macht. Das kann sehr nützlich sein, egal ob man Regisseur ist, Fabrikdirektor oder Sportmanager.

Repenkow hat das russische System verstanden, noch bevor die Tinte unter dem Vertrag zur Eingliederung der Krim und Sewastopols getrocknet war. "Ich nutze die Volksfront als eine Plattform, um gehört zu werden", sagt er. Sie haben ihn auch gefragt, ob er nicht Mitglied der Kreml-Partei Einiges Russland werden möchte, aber er hat dankend abgelehnt: "Ich sehe, wer da dabei ist. Das sind Leute, neben die man sich nicht setzen möchte."

Auf den Uferpromenaden der Krim sind in dieser Saison Annexions-Souvenirs besonders gefragt. T-Shirts mit den Umrissen eines Soldaten und der Aufschrift "Höfliche Menschen", der russischen Chiffre für die Männer in Grün ohne Hoheitszeichen. Dazu der trotzige Spruch: "Wir warten auf die Sanktionen." Und natürlich Putin-Porträts in allen Varianten; auf T-Shirts, Tassen und Kühlschrankmagneten. Ob einer als Patriot gilt oder als Separatist, das kann sich über Nacht ändern. "Papa Kater, der Separatist", nennt sich Repenkow im Scherz. Aber heute wird als Separatist verfolgt, wer auf der Krim eine ukrainische Fahne aus dem Fenster hängt.

"Der Zerfall der Sowjetunion geht weiter"

Was meint er, wenn er "mein Land" sagt? Geboren ist er in der Sowjetunion, die gibt es nicht mehr. Die vergangenen 20 Jahre lebte er in der Ukraine und fühlte sich als ein Bürger dieses Staates, aber als ein russischer: "Ich bin ein Mensch, der Russisch spricht, ein Mensch der russischen Welt, aber ich bin kein Rossijanin", sagt er, kein Bürger Russlands. "Ich kann über mein Land, die Ukraine, kein schlechtes Wort sagen. Mir gefällt es, wenn einer aus Prinzip Ukrainisch spricht und sein Land und seine Kultur liebt."

Jeder hält das Steuerrad seines Lebens eben selbst in der Hand. Aber es gibt auch noch den Wind und die Wellen, und manchmal greift auch eine unsichtbare Hand ins Steuer. Dass er die Medaille "Für die dritte Verteidigung der Krim" erhalten hat, das kann Repenkow nachvollziehen. Die Krim sei ja gegen Rechte aus der Ukraine verteidigt worden. Den Vergleich mit dem Krimkrieg und dem Kampf gegen Hitlers Wehrmacht findet er aber doch etwas überzogen. Und dann noch eine Medaille "Für die Befreiung der Krim"? Repenkow sagt: "Ich habe nichts befreit. Die Krim war doch kein besetztes Territorium!". Wer geglaubt hat, 1991 war alles zu Ende, der hat sich geirrt, ist Repenkow sich sicher. "Der Zerfall der Sowjetunion geht weiter. Nicht nur auf der Landkarte", er legt eine Hand auf seine Brust, "sondern auch hier drin."

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