Süddeutsche Zeitung

Krim-Krise:Wieder geht ein Riss durch Europa

Nach vier Monaten, vielen blutigen Demonstrationen und einem Umsturz bindet die EU die Ukraine eng an sich. Gleichzeitig besiegelt Moskau den Anschluss der Krim. Es ist das Ende einer Ära - ein neuer Ost-West-Konflikt ist voll entbrannt.

Von Daniel Brössler

Russland und die EU haben am Freitag eine scharfe Trennlinie durch Europa gezogen. Während Präsident Wladimir Putin in Moskau das Gesetz zur Aufnahme der Krim in die Russische Föderation unterschrieb, besiegelte die EU den politischen Teil des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine. "Das ist der erste Schritt zu unserem wichtigsten Ziel, der vollen EU-Mitgliedschaft", sagte der ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk.

Auf Druck Putins hatte der damalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch vor fast vier Monaten die Unterzeichnung des Abkommens abgesagt. Das brachte die Ukraine an den Rand eines Bürgerkriegs und führte schließlich zum Sturz Janukowitschs. In den Wirren des Übergangs besetzte Russland die Krim und trennte sie schließlich von der Ukraine ab. Mit der Unterschrift Putins unter das Krim-Gesetz wurde der Anschluss aus russischer Sicht nun endgültig vollzogen. Die 28 Staats- und Regierungschefs verurteilten während ihres Gipfels noch einmal "scharf die unrechtmäßige Eingliederung der Krim und Sewastopols durch die Russische Föderation" .

Konsequenzen für internationale Beziehungen

Die EU reagierte auf die Annexion aber lediglich, indem sie die Liste der Personen verlängerte, die nicht in die EU einreisen dürfen und deren Konten gesperrt werden. Zu bisher 21 Namen wurden zwölf weitere hinzugefügt. Betroffen sind Vize-Ministerpräsident Dmitrij Rogosin, die Chefin des Föderationsrates, Walentina Matwijenko, und der Putin-Vertrauten Wladislaw Surkow sowie Angehörige der russischen Führungselite. Außerdem sollen direkte Sanktionen gegen die Krim verhängt werden. Die USA hatten am Vortag ebenfalls ihre Sanktionsliste ergänzt. US-Präsident Barack Obama machte überdies den Weg frei für Wirtschaftssanktionen. Obama ist der erste Präsident seit Ende des Kalten Krieges, der solche Maßnahmen gegen Moskau anordnet. Das dürfte Konsequenzen für die internationalen Beziehungen haben. Westliche Politiker machten sich darauf gefasst, dass Russland künftig noch weniger kooperationsbereit sein wird, etwa im Syrien-Konflikt.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wird eine Beobachtermission in die Ukraine entsenden. Darauf einigten sich am Freitag alle 57 OSZE-Staaten bei einer Sitzung des Ständigen Rats in Wien - auch mit der Stimme Russlands. Die USA, die EU und Deutschland hatten einen solchen Schritt gefordert. Die Beobachtermission soll unparteiisch Informationen über die Sicherheitslage und den Schutz von Minderheiten in der Ukraine sammeln. Sie besteht aus mindestens 100 Experten. Bisher war die Mission am Widerstand Russlands und der Frage der Einsatzgebiete gescheitert. Diese wurden nun konkretisiert und umfassen das ganze Land, aber zunächst nicht die Krim.

Beim EU-Gipfel in Brüssel diskutierten die Staats- und Regierungschefs über die Folgen eines möglichen Wirtschaftskrieges. Nur falls Russland "weitere Schritte" zur Destabilisierung der Ukraine unternimmt, will auch die Europäische Union Wirtschaftssanktionen verhängen. Die EU-Kommission soll, unterstützt von den EU-Staaten, Vorschläge unterbreiten, was das für Sanktionen sein könnten. Nichts könne hier ausgeschlossen werden, sagte der britische Premierminister David Cameron. Ausdrücklich nannte er die Bereiche Rüstung, Finanzen und Energie.

Wegen der Krise will die Europäische Union die eigentlich für August geplante Unterzeichnung von Assoziierungsabkommen mit Moldawien und Georgien auf Juni vorziehen. Überdies soll die nahezu bankrotte Ukraine wirtschaftlich stabilisiert werden. Die Staats- und Regierungschefs sprachen sich für eine zügige Auszahlung von Hilfen aus, die der Ukraine bereits in Aussicht gestellt worden sind. Sie ermahnten die Ukraine aber auch, Reformen durchzuführen.

Zügig will die EU nun auch den Handelsteil des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine unterzeichnen. Fertig ausgehandelt ist er bereits. Doch man will noch die für den 25. Mai geplanten Präsidentenwahlen abwarten. Kanzlerin Angela Merkel sagte, sie erwarte in den nächsten Monaten eine heftige Debatte innerhalb der Ukraine über die Ausrichtung des Landes. Zugleich dämpfte sie ukrainische Hoffnungen auf einen schnellen EU-Beitritt. "Der Vertrag steht für sich", sagte sie über das Assoziierungsabkommen.

Die Krim-Krise wirkt sich massiv auf die Energiepolitik der EU aus. Europa will schneller unabhängiger von Energieimporten aus Russland werden. Russland gehört zu den wichtigsten Energielieferanten der Union. Die Staats- und Regierungschefs beauftragten die EU-Kommission, bis zum Gipfel im Juni einen Aktionsplan vorzulegen. "Wenn wir nicht handeln, werden wir bis zum Jahr 2035 bei Öl und Gas zu 80 Prozent von Importen abhängig sein", sagte Ratspräsident Herman Van Rompuy. Das jüngste russische Vorgehen habe Verunsicherung ausgelöst, sagte Merkel. "Das Vertrauen ist schon erschüttert." Sie verwies allerdings auch darauf, dass nicht einmal während des Kalten Krieges je die Energielieferungen aus der damaligen Sowjetunion unterbrochen worden seien.

Mit den Gipfelbeschlüssen zur Ukraine und zu Russland ist die strategische Partnerschaft, auf die die Europäische Union und Russland bis vor Kurzem hingearbeitet hatten, vorläufig passé. Sie markieren das Ende einer Ära, in der die Konfrontation zwischen West und Osten überwunden zu sein schien. Die Staats-und Regierungschefs sagten einen für Juni geplanten EU-Russland-Gipfel in der russischen Schwarzmeerstadt Sotschi ab. Zunächst soll es auch keine bilateralen Gipfeltreffen mit Russland mehr geben. Betroffen davon sind auch die ursprünglich für April in Leipzig geplanten deutsch-russischen Regierungskonsultationen.

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SZ vom 22.03.2014/webe
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