Krim-Krise:Putins Weltbild aus der Vergangenheit

Wladimir Putin

Er liebt die Überraschung: Russlands Präsident Wladimir Putin

(Foto: Getty Images)

Wer muss sich als nächstes vor Putins Landnahme fürchten? Die Ostukraine? Das Baltikum? Die Grenzregionen der Kasachen? Falls Russland nach dem illegitimen Referendum die Krim annektiert, muss das eine Sequenz unangenehmer Botschaften des Westens zur Folge haben. Putin, dem Mann des 19. und 20. Jahrhunderts, muss mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts begegnet werden.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Willkommen beim derzeit größten Spektakel der nördlichen Halbkugel: Russlands Auferstehung als Großmacht. Nein, nicht als Großmacht für Bildung, Energieeffizienz, Innovation, die ihren Rohstoffreichtum ummünzen würde in Rubel für ein modernes Land. Stattdessen ersteht das Jahrhundert der Landnahme und der Einflusszonen wieder. Im Mittelpunkt befindet sich Präsident Wladimir Putin, der die Bedeutung Russlands erfolgreich durch Obstruktion und Invasion hebt.

Hier sind seine Erfolge: Landgewinn im Georgien-Krieg, Unterdrückung der Opposition und der Meinungsfreiheit im eigenen Land (das letzte Presse-Kontrollgesetz ist keine 48 Stunden alt), Obstruktion im iranischen Atom-Programm über Jahre, nun abgelöst von einer Totalverweigerung in der Syrien-Krise. Geschmeckt hat dem Westen auch nicht die Causa Snowden. Die Liste ist erweiterbar.

Der Präsident ist ein außergewöhnlicher Stratege. Er ist seinen Gegnern immer einen Schritt voraus, er liebt die Überraschung, er befiehlt das Undenkbare, er verweigert sich den Regeln.

Putin hat einst den Zerfall der Sowjetunion als größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Jetzt will er wohl die Schmach dieser Niederlage ausgleichen. In der Krise um die Ukraine führt er sein neues Russland an einen vorläufigen Höhepunkt. Vorläufig deshalb, weil niemand wissen kann, was nach der Krim kommt. Die Ostukraine? Das Baltikum? Die Grenzregionen der Kasachen?

Man muss diese Möglichkeiten in Betracht ziehen, weil es höchste Zeit ist, das Undenkbare zu denken. Russland beachtet weder die souveränen Rechte der Ukraine noch mag es politische Gepflogenheiten des 21. Jahrhunderts einhalten. Sicherheitsrat oder Kontaktgruppe? Für Syrien schon - um zu obstruieren. Nicht für die Ukraine.

Bei aller berechtigten Kritik an der naiven Assoziierungs-Politik der EU und den Ausschlägen der ukrainischen Innenpolitik: Die Gründe für eine russische Invasion auf der Krim sind konstruiert und illegitim. Der Maidan-Aufstand entzündete sich an dem gebrochenen Europa-Versprechen. In diesem Aufstand ging es nicht um die Bedrohung der russischen Bevölkerung, sondern um die Orientierung des Landes - West oder Ost.

Der Einmarsch auf der Krim, angeblich in Uniformen aus dem Supermarkt, dient hingegen der Destabilisierung und der Abschreckung. Putin weiß, dass es keinen Krieg um die Krim geben wird. Möglicherweise auch nicht mal um die Ostukraine. Keiner im Westen wird ihn riskieren.

Ein kluger Putin würde um eine russische EU-Mitgliedschaft kämpfen

Mit Abstand betrachtet wirkt die Eskalation durch und durch orchestriert. Als das Krim-Parlament am Donnerstag das Abspaltungs-Referendum beschloss und die Duma in Moskau nahezu gleichzeitig die Gesetzgebung zur Aufnahme des Territoriums in Aussicht stellte, muss jedem Gutgläubigen klar geworden sein: Provokation und Eskalation folgen einem Plan. Und niemand kann sicher sein, dass der Plan mit der Abspaltung der Krim erfüllt sein wird.

Besonders die Länder des Baltikums, aber auch die Polen, die Ungarn, die Tschechen und natürlich die Georgier in Russlands Süden erfüllt dieser Revisionismus mit Angst. EU-Europa hat bisher unzureichend darauf geantwortet. Amerika scheint weit weg zu sein. Immerhin einigten sich die EU-Oberen jetzt darauf, dass sie die Annektierung der Krim nicht akzeptieren werden.

Sie stellen ein Sanktionsmodell in Stufen in Aussicht. Das ist gut und wird seine Wirkung erst noch entfalten. Aber Putin wird das nicht beeindrucken. Die Sorge um die Wirksamkeit der Sanktionen und die eigene Verletzbarkeit quälen die Europäer derart authentisch, dass der instinktbegabte Putin die Angst schon von Weitem wittert.

Als Winston Churchill mit dem Bild vom Eisernen Vorhang das Zeitalter des Kalten Krieges einläutete, war der Zweite Weltkrieg erst seit wenigen Monaten vorüber. Nur relativ kurz nach der deutschen Kapitulation beschrieb Churchill in bemerkenswerter Klarheit die Machtverhältnisse der gerade anbrechenden, nächsten Epoche. Hundert Jahre nach Beginn des Ersten und 69 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist Europa nicht bereit, historische Schablonen für diese neue Krise aus der Tasche zu ziehen - der wohl größten seit dem Mauerfall.

Vielleicht hat der Kontinent verlernt, in diesen groben Rastern zu denken. Das ehrt eine Staatengemeinschaft, die zunehmend post-national funktioniert, die wunderbare Werkzeuge entwickelt hat zum Abbau von Spannungen: Autonomien, Strukturfonds, den Föderalismus. Putin aber hat sich nicht auf diesen europäischen Weg eingelassen, er pflegt den Nationalismus und den ethnischen Chauvinismus. Auf der Krim sehen die Tataren gar Stalin auferstehen und packen die Koffer.

Wie also begegnet man einem Mann aus dem 19. oder 20. Jahrhundert? Am besten mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts. Putins größte Schwäche ist sein Weltbild, das sich auf Einflusszonen stützt. Einflusszonen aber lösen sich auf. Es gibt LinkedIn und Youtube, es gibt russische Milliardäre in London und Volkswagen in Kaluga. Die New York Times schreibt: "Ein kluger Putin würde für eine Mitgliedschaft Russlands in der EU kämpfen. Nicht gegen ein Assoziationsabkommen der Ukraine."

Das ist die Botschaft für vernunftbegabte Köpfe. Der Realismus aber weist den steinigen Weg. Putin wird der Welt erhalten bleiben. Und er hat gerade Konjunktur: Nicht nur auf der Krim, sondern selbst auch für die erhitzten Gemüter, die endlich den starken Mann gefunden haben. Gruselig, welche Sehnsucht nach Autorität da durchschimmert, auch und gerade bei einigen Deutschen.

Es bleibt nur eines: Klarheit in Wort und Tat. Nutzt Russland das illegitime Krim-Referendum zur Annektierung, dann muss eine Sequenz unangenehmer Botschaften folgen: Das Land hat seinen Platz in der G 8 verwirkt. Der Rausschmiss ist Symbol für die Isolation. Diese Isolation muss, zweitens, dokumentiert werden mit schmerzhaften Sanktionen.

Die EU hat die Liste aufgestellt, sie zielt auf das ökonomische Rückgrat Russlands, das mit dem Rückgrat der globalisierten Welt verwachsen ist. Drittens verdienen die Staaten an der neuen Front des kalten Krieges alle Unterstützung: die Balten durch ihre Nato-Verbündeten, die Ukraine durch Hilfsgelder, selbst Georgien darf nicht vergessen werden.

Europa muss sich treu bleiben: Putins Botschaft von Stärke und Abgrenzung passt nicht in diese Zeit. Die Ukraine strebt mehrheitlich gen Westen, weil die EU für die Werte des 21. Jahrhunderts steht. Eine Abspaltung der Krim führt in die Vergangenheit.

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