Schriftsteller Schulze über Krim-Krise:Diffamiert als "Russlandversteher"

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28. Februar 2014: Der erste Fernsehauftritt des nach Russland geflüchteten Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch nach seiner Entmachtung durch die Opposition (Foto: Reuters)

Wie kann der Versuch falsch sein, Russlands Motive in der Ukraine-Krise zu berücksichtigen? Wer den Konflikt verstehen will, muss zurückschauen bis in die Zeit von Boris Jelzin, als die EU ihre große Chance in Russland verspielte. Die heutige Selbstgefälligkeit der Politik des Westens ist deshalb ärgerlich und gefährlich.

Ein Gastbeitrag von Ingo Schulze

In den letzten Wochen ist ein Wort in Umlauf gekommen, das ich bisher nicht kannte. Zuerst begegnete es mir als Singular maskulin: der Russlandversteher. Nun, da es offenbar mehrere dieser Gattung zu geben scheint, kommt häufig der Plural zur Anwendung: die Russlandversteher. Und sicherlich wird es auch hier und da eine Russlandversteherin geben.

Beim erstmaligen Hören hatte ich geglaubt, Russlandversteher würde anerkennend gebraucht, der Ausdruck bezeichne also jemanden, der Russland versteht, der um die Beweggründe der russischen Politik weiß und der all denjenigen, die der russischen Politik ratlos gegenüberstehen, diese erklären kann.

Was mich überraschte und verwunderte, war der herabsetzende Sinn, in dem dieses Wort gebraucht wurde. Russlandversteher wird nicht nur kritisch, sondern abwertend verwendet, mitunter sogar als Schimpfwort.

Das System Putin ist 1998 nicht vom Himmel gefallen

Es ist kein gutes Zeichen, wenn das Wort "verstehen" negativ besetzt wird. Der Versuch, jemanden oder etwas zu verstehen, ist eine unabdingbare Voraussetzung, wenn man selbst agieren will. Nur wer etwas versteht, kann sich angemessen dazu verhalten und zwischen Zustimmung und Widerspruch abwägen. In der Art und Weise, in der ich über jemanden spreche, sage ich ja nicht nur etwas über ihn aus, sondern nicht weniger über mich selbst. Die Frage, ob wir Russland verstehen, beinhaltet eine noch wichtigere Frage: Verstehen wir uns selbst? Denn für die deutsche Politik, für die Politik der EU, die des "Westens" bin ich als Bürger dieses Landes und Europas mit verantwortlich.

Putin, das System Putin, ist 1998 nicht vom Himmel gefallen. Als ich 1992/93 die Segnungen des Westens in Form des ersten kostenlosen Anzeigenblattes von Sankt Petersburg gen Osten brachte, warb die Miliz der Stadt um neue Mitarbeiter mit einem Monatslohn von umgerechnet 40 D-Mark. Die Löhne und Gehälter, die ich zahlen durfte, schwankten zwischen 50 und 80 Dollar monatlich. Meine Angestellten zählten damit zu den Spitzenverdienern, darunter ehemalige Ärzte, Hochschullehrer, Ingenieure für Dammtechnik. Sie mussten einen "Job" machen, der ihnen Geld brachte. Wegen der Inflation waren wir gezwungen, wöchentlich eine neue Preisliste für die Anzeigen zu drucken. Jelzin war an der Macht, die privaten Läden und Kioske waren voll, kaufen konnte diese - in aller Regel westlichen - Produkte aber kaum jemand. Die Verarmung war unfassbar, die Not der Menschen - insbesondere der älteren - unerträglich.

Ich arbeitete auch mit Frauen und Männern zusammen, die als Kinder oder Jugendliche die deutsche Blockade der Stadt miterlebt hatten und damit den Tod durch Hunger oder Kälte oder Bomben von mehr als einer Million Menschen. Die Pförtnerin unseres Gebäudes hatte als Zwangsarbeiterin in Deutschland arbeiten müssen. Das alles war noch keine fünfzig Jahre her. Mein Gehalt lag um das Hundert- bis Zweihundertfache über dem der Russen, mit denen ich zusammenarbeitete. Mein Pass gewährte mir ungehinderten Zugang zum deutschen Konsulat - vorbei an den endlosen Menschenschlangen davor.

Wir erwarteten den Besuch der Schutzgeldmafia und hofften, dass uns halbwegs zivilisierte Typen beehren würden. Jelzin hörte auf seine Reformer, und die hörten auf ihre westlichen neoliberalen Berater. Dieser in jeder Beziehung überforderte Präsident schwächte den Staat bis zur Selbstaufgabe.

Und der Westen genoss seinen Triumph. Das "Reich des Bösen" lag am Boden. Die sowjetischen/russischen Truppen hatten sich hinter ihre Grenzen zurückgezogen. Den Präsidenten konnte man vor laufenden Kameras tanzen lassen, um ihm auf die Weise eine zweite Amtszeit zu sichern. In einer Zeit, in der Russland im wahrsten Sinne des Wortes offen war für den Westen, für westliches Denken, verkamen Begriffe wie "Demokratie" und "Marktwirtschaft" zur Farce.

Ingo Schulze, geboren 1962 in Dresden, lebt als Autor in Berlin. Sein Debüt, der Erzählungsband "33 Augenblicke des Glücks" (1995) ging aus seinen Erfahrungen im St. Petersburg der frühen Neunzigerjahre hervor. (Foto: Karlheinz Schindler/dpa)

"Ihr habt uns in kochendes Wasser geworfen"

Es herrschte allumfassende Korruption, was zählte, war das Recht des Stärkeren. Substanzielle Hilfe aus dem Westen blieb aus. Der nahm nur die Milliarden der Oligarchen in seine Depots und Fonds auf. Einer der meistgelesenen Schriftsteller Russlands und ausgewiesener Putin-Gegner, Zakhar Prilepin, sagte letztes Jahr in Berlin an die Adresse der damaligen Machthaber wie des Westens gerichtet: "Ihr habt uns in kochendes Wasser geworfen, umgerührt und gewartet, dass daraus der neue Mensch entsteht."

Nach dem Ausverkauf unter Jelzin und seinen Reformern hatte kein Demokrat, kein "Westler" mehr eine Chance. Dass jemand wie Putin ein autokratisches System erfolgreich etablieren konnte, wird nur verständlich als Reaktion auf diese Jahre. Der ehemalige KGB-Mann aus Leningrad, der als Präsident Wert auf die Weihen der orthodoxen Kirche legt, brachte eine gewisse Stabilität und Sicherheit, Renten und Gehälter wurden wieder gezahlt.

Mit ihm kehrte auch die Nationalhymne (leicht verändert) zurück. Der Westen, so ließe sich resümieren, hatte in Russland seine Chance gehabt. Er hat sie verspielt.

Als 2006 der ukrainische Schriftsteller Jurij Andruchowytsch den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung erhielt, durfte ich die Laudatio auf ihn halten. Da ich die Ukraine nicht kannte, fingierte ich in meiner Rede eine Lesereise mit Jurij durchs Land. Das gab mir die Gelegenheit, völlig ungehemmt die westlichen Klischees über den östlichen Alltag und seine Literatur in Erfüllung gehen zu lassen.

Obwohl ich die Dinge ins Absurde steigerte und am Ende der Rede auch noch ausdrücklich sagte, dass all dies Erfindung sei - der Großteil des Publikums glaubte meinen Schilderungen. Noch heute werde ich bisweilen auf meine Abenteuer in der Ukraine angesprochen. Der Osten, die Ukraine wie Russland, sind noch heute Projektionsflächen des Anderen für uns. Dort halten wir noch für möglich, was in "unserem" Europa als ausgeschlossen gilt.

Die Dankrede von Juri Andruchowytsch war überschrieben: " Europa, meine Neurosen". Es war eine bittere Rede. Er zitierte darin Günter Verheugen, damals Vizepräsident der Europäischen Union und zuvor ihr Erweiterungskommissar. Verheugen hatte Anfang 2006 in einem Interview erklärt: "In 20 Jahren werden alle europäischen Länder Mitglied der EU sein - mit Ausnahme der Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die heute noch nicht in der EU sind."

Jurij Andruchowytsch kommentierte: "Diese Aussage von Herrn Verheugen übt eine verheerende Wirkung auf mich aus. Wieder einmal schließe ich mit meinen Hoffnungen ab und erlaube mir, alles zu sagen, was ich empfinde. Vielleicht ist das unwürdig, vielleicht entschlüpfen mir jetzt statt Dankbarkeit einfach nur Beleidigungen."

Ein Bild des entmachtetet Präsidenten Viktor Janukowitsch als Zielscheibe auf dem Maidan in Kiew Ende Februar (Foto: Bulent Kilic/AFP)

Er zitierte im Weiteren auch aus einer Rede, die er vor EU-Parlamentariern gehalten hat: "Der Kern meiner Botschaft bestand darin, dass ich sie bat (. . .), einem gewissen verfluchten Land zu helfen, sich selbst zu retten. Ich sagte ihnen, was ungefähr ich gerne von ihnen hören würde: dass Europa auf uns wartet, dass es ohne uns nicht auskommen kann, dass es in seiner Ganzheit nur mit der Ukraine gelingen wird. Heute ist endgültig klar, dass ich zu viel erbeten habe." Es lohnt, die ganze Rede heute noch einmal zu lesen.

Festzuhalten bleibt: Schon als der Präsident Juschtschenko hieß und die Ministerpräsidentin Timoschenko, war klar, dass die Ukraine nicht in die EU kommen würde. Selbst die Visabeschaffung war für einen Ukrainer eine regelmäßige Tortur.

Heute ist Verheugen ein differenzierter Kommentator. In einem Interview vom 30. November 2013, die Proteste in Kiew hatten gerade erst begonnen, kritisierte er die Ukraine-Politik der EU: "Wir hätten ja das Abkommen leicht im vergangenen Jahr unterzeichnen können, da gab es noch gar keinen russischen Druck, aber damals ist, nachdem das Abkommen bereits fertig war, der Gedanke aufgekommen, da können wir vielleicht noch ein bisschen mehr rausholen, und es wurde Julia Timoschenko zur verfolgten Unschuld stilisiert und ein massiver Eingriff in die Souveränität dieses Landes verlangt. Und es war ganz klar, es war ganz klar, dass das ganz, ganz große innenpolitische Schwierigkeiten hervorrufen würde."

Wenn von einer Öffnung der Ukraine nach Europa gesprochen wird, von der "Ausrichtung" auf Europa, so hat das einen makabren Klang. Es erinnert mich an unsere liebenswürdigen süddeutschen Verwandten. Diese sagten irgendwann: "Morgen fahren wir zurück nach Deutschland." "Auch wir sind in Europa", schrieb bereits vor 120 Jahren der ukrainische Essayist und Übersetzer Iwan Franko. Die Ukraine ist Europa! Doch sie braucht sowohl den Westen Europas als auch den Osten Europas - sonst reißt es das Land in Stücke.

Circa drei Millionen Ukrainer arbeiten in Russland, noch einmal drei Millionen sind es in Richtung Westen, insbesondere in Polen, der Slowakei und Tschechien. Schon allein deshalb ist die Ukraine darauf angewiesen, sich gleichermaßen nach Ost und West offenzuhalten.

Ende November letzten Jahres war wohl kaum jemandem klar, wie sich die Proteste entwickeln würden. Wann was gefordert wurde, welche Menschen wann dabei waren und wann nicht, wer wann das Sagen auf dem Maidan hatte - das und anderes mehr darzustellen ist Aufgabe der Literatur und der Historiker. Es erscheint als spontane Bewegung, geradezu naturgewaltig. Empörte Bürger, die ihr Land lieber gen Westen als gen Osten ausgerichtet sehen wollen. Ob das allerdings entscheidend war, wage ich zu bezweifeln. Es gibt wohl wenige Außenminister aus den EU-Ländern, die nicht auf dem Maidan aufgetaucht sind.

Die Forderungen an den Präsidenten bestanden darin, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu ratifizieren. Nach wenigen Tagen und brutalem Polizeieinsatz weiteten sich die Forderungen aus: Rücktritt der Regierung und des Präsidenten, Neuwahlen! Schon am 5. Dezember zeigte sich der deutsche Außenminister Westerwelle auf dem Maidan - und dies, noch bevor er die offiziellen Vertreter der Regierung getroffen hatte.

Die Ukraine sei in der EU willkommen, verkündete Westerwelle. Er fand auch markige Sprüche: "Wir sind in der Ukraine nicht Partei für eine Partei, sondern für die europäischen Werte." Ist eine demokratisch gewählte Regierung kein europäischer Wert, selbst wenn Janukowitsch kein lupenreiner Demokrat ist?

Auf den Protest aus Moskau antwortete Westerwelle: "Wenn wir Europäer mit Europäern in der Ukraine reden, ist das keine Einmischung in innere Angelegenheit, sondern eine Selbstverständlichkeit." Als läge Moskau nicht in Europa und als gäbe es für Europäer keine Staatsgrenzen mehr. Verstörend war, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Maidan-Besuche auch in den deutschen Medien behandelt wurden.

Niemand wunderte sich, dass der ehemalige Präsidentschaftskandidat der USA, John McCain, dort erschien. Er ermunterte die Demonstranten nicht nur mit Worten und Keksen. Schließlich vertritt er handfeste wirtschaftliche Interessen.

Zwei Tage zuvor, am 13. Dezember 2013, hatte Victoria Nuland, die stellvertretende Außenministerin der USA für Europa, verbreiten lassen, dass seit 1991, seit der Unabhängigkeit der Ukraine, die USA fünf Milliarden Dollar investiert hätten "in the development of democratic institutions and skills in promoting civil society and a good form of government - all that is necessary to achieve the objectives of Ukraine's European." Diese Unterstützung soll fortgesetzt werden, um die Ukraine "europäisch" zu machen.

Als im Februar ein Telefonmitschnitt eines Gesprächs zwischen Victoria Nuland und dem US-Botschafter in Kiew bekannt wurde, war es Nulands "Fuck the EU"-Ausspruch, der die Gemüter erregte. Hört man sich diesen Mitschnitt an, ist etwas ganz anderes sehr viel interessanter: die Selbstverständlichkeit, mit der die neue Regierung der Ukraine aus dem Ausland geplant wird. Die US-Amerikaner wollen eben nicht wie die EU (und vor allem Deutschland) den ehemaligen Boxweltmeister Vitali Klitschko zum Ministerpräsidenten machen (Fuck the EU!), sondern sie halten Arsenij Jazenjuk für besser geeignet, die US-Interessen zu vertreten. Er war immerhin schon einmal Wirtschaftsminister und könnte daher den amerikanischen Konzernen zu lukrativen Deals verhelfen.

In deutschen Landen weiß man wohl noch am ehesten in Stuttgart, wie hart mit Demonstranten umgegangen wird. Und die Stuttgarter riefen weder zum Sturz des baden-württembergischen Ministerpräsidenten auf, noch verfügten sie über hochrangige ausländische Ermutiger und Finanziers.

Anders gefragt: Wie lange würden Demonstranten bei einer ungenehmigten Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz aushalten können, die den Sturz von Merkel und ihrem Kabinett (und am besten auch gleich noch von Gauck) fordern, weil Merkel nichts gegen die NSA unternimmt und maßgebend dazu beiträgt, dass Europa durch das Freihandelsabkommen mit den USA den Welt-Konzernen ausgeliefert wird?

Zudem fordern die Demonstranten, dass Edward Snowden, der letzte westliche Selbstaufklärer, einen Ort im Westen findet, an dem er unbehelligt leben kann. Unterstützt werden die Proteste mit Millionen oder Milliarden Rubeln und Yuan, und ab und zu tauchen der russische und chinesische Außenminister auf, verteilen Glückskekse und Pelmeni, applaudieren den Demonstranten und rufen unter der Weltzeituhr: Angela Merkel, deine Zeit ist vorbei!

Der gewählte Präsident der Ukraine war bereits zu vorgezogenen Neuwahlen im Mai bereit, zur Bildung einer Übergangsregierung und zu einer Verfassungsreform. Den Vertrag, den Janukowitsch mit der Opposition unterzeichnete, hatten die Außenminister von Deutschland und Polen vermittelt, US-Vizepräsident Biden und Putin hatten mit Janukowitsch telefoniert. Man erzielte einen Konsens. Der polnische Außenminister lobte die Vereinbarung als "guten Kompromiss für die Ukraine". Sie öffne "den Weg zu Reform und nach Europa". Er versicherte der Ukraine die Unterstützung von Polen und der gesamten EU.

Warum galt plötzlich diese Vereinbarung nicht mehr, mit der offenbar die Vertreter der ukrainischen Opposition wie der Regierung, der EU wie Russlands leben konnten? Stunden später enthoben der Maidan und das ukrainische Parlament den Präsidenten seines Amtes und setzten die Regierung ab. Allerdings entschieden das 238 Abgeordnete mit weniger als den erforderlichen 75 Prozent der Stimmen, wobei 212 Abgeordnete, also fast die Hälfte, nicht anwesend waren oder sein konnten. In welcher Angststimmung diese "Wahl" verlief, bezeugen nicht zuletzt die Filmbilder aus dem Parlament, wobei sich bereits da der nun auch international bekannte Abgeordnete mit dem Pferdeschwanz prügelnd hervortut.

Am nächsten Tag verkündet Timoschenko auf dem Maidan: "Wir haben es nicht auf friedliche Weise erreicht, aber diese Jungen haben das Ende der Diktatur erreicht." Von welcher Diktatur spricht die ehemalige Ministerpräsidentin, die 2010 abgewählt worden ist? Ihre abgewählte Partei stellt nicht nach Neuwahlen, sondern nach einem Handstreich nun wieder Parlamentspräsident und Regierungschef und etliche Minister, so wie bekanntlich auch die rechtsextreme Freiheits-Partei mit dem Posten des Vize-Ministerpräsidenten, zwei weiteren Ministerposten und der Stelle des Generalstaatsanwaltes belohnt werden.

Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim ist damit nicht zu entschuldigen oder gar gutzuheißen, aber sie ist eine Folge dieser Ereignisse. Warum gab es von den EU-Außenministern keinerlei Protest gegen die Regierungsbildung in Kiew und die Aufkündigung der Vereinbarung? Auch von Angela Merkel kam nichts. Sie telefonierte gleich mit der neuen Regierung.

Offenbar gilt es, eiligst Interessen zu wahren. Denn durchgesetzt hat sich Victoria Nuland, ihr Kandidat ist der neue Ministerpräsident geworden. Wären mit Klitschko die EU und Deutschland in einer besseren Position? Sehen Revolutionen heute so aus? Oder alles nur Zufall? Fallen diese "Lösungen" dem Westen einfach so in den Schoß?

Wo sind Distanz und Skepsis gegenüber dem eigenen Handeln geblieben?

Selbst wenn es so wäre und sich Umstürze wie dieser auch gegen den erklärten Willen des Westens vollzögen, sollten dann nicht diejenigen Staaten, die sich selbst demokratisch nennen und die eben noch einen Vertrag über demokratische Wahlen ausgehandelt haben, dieses Vorgehen kritisieren? Oder anders herum: Wie will derjenige, der dies gutheißt, noch den Anspruch erheben, demokratisch zu sein und für Demokratie einzutreten? Und selbst wenn man schwiege: Wie kann man solch eine Regierung als Verhandlungspartner anerkennen und gar mit ihr Verträge schließen? Das Einzige, wozu diese illegitime Regierung berechtigt ist, sind die Vorbereitungen von Neuwahlen.

Doch von Neuwahlen ist auffällig wenig die Rede. Dem Generalstaatsanwalt kann nur nahegelegt werden, möglichst schnell herausfinden zu lassen, wer die Scharfschützen sind und wer sie befehligt hat.

Woher kommt in der deutschen Politik wie in den deutschen Medien dieses unkritische Verhältnis zu den eigenen Positionen? Wo sind Distanz und Skepsis gegenüber dem eigenen Handeln geblieben? Wo die Gleichberechtigung des Gegenübers? Woher diese Blindheit? Was passierte, wenn beim Blick des Westens auf sich selbst ein Deutschland-Verstehen einträte, ein EU-Verstehen? Es würde die Selbstgewissheit des Westens irritieren und so die Welt um eine Gefahr ärmer machen.

© SZ vom 29.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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