Kriegsverbrecher:Trutzburg des Tribunals

Den Ex-Diktator Slobodan Milosevic erwartet ein Gefängnis mit vielen Eigenheiten.

Siggi Weidemann

Schickt ihn nach Texas" steht auf einem Blatt, das eine junge Bosnierin in die Höhe hält. "Dort wird mit dem Mann gleich abgerechnet", erläutert sie ihre Forderung. Die Frau ist eine der Schaulustigen, die sich vor dem Gefängnis in Scheveningen versammelt haben, um mitzuerleben, wie schließlich am Freitagmorgen um 1.15 Uhr der Polizeihubschrauber mit Slobodan Milosevic im Innenhof des Gefängnisses landet. Autos hupen, Menschen jubeln, es herrscht eine Stimmung, als ob Holland eine Meisterschaft gewonnen hätte. "Es ist ein gewaltiger Tag für die internationale Gerechtigkeit", sagt Jim Landale, der Sprecher des UN-Tribunals.

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UN-Gefängnis in Scheveningen

In der Trutzburg am Bompstationsweg, die mit ihren Türmchen einer mittelalterlichen Festung ähnelt, sind die Gefangenen des internationalen Kriegsverbrechertribunals zu guten Bekannten geworden, die gemeinsam ihre Geburtstage feiern, musizieren, Sprachen lernen, malen oder dichten. Nach Ansicht einiger Verteidiger ist es das "menschlichste Gefängnis der Welt". Die Nordsee ist nur wenige Straßenzüge entfernt. Eine Zelle mit Meerblick hat Milosevic nicht, aber er wird täglich eine Stunde in der frischen Meerluft Sport treiben oder die Tauben füttern können. Ob er mit den anderen 38 inhaftierten orthodoxen Serben, katholischen Kroaten oder Muslimen gemeinsam die Mahlzeiten einnehmen wird, darüber, so Landale, "müssen wir noch gut nachdenken".

69 Namen auf der Anklageliste

Das UN-Tribunal zur Verfolgung der Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien wurde 1993 gegründet. Aus den anfangs 16 Mitarbeitern ist inzwischen eine Institution mit 766 Angestellten aus 71 Ländern geworden. Der Jahresetat liegt bei etwa 200 Millionen Mark. Präsident der mittlerweile 14 Richter aus allen Teilen der Welt ist zurzeit der Franzose Claude Jorda, Chefanklägerin Carla del Ponte ist die bestbewachte Frau von Den Haag.

Bisher wurden 46 mutmaßliche Kriegsverbrecher festgenommen oder haben sich freiwillig gestellt. Insgesamt stehen 69 Namen auf der offiziellen Anklageliste. Zu den Gesuchten gehören auch der amtierende serbische Präsident Milan Milutinovic und der frühere jugoslawische Verteidigungsminister Dragoljub Ojdanic. Die Ex-Präsidentin der bosnischen Serbenrepublik, Biljana Plavsic, hat sich freiwillig gestellt. Auf einer geheimen Liste des Tribunals stehen weitere Gesuchte.

Seit dem ersten Prozess 1996 hat das Tribunal zehn Verfahren abgeschlossen. Zwei Angeklagte sind freigesprochen worden, 29 wurden zu insgesamt 342 Jahren Haft verurteilt. Vier weitere Verfahren mit zehn Angeklagten sollen bis zum Herbst abgeschlossen werden, darunter auch der Prozess gegen den bosnisch-serbischen General Radislav Krstic. Er ist der erste, der wegen Völkermords, dem schwersten Verbrechen, vor dem UN-Gericht steht. Staatsanwalt Mark Harmon hat am Mittwoch dieser Woche achtmal lebenslänglich gefordert.

Am kommenden Dienstag wird Slobodan Milosevic in einem gepanzerten weißen UN-Bus mit blickdichten schwarzen Scheiben erstmals in den Keller des Tribunalsgebäudes am Haager Churchill Plein gefahren werden. Dort soll ihm die Anklage verlesen werden, und er muss sich äußern, ob er sich schuldig oder nicht schuldig erklärt.

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