Kriegsverbrecher inkognito in Serbien:Kräuterdoktor Karadžic

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Unter falschem Namen, mit falschem Beruf und sogar falscher Frau hielt sich der Kriegsverbrecher Radovan Karadžic jahrelang in Belgrad versteckt - und war doch auffallend öffentlich.

Enver Robelli, Pristina

Der Kräuterdoktor Radovan Karadžić hatte nicht nur eine falsche Identität, sondern auch eine falsche Frau. Unter dem Namen Dragan Dabic dozierte der mutmaßliche Massenmörder in mehreren serbischen Städten über die Bioenergie und sonnte sich in seinem Ruf als Guru der alternativen Medizin.

Kräuterheiler und Volkskomponist: Radovan Karadžic alias Dragan Dabic. (Foto: Foto: dpa)

Begleitet wurde er oft von einer schwarzhaarigen Frau mittleren Alters, die er als seine große Liebe und Gattin vorstellte. Die mysteriöse Dame soll Mila heißen, meldete die Zeitung Blic am Mittwoch unter Berufung auf die Redaktion Gesundes Leben. Für diese Zeitschrift schrieb Karadžic alias Dragan Dabic oft Beiträge. Auf das Honorar soll der Publizist verzichtet haben.

Dem Publikum wurde Karadžic als Neuropsychiater vorgestellt, der die ganze Welt bereist habe,­ darunter auch die Berge des Himalaya. Das machte bei den Zuhörern offenbar Eindruck. Maja Djelic, eine Expertin für die chinesische Medizin, beschreibt Karadžic/Dabic als einen Bohemien, der kultiviert und selbstbewusst gewirkt habe. Etwas seltsam seien nur seine Frisur und sein Rauschebart gewesen.

Heilung durch Handauflegen

Die Haarmähne flechtete Karadžic zum Zopf oder Knoten. Auch habe er selten über sein Privatleben gesprochen. Die Medizinerin Djelic bestätigte, dass sie im vergangenen Dezember zusammen mit dem getarnten Kriegsverbrecher einen Vortrag in der ostserbischen Stadt Smederevo gehalten habe. Karadžics Thema sei das "Verhältnis zwischen Ruhe und Meditation" gewesen.

Über die Auftritte von "Doktor Dabic" berichteten sogar die serbischen Medien. Zuletzt hielt er am 23. Mai einen Vortrag auf dem "Festival gesundes Leben" am Ufer des Save-Flusses in Belgrad. Den Zuhörern verteilte er seine Visitenkarte. Darauf waren auch zwei Handynummern. Wer diese Nummern heute wählt, kann nur noch den Anrufbeantworter hören. Doktor Dabic ist nicht mehr erreichbar.

Der Chefredakteur der Zeitschrift Gesundes Leben, Goran Kojic, sagte, er habe Karadžic-Dabic einmal nach seinem Diplom gefragt. Daraufhin habe er geantwortet, das läge bei seiner Ex-Frau in den USA, da käme er nicht mehr heran.

Karadžic lebte laut Angaben serbischer Zeitungen in einer Zwei-Zimmer-Wohnung im Stadtteil Novi Beograd. In der serbischen Metropole soll Karadžic auch als Arzt in einer Privatklinik gearbeitet haben. Seltsam ist, dass er dort angestellt wurde, ohne sein Diplom zu zeigen. In Belgrad wurde spekuliert, dass Karadžic unter Vermittlung der Geheimdienste die Arbeitsstelle erhalten habe. Der serbische Innenminister Ivica Dacic sagte, der Geheimdienst habe ihn geschützt. "Und der Geheimdienst hat ihn jetzt übergeben", so Dacic, der als Chef der Sozialistischen Partei (SPS) eine Festnahme der meistgesuchten Kriegsverbrecher abgelehnt hatte.

Der einstige Propagandachef des Gewaltherrschers Slobodan Miloševic erklärte, kein Angehöriger der Polizei sei an der Festnahme beteiligt gewesen. Damit versucht Dacic die Nationalisten zu besänftigen, die ihm vorwerfen, er habe den "Nationalhelden" Karadžic verraten.

In Novi Beograd soll Karadžic oft in der Kneipe "Luda kuca" ("Irrenhaus") seine Freizeit verbracht haben. Einmal, so die Zeitung Alo, habe er mit einer Gusla serbische Volkslieder vorgetragen. Die Gusla ist ein traditionelles Streichinstrument der Balkanvölker. Im Restaurant "Irrenhaus" hängen die Bilder von Karadžic und Ratko Mladic, dem früheren Armeechef der bosnischen Serben. Offenbar schöpften die Gäste keinen Verdacht, wer da schwermütige serbische Balladen anstimmte. In einem Lebensmittelgeschäft in Novi Belgrad erinnern sich die Verkäufer an den bärtigen Mann, der nicht viel Geld ausgab und immer fünf Liter Mineralwasser, Gemüse und Obst kaufte.

Auf den Bildern, die in den serbischen Medien veröffentlicht wurden, ist ein abgemagerter Mann zu sehen. Unklar war am Mittwoch, wo Karadžic genau verhaftet wurde. Offiziell heißt es, der ehemalige Präsident der bosnischen Serben sei in der "Umgebung von Belgrad" von Geheimdienstmitarbeitern gestellt worden. Mehrere serbische Zeitungen verbreiten eine andere Version. Demnach soll Karadžic in einem Linienbus verhaftet worden sein. Der Nachrichtendienst habe ihn kürzlich aufgespürt, als er mit seinem Sohn telefonierte.

© SZ vom 24.07.08/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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