Süddeutsche Zeitung

Kriegsverbrechen:Zahlreiche Staaten schicken Ermittler in die Ukraine

Der Internationale Strafgerichtshof entsendet so viele Experten wie noch nie, um Beweise für mutmaßliche Kriegsverbrechen zu sammeln. In Kiew steht bereits ein russischer Soldat vor Gericht.

Von Ronen Steinke, Berlin

Nicht nur ukrainische Ermittler sammeln seit Wochen unmittelbar im Kriegsgebiet Beweise für mutmaßliche Kriegsverbrechen. Nun tun dies auch Ermittler, die vom Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag entsandt worden sind. 42 Experten von dort würden von nun an im Land arbeiten, teilte der Haager Chefankläger, Karim Khan aus Großbritannien, mit. Zu dem Team gehörten Fachleute für Spurensicherung und Zeugenvernehmungen.

Auffällig ist: Dies ist das bisher größte Ermittlerteam, das das Weltstrafgericht je entsandt hat. Der IStGH befasst sich auch mit jahrelangen Kriegen und Völkermorden in afrikanischen Staaten, in denen es wesentlich mehr Opfer gibt. Dies zeigt, wie groß aktuell die Unterstützung vieler Staaten für die Ermittlungen in der Ukraine ist. Die Untersuchungen in der Ukraine werden nach Angaben der Anklage von zahlreichen Staaten unterstützt. 21 Staaten wollten Experten entsenden, 20 Staaten hätten finanzielle Mittel zugesagt.

Etliche der Experten, die zu der Delegation des IStGH gehören, sollen von den Niederlanden zur Verfügung gestellt worden sein. In der Ukraine werden sie auf französische Kollegen treffen, die dort bereits von sich aus die ukrainischen Behörden unterstützen. Ermittler des deutschen Bundeskriminalamts (BKA) führen ebenfalls bereits Ermittlungen wegen möglicher Kriegsverbrechen in der Ukraine. Das BKA hat dazu jedoch aus Sicherheitsgründen keine eigenen Beamten entsandt, sondern stattdessen nur Material und Geräte. Man sei auch bereit, in Nachbarländern Schulungen etwa zur Opferidentifizierung durchzuführen, heißt es.

Auch die USA, die dem IStGH bis heute nicht beigetreten sind, haben nun einen Weg gefunden, bei den Ermittlungen zu helfen. Am Dienstag hat das US-Außenministerium den Start einer sogenannten Konfliktbeobachtungsstelle erklärt. Diese soll sicherstellen, "dass von Russlands Truppen begangene Verbrechen dokumentiert und die Täter zur Verantwortung gezogen werden", sagte ein Sprecher des Ministeriums in Washington. Das Programm werde unter anderem Informationen und Beweise für "Gräueltaten, Menschenrechtsverletzungen und die Beschädigung der zivilen Infrastruktur" erfassen, analysieren und auf der Seite conflictobservatory.org veröffentlichen.

Nach der Invasion Russlands hatte das Weltstrafgericht bereits Ermittlungen eingeleitet. Das Gericht mit Sitz in Den Haag verfolgt Einzeltäter wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord. Russland erkennt das Gericht nicht an. Die Ukraine aber hat ausdrücklich die Zuständigkeit des Gerichts für sein Gebiet anerkannt, und dies genügt, damit die Haager Ermittler und Ankläger tätig werden können.

Während es bis zu einer Anklage in Den Haag noch ein weiter Weg sein dürfte, hat die Justiz in der Ukraine bereits mit solchen Verfahren begonnen. In Kiew muss sich seit diesem Mittwoch ein 21-jähriger russischer Soldat verantworten, der im Gebiet Sumy im Nordosten der Ukraine einen 62-Jährigen erschossen haben soll.

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