Kriegsverbrechen:Dokumentation der Hilflosigkeit

Mann in Aleppo

Kaum ein Krieg der vergangenen Jahrzehnte ist so reich an halbdokumentierten Verbrechen und monströsen Taten wie der in Syrien.

(Foto: dpa)

Die UN will Beweise für Kriegsverbrechen in Syrien sammeln. Trotzdem muss sie erkennen: Es gibt keinen Hebel gegen die Gräueltaten.

Kommentar von Stefan Kornelius

Im syrischen Bürgerkrieg gibt es keinen Mangel an Gräueltaten. Die Angriffe mit den geächteten chemischen Waffen, die Hungerbelagerung von Dörfern wie Madaya, die Folterkerker des Regimes, der Luftangriff auf den UN-Hilfskonvoi, das Bombardement von Krankenhäusern und Schulen - die Liste der Verstöße gegen das Völkerrecht ist schier endlos. Kaum ein Krieg der vergangenen Jahrzehnte ist so reich an halbdokumentierten Verbrechen und monströsen Taten. Syrien ist ein Ort grausamer Enthemmung und gleichzeitig ein digitales Schlachtfeld. Deswegen finden sich für all diese Vergehen auch Belege oder Indizien.

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat nun mit einer beeindruckenden Mehrheit die Dokumentation dieser Kriegsverbrechen ermöglicht. Ein eigens eingerichteter UN-Stab wird also systematisch Beweise für diese Verbrechen sammeln und Widersprüche aufzuklären versuchen. Dann aber - und hier beginnt der frustrierende Teil der Entscheidung - folgt daraus erst einmal: nichts.

Weder ist Syrien Mitglied jener Staatengruppe, die sich freiwillig der Jurisdiktion des Internationalen Strafgerichtshofs unterworfen hat. Noch wird man die syrischen Kriegsverbrechen per UN-Resolution im Rahmen eines Sondertribunals aufarbeiten können. Russlands und Chinas Vetomacht werden das verhindern. Die Staatenmehrheit dokumentiert also einmal mehr ihre Hilflosigkeit - und das fast auf den Tag 75 Jahre nach der Unterzeichnung jener denkwürdigen Washingtoner "Erklärung der Vereinten Nationen", die am Beginn der Gründung der UN stand.

Das UN-Votum zu Syrien hat wenig Kraft, doch es setzt ein Zeichen

Der Konflikt zwischen der Souveränität von Nationalstaaten und einer irgendwie höher gearteten Instanz - er hat sich nie lösen lassen. Wer aus der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und der Urseuche Nationalismus heraus von einer echten Völkergemeinschaft träumte, durfte sich sieben Jahrzehnte lang immer wieder als Utopist verspotten lassen. Souveränitätsfragen sind Machtfragen, und wer lässt sich schon gern die Macht aus der Hand nehme, wenn er qua Kraft und Größe bedeutende Teile des Erdballs dominieren kann.

Das gilt für China und Russland, die jetzt in der Vollversammlung auf Seiten des syrischen Machthabers Baschar al-Assad standen und gegen die Resolution votierten. Das gilt aber ebenso für die USA, die sich genauso wenig dem Internationalen Strafgerichtshof unterordnen und auf eine lange Kette von Verstößen gegen das Völkerrecht zurückschauen.

Obsiegen Skrupellosigkeit und Feuerkraft?

Und dennoch steckt im Votum der Vollversammlung eine interessante Botschaft: 105 Staaten wünschen eine Bestrafungsinstanz für diese Gräuel. Nur 15 Staaten sind explizit dagegen. Die Motive für 52 Enthaltung mögen vielfältig sein - vermutlich scheuen diese Staaten aber nur die Entscheidung und sind beeinflussbar. Das Syrien-Votum ist also ein Dokument für das Ringen um eine Staatenordnung. Gibt es - bei brutalsten Menschheitsverbrechen - den Willen, im Namen der Humanität einzuschreiten? Oder obsiegen Skrupellosigkeit und Feuerkraft?

Die ehrliche Antwort ist: Völkerrecht wird sich ohne Feuerkraft nicht durchsetzen lassen. Ohne Glaubwürdigkeit aber auch nicht - eine Erfahrung, die gerade die USA nach dem Irak machen mussten. Die Regierung Obama hat deshalb trotz der Giftgasangriffe in Syrien gezaudert, weil ihr am Ende das Mandat fehlte und weil der Militäreinsatz hasardeurhaft erschien. Den Gegenentwurf haben nun Russland, Iran und die Türkei aufgezeigt: Stärke siegt, auch wenn der Teilungsplan für die Region neue Gewalt züchtet. Das Kriegsverbrecher-Votum der Vollversammlung erinnert daran, dass die vor 75 Jahren geborenen UN-Prinzipien zwar schwächer, aber bestimmt gerechter und langlebiger sind.

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