Kriegsverbrechen in Afghanistan:"Ich bin einigermaßen fassungslos"

Kriegsverbrechen in Afghanistan: Fatou Bensouda, Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof.

Fatou Bensouda, Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof.

(Foto: AFP)

Der Internationale Strafgerichtshof stellt seine Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen in Afghanistan ein. Ein Experte erklärt, warum das der Reputation der Haager Ankläger schadet.

Interview von Ronen Steinke

Die Liste der Vorwürfe gegen amerikanische Truppen in Afghanistan ist lang. Sie reicht von Folterungen Inhaftierter bis zur Ermordung von Zivilisten. Dennoch hat der Internationale Strafgerichtshof gerade seine Ermittlungen eingestellt - in einer überraschenden Entscheidung, die auch wegen ihrer Begründung einige Empörung ausgelöst hat. Christoph Safferling, 47, ist Juraprofessor an der Universität Erlangen-Nürnberg und leitet dort die Forschungsstelle Völkerstrafrecht. Er ist Vizepräsident des Kuratoriums der Akademie Nürnberger Prinzipien, die vom Auswärtigen Amt getragen wird.

SZ: Herr Safferling, seit Jahren trotzt der Internationale Strafgerichtshof allen Drohungen der USA und bereitet Ermittlungen wegen mutmaßlicher amerikanischer Kriegsverbrechen in Afghanistan vor. Und jetzt sagen die Richter in Den Haag: Nein, diese Ermittlungen werden eingestellt. Aus "Gründen der Gerechtigkeit". Wie ist das bitte zu verstehen?

Christoph Safferling: Es ist nicht zu verstehen. Sie sehen mich einigermaßen fassungslos, gerade als jemand, der die Institution des Internationalen Strafgerichtshofs seit seiner Gründung vor 17 Jahren begleitet hat. Seit Jahren wird diesem Gerichtshof vorgeworfen, dass er sich allein auf afrikanische Beschuldigte konzentrieren und einen Konflikt mit den westlichen Staaten scheuen würde. Jetzt hätte man endlich die Chance gehabt, das Gegenteil zu beweisen. Die USA sind zwar nicht Mitglied des Gerichtshofs. Aber Afghanistan ist es. Das genügt, damit auch gegen Amerikaner ermittelt werden darf. Und die Richter in Den Haag haben sogar zugegeben: Die Hinweise auf amerikanische Kriegsverbrechen waren stichhaltig.

SZ: Wieso haben sie trotzdem eine offizielle Ermittlung abgelehnt?

Die Richter der Vorverfahrenskammer behaupten, dass eine Strafverfolgung nicht mehr der Gerechtigkeit diene, wenn die Tat lange zurückliegt und die Ermittlungen wegen der Umstände vor Ort schwierig sind. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Was würden die Richter wohl dazu sagen, dass das Landgericht Lüneburg Oskar Gröning wegen Beihilfe zu tausendfachem Mord im Vernichtungslager Auschwitz verurteilt hat, 70 Jahre nach den Taten?

SZ: Bei den Kriegsverbrechen in Afghanistan ging es allerdings nicht nur um amerikanische, sondern auch um afghanische Kämpfer, etwa der Taliban.

Wenn die Richter behaupten, es sei eine Verschwendung der Ressourcen der Haager Ankläger, in diesem Land zu ermitteln, dann ist das zynisch und einmal mehr schädlich für die Reputation des Gerichtshofs. Hier hätte der Gerichtshof die Möglichkeit gehabt, sich in einen der längsten und blutigsten Konflikte der Welt einzumischen und den Anspruch "Keine Straflosigkeit für Menschenrechtsverbrecher" einzulösen. Diese Chance ist vertan. Das grenzt an Arbeitsverweigerung.

SZ: Die Entscheidung in Den Haag fügt sich in eine ganze Reihe von Freisprüchen in letzter Zeit. Wie kommt das?

Der Ex-Präsident der Elfenbeinküste, beschuldigt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit - freigesprochen. Der Präsident von Kenia, beschuldigt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit - die Anklage wurde fallengelassen, weil die Beweisführung in sich zusammenbrach. Ein Freispruch ist für einen Rechtsstaat kein Makel. Im Gegenteil, er ehrt einen Rechtsstaat, weil dadurch gezeigt wird, dass der Rechtsstaat seine eigenen Kriterien ernst nimmt. Die Frage ist aber immer, wie ein Freispruch zustande kommt.

SZ: Der ehemalige Vizepräsident der Demokratischen Republik Kongo, Jean-Pierre Bemba, verlangt derzeit fast 70 Millionen Euro an Haftentschädigung und Schadenersatz. Er war zehn Jahre lang als mutmaßlicher Kriegsverbrecher in Den Haag inhaftiert. Dann kam das Urteil der Berufungsinstanz: Freispruch.

Das kam völlig überraschend. Hier hat die Berufungskammer am Ende eines langen Rechtsweges völlig neue Kriterien für eine Strafbarkeit eingeführt, die vorher nicht absehbar waren. Die Kriegsverbrechen wurden in der Zentralafrikanischen Republik begangen, der Beschuldigte Bemba aber saß zu dieser Zeit im Kongo. Es ging also um die Frage, ob seine Verbindung zu den Truppen eng genug war, damit man sagen kann, er war verantwortlich.

"Da herrscht ein hohes Maß an Unprofessionalität"

SZ: Genauer gesagt: Die fünf Richter der Berufungsinstanz haben nicht alle für Freispruch votiert. Sondern sie haben sich zerstritten und vier unterschiedliche Urteile abgegeben.

Das ist eigentlich das Befremdliche an diesem Freispruch. Das hinterlässt Verunsicherung. In Deutschland gilt aus gutem Grund das Prinzip, dass die Richterbank in einem Strafprozess nach außen hin mit einer Stimme sprechen muss, also ohne abweichende Einzelmeinungen. Damit auch künftige Beschuldigte ganz klar wissen, woran sie sind. In Den Haag dagegen wollte man liberaler sein und den Richtern mehr Meinungsvielfalt zugestehen. Das Ergebnis ist nun dieses Debakel. Es wird der Eindruck vermittelt, dass selbst die Richter der letzten Instanz völlig uneinig sind, was eigentlich gilt.

SZ: Dass die Richter so sehr streiten - ist das nicht ein gutes Zeichen dafür, wie ernst sie ihre Aufgabe nehmen?

Nein. Streiten ist gut. Aber am Ende braucht es, wenn man die Arbeit ernst nimmt, auch Kompromissbereitschaft. Sonst ergibt sich dieses fatale Bild: Ein Gerichtshof, der mit sehr viel Geld ausgestattet ist, um die schlimmsten Verbrechen der Welt zu ahnden - und dann kann man sich nicht darauf verständigen, was diese schlimmsten Verbrechen sein sollen. Da herrscht ein hohes Maß an Unprofessionalität.

SZ: Manche fürchten, dass schon bald der nächste Prozess in Den Haag platzen wird. Der Grund: Eine der Richterinnen erregt gerade Aufsehen, weil sie einen Zweitjob angenommen hat.

Ja, leider. Die japanische Richterin Kuniko Ozaki ist gerade Botschafterin ihres Landes in Estland geworden. Ihr Amt als Richterin in Den Haag übt sie nur noch in Teilzeit aus. Ob das überhaupt rechtlich zulässig ist, halten viele für zweifelhaft. Wenn sich am Ende herausstellen sollte, dass das rechtlich nicht geht, dann könnte der Mammutprozess, an dem Richterin Ozaki weiterhin beteiligt ist, platzen. Dort geht es gegen einen kongolesischen Warlord, Bosco Ntaganda, beschuldigt der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Folge wäre dann der nächste Freispruch.

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