Kriegsgegner in Israel:Bedroht und alleingelassen

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Israelische Demonstranten am 26. Juli in Tel Aviv. Sie protestieren gegen Israels Luftangriffe im Gazastreifen. (Foto: Getty Images)

In Israel werden die Kritiker des Gaza-Kriegs beschimpft und bedroht. Der Publizist Gideon Levy musste gar unter Personenschutz gestellt werden. Auf die Unterstützung seiner deutschen Kollegen kann er aber nicht zählen - sie suchen in dieser komplexen Gemengelage lieber nach einfachen Wahrheiten.

Von Hilmar Klute

In die Einlassungen mancher deutscher Intellektueller zum jüngsten Gaza-Krieg scheint irgendjemand vorsorglich einen Algorithmus eingebaut zu haben, der die Argumente immer um denselben Bogen zum selben Ziel lenkt: Israel ist das Land, das sich gegen seinen unablässig Raketen sendenden Feind verteidigen muss; die Hamas trägt die Bevölkerung des Gazastreifens auf einem Präsentierteller durchs Land, sodass die israelische Armee nicht anders kann, als auf die Menschen zu feuern, denn jede Schule, jede Moschee, jedes Krankenhaus ist ein Waffenlager. Die Hamas hat Israel so lange provoziert, bis Israel nicht mehr anders konnte, als zurückzuschießen.

Diese Glaubenssätze haben als Wahrheit zu gelten, und es ist nicht geboten, sie zu überprüfen. Wer dies trotzdem tut, hat die Absicht - und jetzt befindet sich der Argumentationsbogen in der Zielgeraden -, sich von der Schuld an der millionenfachen Ermordung der Juden im Dritten Reich zu beurlauben oder seinen bis dahin latenten Antisemitismus in Gestalt massiver Israelkritik an den Mann zu bringen.

Ansichten in der "Überzeugungsstarre"

Der Schriftsteller Karl Heinz Ott zitierte vor ein paar Tagen in dieser Zeitung einen Artikel aus der ägyptischen Wochenzeitung Al-Ahram als Beleg für den selbstkritischen Umgang der Araber mit ihren radikalislamistischen Organisationen, deren Korruption und Clankriege den Kampf der Palästinenser in Misskredit gebracht hätten. Hierzulande dagegen, schreibt er, "verharren die Sichtweisen in Überzeugungsstarre".

Karl Heinz Ott hat recht, und er selbst ist das beste Beispiel für diese Überzeugungsstarre. Wäre er in seiner Presseschau auf Vollständigkeit bedacht, müsste er auch die israelische Tageszeitung Haaretz aufschlagen und den Blick auf die dort geführte Debatte zum Gaza-Krieg lenken.

Gideon Levy nennt den Gaza-Krieg ein "Massaker"

Gideon Levy, der prominenteste Kommentator des Blattes, schrieb am 31. Juli eine Kolumne unter dem Titel "Es ist alles Schuld der Hamas, Israel ist im Recht?" Er bilanzierte darin den Krieg mit Zahlen von Ende Juli: 400 000 Palästinenser haben ihr Obdach verloren, mehr als 1200 sind getötet worden, achtzig Prozent von ihnen Zivilisten, die Hälfte von ihnen Kinder und Frauen. Die Zahl der Toten und Verletzten ist inzwischen angestiegen, damals schon schrieb Levy: "Es hat die Dimension eines wahrhaften Massakers erreicht."

Wegen dieses Textes kündigten 100 Leser ihr Abo, zuvor hat seine Zeitung ihm Bodyguards gestellt, weil er in einer Kolumne die Piloten der israelischen Luftwaffe darauf aufmerksam machte, wie einfach es sei, auf den Knopf zu drücken und mit einem Schlag Dutzende Menschen zu töten. Nun kann Levy nicht ohne Security auf die Straße gehen, verlassen Tel Aviver das Café, wenn er sich an den Nebentisch setzt.

Die Solidarität deutscher Intellektueller mit seinen Positionen wird Gideon Levy vergebens suchen, seine Situation wird entweder verschwiegen oder gelangt gar nicht erst zur Kenntnis derer, die in einer so komplexen Gemengelage ihre bequeme Wahrheit suchen und natürlich sehr rasch finden. Und dass der auch in Deutschland gern gelesene Satiriker Edgar Keret von zwei Kriegen spricht, nämlich dem in Gaza und dem der Rechten gegen Andersdenkende wie ihn, passt nicht ins Schnittmuster, das die redliche deutsche Israeleinlassung aufweisen muss. Kritiker wie Keret werden hierzulande nicht zitiert, seine Beobachtungen einer inzwischen bis zum Rassismus verhärteten israelischen Gesellschaft werden verschämt weggeklickt.

Deutsche Intellektuelle verweigern den israelischen Kollegen die Solidarität

Wann hat es das eigentlich zuletzt gegeben, dass deutsche Intellektuelle, die sonst doch so viel auf das Pulsmessen im eigenen Land geben, dermaßen kaltherzig ihre Solidarität ihren Kollegen verweigern, die Kritik an ihrem eigenen Land wagen? Ja, bei den israelischen Kritikern ist der Protest gegen das Regierungshandeln ein Wagnis, bei uns ist es das nicht. Die israelische Schauspielerin Gila Almagor wird mit dem Tod bedroht, weil sie nach der grausamen Ermordung des Palästinenserjungen Muhammad Abu Khedir gesagt hat, sie schäme sich nach diesem Verbrechen, eine Israelin zu sein. In diesem Sommer, schreibt die Autorin Lily Galili, habe sich "eine neue Art des Terrorismus im eigenen Land etabliert: die organisierte Hetze gegen alles und jeden, das als linksgerichtet gilt oder sich außerhalb der engen Grenzen des verordneten Konsenses bewegt."

In Israel ist eine nie gekannte Kriegswut ausgebrochen

Publizisten wie Gideon Levy oder Amira Hass spüren am eigenen Leib, wie sich die israelische Gesellschaft, vor allem die jungen Menschen, mental aufrüsten, ideologisch verhärten und in eine bis dahin nie gekannte Kriegswut ausgebrochen sind. Bei ihrer deutschen Kollegin Sibylle Berg wird dieser Gedanke direkt in den Antisemitismusvorwurf verwandelt, ohne den kaum eine Kritik an der Kritik von Israels Rolle im Gazakrieg auskommt. Sibylle Berg zitiert in ihrer Kolumne auf Spiegel online die Überschrift eines taz-Kommentars ( "Israel provoziert dritte Intifada") und stellt folgende Fragen: "Was will uns die seit Jahren in der Demokratie Israel angenehm lebende taz-Journalistin Susanne Knaul mit dieser Überschrift sagen? Dass Jüdischsein per se schon eine Zumutung und Provokation sondergleichen ist?"

Der Antisemitismusvorwurf funktioniert wie ein Bewegungsmelder

Es ist schwer zu begreifen, wie Sibylle Berg zu dieser Herleitung kommt, denn die taz-Autorin übt in ihrem Artikel Kritik am restriktiven Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen nach dem Mord an den drei Talmud-Schülern. Vom Jüdischsein ist in dem Text keine Rede. Er warnt vielmehr vor einer weiteren Eskalation, die ja dann auch stattgefunden hat. Es reicht schon aus, wenn man in einem nüchternen Text Israel als handelnden und nicht nur reagierenden Akteur beschreibt, um von Sibylle Berg lustvoll gekeult zu werden.

Der Antisemitismus-Vorwurf funktioniert wie ein Bewegungsmelder. Jemand muss nur ein paar Reizwörter kombinieren, schon bekommt er ihn frei Haus geliefert. Geht es eigentlich überhaupt noch um Israel? Oder geht es vielmehr darum, das böse alte Lieblingstier der Deutschen an der Kette durch den Argumentationspark zu führen: eben jenen Antisemitismus, von dem ein Großteil der Publizisten, die derzeit das Vorgehen Israels verteidigen, mit der gewohnten Küchenpsychologie annimmt, dass er in jedem Deutschen schlummert und nur Anlässe wie den gegenwärtigen braucht, um sich loszureißen und auffällig zu werden?

Georg Diez schreibt in seiner Spiegel-Kolumne: "Dieser Krieg ist auch dazu da, sich im eigenen Pazifismus zu gefallen, der verdrängt, dass die Freiheit des heutigen Deutschlands erst durch einen Krieg ermöglicht wurde." Aber um wessen Freiheit geht es in Israel? Nicht auch um die Freiheit jener Menschen dort, die es für falsch halten, ein Gebiet zu zerbomben, und dies öffentlich sagen?

Selten wurde in Deutschland eine Diskussion mit so großer Kälte und einem derartigen Zynismus geführt wie die um den derzeitigen Gaza-Krieg. Und man kommt ja auch schneller zu einem schlüssigen Ergebnis, wenn man mit der Funzel im Keller der deutschen Volksseele seine Gruselführungen macht. Zwischen Israel und der Hamas herrscht Krieg, aber wir schicken die Beobachtungs-Satelliten los, um zu schauen, wer hier bei uns in der tiefsten Tiefe wie gelagert ist.

Israels Kriegsgegner werden von zwei Seiten attackiert

Wenn jemand schreibt, der Politiker Benjamin Netanjahu führe die Welt am Gängelband, wird ihm vorgehalten, er transportiere das Bild vom allmachtsverliebten Juden. Schon erstaunlich, dass ausgerechnet die schärfsten Antisemitismusdetektive so zuverlässig triumphierend die kernigsten antisemitischen Klischees zur Hand haben. Die deutschen Gegner der Israelkritik sagen von sich, sie übten den Schulterschluss mit Israel. Mit welchem nochmal? Mit dem Israel Netanjahus, der sich von den ultrarechten Scharfmachern, Wirtschaftsminister Naftali Bennett und Außenminister Avigdor Lieberman mit entfesselten Waffengangparolen befeuern lässt, auch aus Furcht, vielleicht demnächst selbst auf der Liste der "linken Sektierer" zu stehen, weil er nicht entschlossen genug handelt?

Warum eigentlich nicht mit dem Israel der Levy, Keret und Galili sowie der vielen Namenlosen, die sich wöchentlich aus den Protestzelten am Rabinplatz in Tel Aviv prügeln lassen müssen? Alles, was in Deutschland gesagt und geschrieben wird, wird gesagt und geschrieben, ohne dass der Sprecher oder Schreiber Angst um Leib, Leben oder zumindest seinen Job haben muss. Es gibt in Israel mutige Kriegsgegner, die viel aufs Spiel setzen. Denn sie werden von zwei Seiten attackiert: von der Rechten im eigenen Land und von den Antisemiten in Europa sowieso. Deshalb wäre es richtig, die Solidarität mit dem kriegsführenden Israel durch die Solidarität mit jenem Israel zu ersetzen, das gewissermaßen aus der zweiten Reihe an die Vernunft appelliert.

© SZ vom 13.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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