Kriegsgefahr im Nahen Osten:Irans Sehnsucht nach Größe

Iran treibt sein verdächtiges Atomprogramm voran - die Politik des Landes ist von dem Gefühl bestimmt, bedroht und unterdrückt zu sein. Die USA mahnen zur Zurückhaltung, die Europäer hoffen, dass neue Verhandlungen den Streit lösen. Doch Teheran will sich durch die Atombombe endlich aus westlicher Bevormundung befreien.

Tomas Avenarius

Laufen die Dinge schlecht, dann heißt es: "Kar-e englis-e" - England ist schuld. Die ehemalige britische Vormacht ist einem Iraner über keinen Verdacht erhaben. Reflexhaft wird Großbritannien für alles Böse verantwortlich gemacht - und wenn es die steigenden Gurkenpreise auf dem Basar sind. Großbritannien als Fluch der iranischen Nation: Heute gesellen sich Amerikaner, Israelis und Europäer zu den perfiden Briten. Für die meisten Menschen in Teheran oder Isfahan sind all diese Mächte missgünstig, bösartig, anti-iranisch.

Woman walks past writing on a wall in Persian script that reads, 'Down with Israel', in northern Tehran

"Nieder mit Israel" steht auf Persisch an einer Wand in Irans Hauptstadt Teheran.

(Foto: REUTERS)

Trotz verständlicher Ängste Israels vor einem Iran mit Atombomben: Der Wunsch nach der Waffe erklärt sich nicht aus dem Drang blutrünstiger Islamisten, 60 Jahre nach Auschwitz einen atomaren Holocaust auszulösen. Zwar glaubt kein vernünftiger Beobachter, dass Teherans Nuklearprogramm nur friedlichen Zielen dient. Aber dahinter steht kein irrationaler Judenhass. Der Griff nach der Bombe begründet sich in der Geschichte des Landes, seiner geopolitischen Rolle, dem nationalen Selbstverständnis und dem Wunsch nach Hegemonie am Golf und in der Region.

Kolonialisten, Imperialisten, Erdöl-Kapitalisten

Die Iraner sehen sich, das ist vor Jahrhunderten in ihre kollektive Psyche eingesickert, als ewiges Opfer fremder Mächte, die dem Land den Weg zu verdienter historischer Größe verstellen. Für die Perser ist ihre Nation Träger einer einzigartigen Kultur, Heimat großer Dichter, Hort des wahren Glaubens. Iraner - ob Mullahs, Politiker, Intellektuelle oder der Mann auf der Straße - erinnern stets an ihre vieltausendjährige Geschichte und Kultur.

Und betonen, wie sehr Iran unter Kolonialisten, Imperialisten und Erdöl-Kapitalisten gelitten hat: Ein Welt- und Großreich, das von seiner Frühzeit bis zur Islamischen Republik seine Identität erhalten hat, obwohl Alexander der Große durchs Land zog und Mohammeds Araberheer. Mongolen fielen ein, Afghanen, Soldaten des Zaren. Briten und Sowjets teilten das Land in Einflusssphären. Dann putschten CIA und Briten den Premier Mossadegh weg, weil der das Öl verstaatlichen wollte.

Selbst den Islam relativieren die Perser: Ja, der arabische Glauben ist - in seiner schiitischen Ausprägung - die wahre Religion. Aber die islamische Kultur und Raffinesse, das sei iranisch. Und trotz allen Drucks blieb dieses Volk eine Nation: kulturell, territorial, religiös.

Ewige Bedrohung und eine demütigende Existenz unterhalb der angemessenen Marke auf der historischen Messlatte: Das plagt die Perser. Überlegenheitsgefühl und imperiale Großmannsucht, gepaart mit Ängsten, schaffen einen nationalen Minderwertigkeitskomplex, der die Perser oft allein stehen lässt. Dank dieser Nationalpsyche glauben die heutigen Herrscher, dass Atomwaffen ihr Regime sichern, die historische Rolle als persische Nation und Schiiten-Vormacht garantieren. Denn auch der schiitische Islam formt die Befindlichkeit. Die Geistlichen griffen immer ein, wenn der Herrscher das Land an die Ausländer verkaufen wollte. Das war so beim Tabakboykott gegen England und während Chomeinis Kampf gegen den USA-Freund, den Schah: die Ayatollahs als Rückhalt des Volks.

Angst und Selbstüberschätzung

Iranisches Welterleben schwankt zwischen Glauben, Angst und Selbstüberschätzung. Und trotzdem eine kühle Politik. Ayatollah Ali Chamenei und Präsident Mahmud Ahmadinedschad wissen, dass sie die Welt herausfordern mit ihrer Trickserei in Sachen Atom. Aber sie sind weit gekommen auf dem Weg zur Bombe.

Iran is to hold new talks on nuclear programme

Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad besichtigt im Jahr 2007 eine iranische Atomanlage: Teheran ist weit gekommen auf dem Weg zur Bombe.

(Foto: dpa)

Paradoxerweise waren es Amerikaner und Europäer, die die Perser auf nukleare Ideen brachten. Die USA und ihre Verbündeten waren in den siebziger Jahren im Kalten-Kriegs-Denken gefangen. Der kaiserliche Iran - der Schah agierte als Washingtons Sheriff in Nah- und Mittelost - bildete ein Gegengewicht zu den oft pro-sowjetisch auftretenden Arabern. Der Westen verkaufte Mohammed Reza Pahlavi Fregatten, Jets und Panzer, versprach zivile Atomtechnologie. Der Herrscher war megaloman. Er plante den Bau von 23 AKWs, für ungeheure 24 Milliarden Dollar, Siemens legte in Buschir erste Reaktorfundamente.

"Israels Nuklearmacht quälte ihn"

Wären all die AKWs fertig gebaut worden, hätte der Schah sein Reich mit billiger Energie versorgen und dazu den Golf-Ländern Strom liefern, die Vormacht über Staaten wie Saudi-Arabien oder Kuwait so energiepolitisch absichern können. Schon damals waren Teherans Ambitionen auch militärisch. "Der Schah liebäugelte mit Atomwaffen", schreibt der Ahmadinedschad-Biograf Kasra Naji: "Israels Nuklearmacht quälte ihn."

Ja, Israel. Auch damals, als Iran noch fest in der westlichen Phalanx stand. Der Monarch pflegte gute Beziehungen zu Jerusalem. Aber er sah, dass die Atombombe dem winzigen Land eine Vormachtrolle verschaffte, der weder die Araber noch Iran viel entgegensetzen konnten.

Existenziell bedroht war der Kaiser von anderer Seite: vom Nachbarn Irak, unter Saddam Hussein. Der arabische Diktator betrieb ein Atomprogramm, iranische A-Bomben sollten den Nachbarn auf seinen Platz verweisen. Der Schah ließ wissen, dass sein Reich Atomwaffen bekommen würde, "schneller, als irgendwer meint". Iran-Experte Naji: "Der Westen, allen voran die USA, brachten das Land an die Schwelle nuklearer Kapazität."

Der Krieg gegen Irak ließ Chomeini an die Bombe denken

Der Schah war aber weder Islamist noch Judenhasser. Seine nuklearen Planspiele wurden ausgerechnet von den Führern der Islamischen Revolution gestoppt. Die Ayatollahs waren von 1979 an mit anderem beschäftigt: Ruhollah Chomeini ließ eine Verfassung schreiben, Andersdenkende füsilieren, den Gottesstaat errichten. Für atomare Träume hatte er keine Zeit. Das Programm verstärke nur die Abhängigkeit vom Westen, wo das Land doch so viel Öl habe, dass es auf Atomkraft verzichten könne.

Zudem war Saddam über Iran hergefallen. Es war die Beinahe-Niederlage im achtjährigen Krieg gegen Irak, die Chomeini an die islamische Bombe denken ließ. Nachdem Hunderttausende Perser in den Schützengräben krepiert waren und das Land am Ende stand, war er gezwungen, "den Giftbecher" zu leeren und 1988 Waffenstillstand zu schließen. Was als Nachgeschmack blieb: Saddam hatte mit fremder Hilfe Krieg geführt. Waffen und Geld kamen aus dem Westen und arabischen Staaten; die Satellitenfotos persischer Stellungen wurden mit US-Kameras aufgenommen, das Giftgas stammte aus westlichen Fabriken.

Die Zeichen deuten auf Krieg

Das lässt die Iraner das vermeintliche Heil in der Bombe sehen. Und das lassen Obama, Netanjahu, Cameron und Merkel außer Acht, wenn sie vor dem jetzt herrschenden Ayatollah Chamenei und Präsident Ahmadinedschad als nukleare Feuerteufel warnen. Natürlich ist dem Ayatollah nicht zu trauen: Er nennt die Bombe "unislamisch", während seine Scholastiker Wege suchen, wie sich die Waffe rechtfertigen lässt. Ex-Präsident Akbar Rafsandschani meinte: "Sollte der Tag kommen, an dem die islamische Welt gebührend ausgestattet ist mit den Waffen, die Israel hat, würde die Strategie des Kolonialismus in ein Patt münden. Der Austausch von Atomschlägen würde die islamische Welt schädigen, von Israel aber nichts übrig lassen."

Drei Jahrzehnte nach dem Sturz des Schahs dient die Urangst vor Kolonialisten wieder als Rechtfertigung persischer Großmannssucht, riskieren Chomeinis Nachfolger Krieg am Golf. Einen Ausbruch aus dem Teufelskreis böte die "große Lösung", über die US-Präsident Barack Obama zu Anfang seiner Amtszeit nachgedacht haben soll: das Islamisten-Regime wird anerkannt, sein Bestand garantiert; der 75-Millionen-Einwohner-Staat bekommt eine angemessene Rolle, zu Lasten der Araber. Gespräche über einen atomwaffenfreien Nahen Osten soll Obama ebenso erwägt haben. Dafür sollte Iran auf Revolutionsexport verzichten, Frieden mit Israel schließen, nicht an der Palästinenserfront zündeln.

Aber dafür ist es fast zu spät: Israelische Piloten markieren die Ziele auf den Cockpit-Karten. Top-Guns aus den USA werden ihnen beistehen, sollten iranische Raketen auf Tel Aviv fallen. Die Zeichen deuten auf Krieg. Ob die Iraner bestehen oder verlieren - sie werden sich in jedem Fall bestätigt sehen.

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