Befreiung des KZ Dachau 1945:"Wir mussten aufpassen, dass sie die Kapos nicht lynchten"

Der eine kam als Befreier, der andere wurde befreit: Wie US-Sergeant Carl Getzel und Häftling Vladimir Feierabend die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau erlebten.

Protokolle von Oliver Das Gupta

Carl Getzel

Befreiung des KZ Dachau 1945: Der Befreier: Carl Getzel

Der Befreier: Carl Getzel

(Foto: Foto: odg)

"Ich war Sergeant in der 45. Infanterie-Division. Wir landeten zuerst in Italien, dann befreiten wir Rom. Anschließend bin ich zurück für einen Lehrgang.

Dann, am 15. August 1944, landeten wir in Südfrankreich und stießen, nachdem wir die Maginot- und Siegfried-Linie überschritten hatte, nach Deutschland vor.

Uns wurde mitgeteilt, dass wir ein Konzentrationslager befreien werden, aber damals wusste ich noch nicht, was das ist.

Das erste, was ich sah, waren Eisenbahn-Waggons voller Leichen, 300 bis 400 Tote etwa. Ich meine, dass die Deutschen am Ende noch viele Leute umbrachten.

Die Häftlinge waren in wirklich schlechtem Zustand. Wir mussten aufpassen, dass sie die Kapos nicht lynchten.

Ein deutscher Häftling zeigte mit im Lager die Orte, wo die verschiedenen Sachen der Häftlinge gesammelt worden waren: ein Platz für Kleidung, einer für Zähne, einer für Schuhe.

Dann besichtigte ich im Lager das Krematorium. Ich sah halbverbrannte Körper, ich sah den Shower-Room, Sie wissen, was ich meine. Die Gaskammer. Und Leichen, viele Leichen. Das lebt immer noch mit mir, bis zum heutigen Tag.

Ich blieb dann noch eine Weile in München, dann bin ich einer der ersten gewesen, die nach Hause fuhren."

Carl Getzel lebt in Long Island, New York.

"Die Solidarität der Leute war fantastisch"

Vladimir Feierabend

Befreiung des KZ Dachau 1945: Der Befreite: Vladimir Feierabend

Der Befreite: Vladimir Feierabend

(Foto: Foto: odg)

"Nach dem Attentat auf Heydrich 1942 in Prag haben sie unsere gesamte Familie verhaftet. Die Frauen kamen nach Ravensbrück, wir Männer via Theresienstadt nach Dachau.

Mein Großvater war 81 und der Älteste im Lager, der Nestor. Nach einem halben Jahr bekam er eine Lungenentzündung und kam aufs Krankenrevier. Die anderen Häftlinge haben ihn gepflegt. Und versteckt, wenn Transporte abgingen zu Liquidierungen. In der Pathologie. Manche wurden sogar in Särgen vor der SS verborgen.

Ich sage immer: Alles war Glück und die Hilfe der anderen. Die Solidarität der Leute war fantastisch.

Man muss sagen, dass es einigen SS-Leuten auch keinen Spaß gemacht hat bei den Selektionen.

Ich war 18 und kam wegen meiner schönen Schrift in die politische Abteilung, um die Zugänge aufzuschreiben. Ich hatte ein Dach über dem Kopf, das war sehr wichtig.

Das Gefühl, dass der Krieg zu Ende geht, kam nach der Invasion in Frankreich 1944 auf, und weil die (Luft-)Angriffe immer häufiger wurden.

Alle haben gespürt, dass es aufs Ende zuging, aber wir wussten ja nicht, was die SS für uns vorbereitet hat. Ich war nicht so nervös, weil ich so jung war. Aber mein Vater. Artilleriedonner hörten wir schon Wochen vor der Befreiung.

Von den Außenkommandos kamen immer mehr Häftlinge. Das Lager war total überfüllt.

Am schlimmsten waren die Leute aus Kaufering dran, das waren Juden. Ich sah Menschen in Holzschuhen, die ganz mager waren, mit Fetzen bekleidet, voller Läuse. Auch von anderen Konzentrationslagern kamen Züge an, ich erinnere mich an Waggons, in denen Leichen lagen.

Sie (die SS-Leute) wollten uns nach Südtirol übersiedeln. Die Transporte gingen ab, ich glaube es waren drei, einer kam zurück. Ich bin im Lager geblieben.

Merkwürdig: Jeder hat die Befreiung anders gespürt.

Am Tag der Befreiung war ich in der 1. Baracke, weil ich dort gearbeitet habe. Dann bin ich raus, der Appell-Platz war schon voll, weil man die Amerikaner durch das Lagertor sah. Das war eine Lawine, und ich war in dieser Lawine. Ich habe geschaut, geschaut, geschaut. Und war einfach froh. Dann bin ich zu meinen Vater.

Mein Bruder ist übrigens sofort aus dem Lager weggegangen, bevor die Amerikaner es unter Quarantäne stellten. Er lief zu Fuß Heim nach Prag.

Mein Opa überlebte die Zeit im Konzentrationslager. Die Amerikaner brachten ihn nach Pilsen. Wenige Wochen später starb er dort."

Nach dem Krieg wurde Vladimir Feierabend Arzt für Epidemiologie und Hygiene. Er lebt in Prag.

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