Kriege im 21. Jahrhundert:Schlachtfelder der Zukunft

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Die Menschheit hat neue Orte gefunden, um zukünftige Kriege auszufechten. Nun geht es darum, sich vorzubereiten auf Schlachten in der Arktis, dem Weltraum - oder dem Cyberspace.

Peter W. Singer

Wenn politische Führer darüber nachdenken, wo künftige Kriege ausgefochten werden, richten sich ihre Augen meist auf die Brennpunkte der Landkarte. Sie überlegen, welcher Staat als nächstes zusammenbricht (Pakistan, Jemen?) oder zum nächsten Krisenherd wird (Iran, Korea?). Jene, die sich als Bismarcks unserer Tage betrachten und um breit angelegte Großstrategien ringen, neigen dazu, den Globus mehr wie verbundene tektonische Platten zu sehen. Ihr Augenmerk gilt aufstrebenden Mächten wie China und Indien, die die geopolitische Landschaft verändern. Diese Strategen schauen üblicherweise darauf, wo sich regionale Einflusssphären überlappen - auf der Suche nach den Bruchlinien, von denen das nächste Erdbeben ausgehen könnte. Aber wenn man einen Schritt von der Landkarte zurücktritt, wird etwas anderes klar: Es treten noch größere Verschiebungen auf, die Einfluss darauf haben werden, wo im kommenden Jahrhundert auf neue Art Kriege geführt werden.

80 Prozent der Kommunikation in den USA ist satellitengestützt. Für mögliche Angriffe ein lohnendes Ziel. (Foto: ddp)

Von den ersten prähistorischen Schlachten um neue Jagdgründe bis zu den europäischen Kriegen um Gold in der Neuen Welt (man könnte die jüngeren Konflikte über Ölvorkommen im Nahen Osten hinzufügen): Wann immer Menschen neue Stätten von Wert entdeckt haben, haben sie in der Regel darum gekämpft. In dem Maß, in dem wir die weißen Flecken auf der Landkarte immer weiter getilgt haben, waren es neue Technologien, die neue Räume für den Wettstreit erschlossen. 5000 Jahre lang kämpften Menschen nur an Land und auf der Wasseroberfläche. Dann, an der Wende zum vergangenen Jahrhundert, erlaubten Technologien, die es kurz zuvor nur in Geschichten von Jules Verne gegeben hatte, den Kombattanten des Ersten Weltkriegs unter Wasser und auch in der Luft zu kämpfen. U-Boot-und Luftkriege verlangten nach neuen Truppenteilen, aber auch neuen Gesetzen, die diese Kriege regelten.

Hier zeichnet sich eine Reihe von Parallelen für das 21. Jahrhundert ab. Für die Arktis etwa hat sich in politischen Kreisen lange niemand interessiert. Aber durch Veränderungen, die unsere Technologien im globalen Klima verursacht haben, erwärmen sich die Gewässer. Dadurch lassen sich neue schiffbare Handelswege und Fundstätten für Energie- und Mineralreserven erschließen auf diesem einst weißen Fleck der Landkarte. Dort könnten soviel Öl und Gas liegen wie in Saudi-Arabien.

Wenn sich ein neuer Teil der Welt öffnet, ergeben sich daraus neue Sicherheitsfragen; tatsächlich hat es kein derart großes Gebiet mit offenen Territorialfragen gegeben, seit Papst Alexander VI. 1493 versuchte, die neue Welt zwischen Spanien und Portugal aufzuteilen - was Krieg von Seiten jener Mächte hervorrief, die nicht an dem Deal beteiligt wurden. Heute bereiten sich verschiedene Akteure auf einen Wettlauf am Pol vor, auch wenn Konflikt alles andere als unvermeidlich ist. Ein Berater des russischen Premierministers Wladimir Putin erklärte: 'Die Arktis gehört uns.' Kanada, Norwegen, die USA und selbst nicht an die Arktis grenzende Nationen wie China scheinen anderer Meinung zu sein und haben begonnen, ihre Fähigkeiten auszubauen, um ihre Ansprüche abzustecken.

Vergleichbares geschieht im Weltraum: Ein einst unzugängliches Gebiet gewinnt rasch an wirtschaftlichem und militärischem Wert. Das Reich der Filme von Fritz Lang und George Lucas ist heute bevölkert von 947 in Betrieb befindlichen Satelliten, hinaufgeschossen von mehr als 60 Ländern. Durch sie strömt der Lebenssaft des weltweiten Handels und der Kommunikation wie auch militärischer Operationen. 80 Prozent der Kommunikation in den USA ist satellitengestützt. In einer ironischen Anspielung auf Clausewitz hat US-Luftwaffengeneral Lance Lord den Weltraum als 'neues Zentrum der Schwerkraft' beschrieben. Das Pentagon hat mehr als 20 Studien zur Kriegsführung im All anfertigen lassen.

Wie Generalmajor Ya Yunzhu von der Akademie der Militärwissenschaften der chinesischen Volksarmee gewarnt hat, werden die USA, 'wenn sie glauben, dass sie eine Weltraum-Supermacht sein werden, natürlich nicht alleine sein'. China hat die USA im vergangenen Jahr hinsichtlich der Anzahl von Raketenstarts überholt und plant, in diesem Jahrzehnt 100 weitere zivile und militärische Satelliten hinzuzufügen. Wichtiger noch, beide Staaten haben in den vergangene Jahren wiederholt ihre Fähigkeit demonstriert, Satelliten kinetisch zu zerstören. Russland, Indien, Iran und sogar nichtstaatliche Akteure wie die Befreiungstiger in Sri Lanka haben ebenfalls versucht, Satelliten zu stören, oder an Operationen gearbeitet, die sich gegen Ziele im Weltraum richteten.

Der Cyberspace ist - anders als der Raum unter Wasser, in der Luft, der polaren Kälte oder im Weltall - nicht nur lange unzugänglich gewesen, er existierte vor einer Generation faktisch nicht. Dennoch ist seine zentrale Funktion für unsere Lebensweise kaum zu fassen; die Zahlen, die ihn beschreiben, sind so hoch, dass sie erfunden klingen. Das globale Internet besteht aus knapp 250 Millionen Seiten, pro Jahr werden annähernd 90 Billionen E-Mails verschickt. Die militärische Nutzung des Netzes ist ebenso verblüffend. Allein das Pentagon betreibt 15.000 Computernetzwerke auf 4000 Stützpunkten und Einrichtungen in 88 Ländern.

Hacker stehlen jährlich Daten in Billionenhöhe. (Foto: ddp)

Aber angesichts der tatsächlichen Vermögenswerte, die in diesem neuen virtuellen Raum liegen, wird dieser auch zu einem Ort für Verbrechen, politische und wirtschaftliche Auseinandersetzungen und auch Konflikt. Die IT-Sicherheitsfirma Symantec hat im vergangenen Jahr 240 Millionen unterschiedliche neue Schadprogramme registriert, mehr als 100 Organisationen sollen sich an anspruchsvollen militärischen, geheimdienstlichen oder terroristischen Cyber-Operationen beteiligt haben. Das FBI hat Cyber-Attacken als drittwichtigste globale Bedrohung für die Sicherheit beschrieben - bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass sein Chef vor zehn Jahren nicht einmal einen Computer auf dem Schreibtisch stehen hatte. Das US Cyber Command ist binnen weniger Jahre von einem imaginären Konzept zu einer Organisation herangewachsen, die 90.000 Mitarbeiter hat und ein Budget von drei Milliarden Dollar.

Die meisten Diskussionen haben sich bisher um überzogene Szenarien wie ein 'digitales Pearl Harbor' gedreht, um den russisch-georgischen 'Cyber-Krieg' oder die Veröffentlichung peinlicher Diplomaten-Memos. Die große Mehrheit solcher Attacken sind zwar ein Ärgernis, aber sie entsprechen Cyber-Graffiti oder Cyber-Lecks - nicht Krieg. Auch wenn es weniger sexy klingt, die wirkliche Gefahr könnte darin liegen, dass nach und nach unsere Innovationsfähigkeit und der Schutz geistigen Eigentums ausgehöhlt werden könnten, diesen Schlüsselfaktoren für den wirtschaftlichen Wohlstand und auch die Sicherheit in den Ländern des Westens. Amerikanische und europäische Unternehmen erleiden pro Jahr geschätzt Verluste von einer Billion Dollar an entgangenen Geschäften, wertlosen Ausgaben für Forschung und Entwicklung und zusätzlichen Ausgaben durch Cyber-Attacken, die politische, militärische oder geheimdienstliche Organisationen gegen sie führen. Dem Programm für den multinationalen Kampfjet F-35 beispielsweise wurden mehrere Terabyte an Daten (ein Terabyte sind 1.000.000.000.000 Bytes, ungefähr die Datenmenge, die das gesamte Internet vor zehn Jahren aufwies) von Hackern gestohlen, die von einer bestimmten ostasiatischen Landmacht aus operierten. Diese Milliarden gestohlener Bytes bedeuten nicht nur Milliarden, die für Forschung und Entwicklung ausgegeben wurden, sondern auch zehn bis 20 Jahre verlorener technologischer Vorsprung - auf dem Weltmarkt und auf den möglichen Schlachtfeldern der Zukunft.

Aus diesen Trends sollten wir eine Lehre ziehen. So wichtig die Sorge über das nächste Jahr in Afghanistan ist oder über den sich abzeichnenden Aufstieg Chinas, sicherheitspolitische Entscheidungsträger müssen sich auch bewusst sein, dass noch viel umfassendere Veränderungen im Gang sind. Im 21.Jahrhundert werden immense Werte in Gebieten geschaffen, die entweder unzugänglich waren oder nicht existiert haben. Das heißt aber auch, dass wir uns - einmal mehr in der Geschichte - darauf vorbereiten, an Plätzen jenseits der Landkarte zu kämpfen, wo wir das noch nie getan haben.

Für diejenigen, denen am Frieden liegt, gilt die Lehre gleichermaßen: Man kann diese neuen Arenen ignorieren oder schlicht auf eine Strategie verzichten und auf das Beste hoffen. Oder man bemüht sich, künftigen Konflikten und Krisen vorzubeugen, in dem man die Normen und Institutionen schafft, um mit ihnen umzugehen und die neuen Räume zu regulieren, die unsere Welt prägen.

Peter W. Singer ist Director of the 21st Century Defense Initiative an der US-Denkfabrik Brookings und Autor des Buches 'Wired for War'.

© SZ vom 4.2.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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