Krieg in der Ukraine:Scholz verkündet neue deutsche Sicherheitspolitik

Krieg in der Ukraine: Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) und Oppositionsführer Friedrich Merz (links) unterhalten sich am Rande der Bundestags-Sondersitzung zum Krieg in der Ukraine.

Bundeskanzler Olaf Scholz (rechts) und Oppositionsführer Friedrich Merz (links) unterhalten sich am Rande der Bundestags-Sondersitzung zum Krieg in der Ukraine.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

"Die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen": Im Bundestag verspricht der Kanzler der Bundeswehr ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro. Zudem werde Deutschland künftig das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erfüllen. Von der Union kommt prinzipielle Unterstützung.

Von Stefan Braun, Berlin

Die Bundesregierung wird als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ihre Sicherheits- und Energiepolitik neu ausrichten. "Wir erleben eine Zeitenwende", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag in einer Sondersitzung des Bundestags. "Das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor." Im Kern gehe es jetzt um die Frage, ob Macht das Recht brechen dürfe und ob es dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gestattet werden könne, die Uhren in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts zurückzudrehen. "Oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen", so der SPD-Politiker.

Scholz verteidigte die beschlossenen Waffenlieferungen an die Ukraine und kündigte an, die Bundeswehr mit Hilfe eines Sondervermögens von 100 Milliarden Euro zu stärken. Außerdem sagte er zu, dass Deutschland künftig - Jahr für Jahr - das sogenannte Zwei-Prozent-Ziel der Nato einhalten werde. Das bedeutet: Künftig sollen die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts angehoben werden.

Krieg in der Ukraine: "Wir müssen deutlich mehr investieren in die Sicherheit unseres Landes", sagt Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag.

"Wir müssen deutlich mehr investieren in die Sicherheit unseres Landes", sagt Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Die Bundeswehr brauche angesichts der Zeitenwende durch den russischen Angriff auf die Ukraine "neue, starke Fähigkeiten", sagte Scholz. Maßstab müsse sein, dass alles getan werde, was für die Sicherung des Friedens in Europa gebraucht werde. "Wir müssen deutlich mehr investieren in die Sicherheit unseres Landes, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen", sagte Scholz. Das Ziel sei eine leistungsfähige, hochmoderne und fortschrittliche Bundeswehr. Er forderte alle Fraktionen des Bundestags auf, das Sondervermögen im Grundgesetz abzusichern.

Scholz kündigt auch den Bau von zwei Flüssiggasterminals an

Der Kanzler sagte, mit dem Überfall auf die Ukraine habe Putin kaltblütig einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen. Dies geschehe aus einem einzigen Grund: "Die Freiheit der Ukrainerinnen und Ukrainer stellt sein eigenes Unterdrückungsregime infrage. Das ist menschenverachtend. Das ist völkerrechtswidrig. Das ist durch nichts und niemanden zu rechtfertigen."

Scholz kündigte außerdem den Bau von zwei Terminals für Flüssigerdgas (LNG) in Deutschland an, um die Abhängigkeit von russischem Erdgas schnellstmöglich zu verringern. Als Standorte nannte Scholz Brunsbüttel und Wilhelmshaven. Außerdem will die Bundesregierung Kohle- und Gasreserven aufbauen. Ein LNG-Terminal, in dem heute Gas ankomme, könne morgen auch grünen Wasserstoff aufnehmen, sagte Scholz und verteidigte damit den Beschluss auch gegen Kritik, dass solche Terminals nicht nötig seien, weil es davon schon viele in anderen EU-Staaten gebe.

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Erneuerbare Energien seien "Freiheitsenergien", sagt Finanzminister Lindner

Bundesfinanzminister Christian Lindner betonte, das Thema Energiesicherheit werde in Deutschland eine neue Priorität bekommen. Dabei dürfe man nicht auf Antworten aus der Vergangenheit setzen. "Erneuerbare Energien lösen uns von Abhängigkeiten. Erneuerbare Energien sind deshalb Freiheitsenergien", sagte der FDP-Politiker. Deutschland wie Europa seien entschlossen, Russland zu isolieren - "wirtschaftlich, finanziell und politisch", so Lindner. Die Sanktionen würden nicht nur Putin und sein Land treffen, sondern auch Deutschland. Aber man sei bereit, die Auswirkungen zu tragen. "Denn sie sind der Preis der Freiheit."

Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck kündigte an, man wolle die Folgen der Sanktionen für Deutschland kleinhalten. "Die Bundesregierung wird alles dafür tun, Schaden - so weit es geht - vom deutschen Volk fernzuhalten", sagte der Grünen-Politiker. Er ging auch auf das Dilemma ein, in dem die Bundesregierung stecke, wenn es um Waffenlieferungen für die Ukraine geht. Natürlich gebe es die Überzeugung, nie wieder Waffen einzusetzen. Aber wenn Putin die Ukraine jetzt "militärisch vergewaltigt", dann mache man sich auch schuldig, wenn man nichts tut. "Wir kommen da mit sauberen Händen nicht raus", sagte Habeck. Deshalb sei es richtig, das Land jetzt mit Waffen zu unterstützen, auch wenn es schwerfalle. "Es ist die richtige Positionierung", sagte er. "Aber ob sie auch gut ist, das weiß ich nicht." Noch sei nicht abzusehen, wie sich der Konflikt weiter entwickle und ob daraus ein dauerhafter Krieg entstehe - auch mit Hilfe deutscher Waffen.

Baerbock stellt humanitäre Hilfe in den Mittelpunkt

Außenministerin Annalena Baerbock legte ihr Hauptaugenmerk auf die Hilfen für Flüchtlinge. Sie kündigte an, die humanitäre Hilfe für die Menschen in der Ukraine aufzustocken. Demnach hat Deutschland seinen Beitrag zum humanitären UN-Hilfsfonds für die Ukraine um fünf Millionen Euro erhöht. Außerdem wolle die Bundesregierung dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), das in der Ukraine und in den Nachbarstaaten aktiv ist, kurzfristig zehn Millionen Euro bereitstellen, erklärte Baerbock. "Deutschland wird seiner humanitären Verantwortung gerecht werden. Wir werden Vorkehrungen dazu im Haushalt treffen müssen und hoffen dabei auf Ihre Unterstützung", sagte Baerbock zu den Abgeordneten. Die unterstützenden Staaten müssten dafür sorgen, dass die "Menschen in der Ukraine schnell mit dem Nötigsten versorgt werden - etwa mit medizinischen Gütern, mit sicheren Unterkünften".

Unionsfraktionschef Friedrich Merz sagte der Bundesregierung Unterstützung zu. CDU und CSU würden die geplanten Maßnahmen mittragen und "nicht im Kleinen herummäkeln", sagte der CDU-Vorsitzende. Wenn Scholz eine umfassende Ertüchtigung der Bundeswehr wolle, werde die Union auch gegen Widerstände den Weg mit dem Kanzler gehen, so Merz. Zugleich warnte er, das von Scholz angekündigte Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für Investitionen und Rüstungsvorhaben der Bundeswehr bedeute zunächst neue Schulden.

Wie man diese neuen Schulden aufnehme und möglicherweise in der Verfassung verankere, "das geht nicht allein mit einer Regierungserklärung. Darüber müssen wir in Ruhe und im Detail sprechen." Außerdem rief Merz Scholz dazu auf, die Zusammenarbeit nicht nur punktuell anzustreben. "Das machen wir dann in allen Teilen gemeinsam", sagte Merz. Verantwortlich für den Angriffskrieg Russlands sei der russische Präsident Wladimir Putin. "Aus diesem ,lupenreinen Demokraten', der er nie war, ist nun endgültig und für alle Welt sichtbar ein Kriegsverbrecher geworden", sagte Merz.

Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali räumte ein, dass ihre Partei die Absichten Putins falsch eingeschätzt habe. Zugleich lehnte sie die Erhöhung der Verteidigungsausgaben ab: "Die Geschichte lehrt uns, dass Wettrüsten keine Sicherheit schafft."

Alice Weidel, Fraktionschefin der AfD, sprach von der "Verwerflichkeit des russischen Einmarsches", gab dem Westen aber eine Mitschuld an dem Angriff. Er habe der Ukraine die Beitrittsperspektive zur Nato nicht versagt und Russland gekränkt.

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