Angriff auf die Ukraine:Wie Putin den Krieg erklärt

Reine Selbstverteidigung soll der Angriff auf die Ukraine sein, deren Regierung der russische Präsident als Neonazis bezeichnet. Der Nato wirft er vor, sie wolle ein "Anti-Russland" schaffen - in einer Region, die er "unsere historischen Gebiete" nennt.

Von Silke Bigalke, Moskau

Wladimir Putin hat Kiew den Krieg erklärt. "Wir streben die Demilitarisierung und Denazifizierung der Ukraine an", sagte der russische Präsident in einer halbstündigen Rede, die das Staatsfernsehen in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag ausstrahlte. Er habe beschlossen, "eine Sondermilitäroperation durchzuführen", sagte der Kremlchef - als Grundlage dafür nannte er den neuen Freundschaftsvertrag zwischen Russland und den Separatistenrepubliken im Donbass, die er am Montag als souverän anerkannt hatte. In welche Gebiete seine Streitkräfte nun einmarschieren, konkretisierte Putin nicht.

Überhaupt kam er auf die Ukraine erst ganz am Ende zu sprechen. In den ersten zwanzig Minuten erklärte Putin, wen er als den eigentlichen Feind betrachtete: die USA, die er als "Imperium der Lügen" bezeichnete. Die Nato, die für ihn ein "Instrument amerikanischer Außenpolitik" ist und weiter nichts. Die "verantwortungslosen Politiker im Westen", die ihr Militärbündnis nach Osten erweitert haben.

Seine Rede war eine Generalabrechnung mit dem Westen und vor allem mit Washington. Ans Ende stellte er eine unverhohlene Drohung, die weit über Kiew hinausreicht.

Den USA warf Putin vor, in einer Art "modernem Absolutismus" internationale Regeln zu brechen, wenn es amerikanischen Interessen nützt, nannte als Beispiele die Militäreinsätze in Syrien, Libyen und dem Irak. Was Russland angeht, stellt Putin es so dar, als habe Washington dessen Offenheit gegenüber dem Westen ausgenutzt: "Bis vor Kurzem haben die Versuche nicht aufgehört", sagt Putin, "uns für ihre eigenen Interessen zu nutzen, unsere traditionellen Werte zu zerstören und uns ihre Pseudowerte aufzuzwingen, die uns, unser Volk, von innen zersetzen würden."

Es ist die Weltsicht eines Mannes, der sich im Äußeren und im Inneren von Feinden umlagert sieht - im Inneren hat Putin alle Kritiker, die er als Agenten des Westens betrachtet, längst unschädlich gemacht.

Nun richtet er sich nach außen: "Diejenigen, die öffentlich und ungestraft die Weltherrschaft beanspruchen, erklären uns, Russland - und ich betone: ohne jeden Grund - zu ihrem Feind", klagt Putin. Er spricht von den großen wirtschaftlichen, technologischen und militärischen Fähigkeiten der USA, die diese gegen Russland einsetze. "Was den militärischen Bereich betrifft", warnt der Kremlchef dann, so sei Russland "eine der mächtigsten Atommächte der Welt und hat darüber hinaus gewisse Vorteile in einer Reihe neuester Waffentypen".

Dann folgt die erste offene Drohung: Niemand solle daran zweifeln, "dass ein direkter Angriff auf unser Land zu einer Zerschlagung und schrecklichen Folgen für jeden potenziellen Angreifer führen wird".

Putin klagte erneut über die Osterweiterung der Nato. Vor Russlands Grenzen werde "ein uns feindliches 'Anti-Russland' geschaffen" - und zwar auf Gebieten, die Putin "unsere historischen Gebiete" nennt. Erneut wirft er der Nato vor, diese Gebiete mit "modernsten Waffen aufgepumpt" zu haben. Für die USA gehe es darum, sagt der Kremlchef, Russland einzudämmen. "Für uns, unser Land, geht es letztlich um Leben und Tod. Und das ist keine Übertreibung." Dies sei die "rote Linie" von der er so oft gesprochen habe. "Sie haben sie überschritten."

Dann kam er auf den Donbass zu sprechen, behauptet erneut, dort gelte es einen Völkermord zu verhindern. Er behauptete, die Nato habe in der Ukraine rechtextreme, nationalsozialistische Kräfte unterstützt. Schon vorher hatte er die Regierung in Kiew als "Marionettenregime" bezeichnet. Russland könne sich nicht sicher fühlen, solange "eine ständige Bedrohung" vom Territorium der Ukraine ausgehe.

Seinen Angriff auf die Ukraine stellt er schließlich als Selbstverteidigung dar - und bittet die Ukrainer sogar um Verständnis. "Ich muss auch an die Militärs der Streitkräfte der Ukraine appellieren", sagt Putin weiter. "Verehrte Genossen! Ihre Väter, Großväter, Urgroßväter haben nicht dafür gegen die Nazis gekämpft und unser gemeinsames Vaterland verteidigt, damit die heutigen Neonazis die Macht in der Ukraine ergreifen."

Die Verantwortung für mögliches Blutvergießen, sagt Putin wie schon am Montag, trage ausschließlich das "Regime" in Kiew.

Er endete mit einer Drohung, die dann aber weit über die Ukraine hinausreichte: Wer versuche, Russland zu stören oder zu bedrohen, der "sollte wissen, dass Russlands Reaktion sofort erfolgen" werde und zu Folgen führe, "die Sie in Ihrer Geschichte noch nie erlebt haben. Wir sind bereit zu jeder Entwicklung von Ereignissen. Alle diesbezüglich notwendigen Entscheidungen sind getroffen. Ich hoffe, dass ich gehört werde."

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